• 30.10.2003 15:06

  • von Marco Helgert

Wie die Werke die Formel 1 eroberten

Fluch oder Segen? Die Automobilwerke eroberten in den letzten Jahren die Formel 1, die Privatteams werden weiter zurückgedrängt

(Motorsport-Total.com) - Schwere Zeiten für Enthusiasten: Der Trend der letzten Jahre belegt, dass die Formel 1 mehr und mehr zu einer Hersteller-Serie mutiert. Dabei ist diese Entwicklung keineswegs ungewöhnlich. Sie ist nur eine logische Folgerung der Geschehnisse der letzten Jahre und Jahrzehnte. Die Formel 1 erlebte einen nie da gewesenen Boom, die Automobilhersteller dieser Welt konnten nicht mehr wegsehen, sonst hätte die Konkurrenz die Lorbeeren allein eingefahren.

Titel-Bild zur News: Mercedes-Stern

Als dieser Stern in der Formel 1 aufging zog die Konkurrenz nach

Doch die Entwicklung hierzu begann viel früher, weit vor der Zeitrechnung der Formel 1, und viele Fans bemängeln die "Verkommerzialisierung" des Rennsports im Allgemeinen. Doch dies ist kein Phänomen des Medienzeitalters. Natürlich war die Formel 1 vor 30 Jahren nahezu frei von Herstellern. Teams, die keine Autos verkaufen mussten, kämpften um die Titel, aber der kommerzielle Gedanke wurde erst durch die Hersteller nach außen getragen, intern mussten auch die Teams sehen, wie sich finanzierten und gut "verkaufen" konnten.

Motorsport nur noch Geschäft?

Ein bekannter Rennfahrer begründete seinen Rücktritt mit folgenden Worten: "Es ist nun klar, dass der Rennsport mehr und mehr auf das Geschäftliche reduziert wird. Die Firma mit dem meisten Geld trifft die besten Abmachungen und stellte die Fahrer ihrer Autos als entsprechenden Vorteil gegenüber ihren Gegner dar."

Eine passende Aussage, auch für heutige Verhältnisse, doch der Autor dieser Sätze, Charles Jarrot, beendete seine aktive Laufbahn als Rennfahrer noch vor dem 1. Weltkrieg. Wie würde der Engländer wohl die heutigen Verhältnisse im Motorsport einordnen? In der abgelaufenen Saison wurden sieben von zehn Teams von Herstellern unterstützt. Mit Ferrari, Jaguar, Renault und Toyota sind gleich vier Werke direkt involviert.

Vor nur zehn Jahren sah dies noch ganz anders aus: Ford war aus der Formel 1 nicht mehr wegzudenken, Renault fuhr als einziger Hersteller ein nennenswertes Werksprogramm. Lamborghini war ebenso aus Prestige- und Werbegründen in der Formel 1 wie Yamaha. Mit Ilmor, Mugen Honda und Hart waren gleich drei kleinere Motorenschmieden vertreten.

Auch zuvor hatten Werksbeteiligungen in der Formel 1 nahezu Seltenheitswert, und bereits zu Beginn der Königsklasse zeigte sich die Gefahr der Abhängigkeit von Herstellern. Als Alfa Romeo Ende 1951 den Stecker zog, stand die Formel 1 quasi ohne nennenswertes Starterfeld da. Notgedrungen wurde das Formel-2-Reglement als Formel 1 ausgeschrieben. Die Zeit der "Garagisten" konnte beginnen. Die Automobilwerke hielten sich vornehm zurück ? mit einigen wenigen Ausnahmen.

Schwere Zeit für Automobilwerke

Mercedes-Benz kam und drückte der Formel 1 den Stempel auf, ehe das Kapitel Motorsport nach dem schrecklichen Le-Mans-Unfall 1955 vorerst geschlossen wurde. Schon 1956 wurde klar, wohin sich die Formel 1 entwickeln würde: Mit Vanwall und BRM wurde der Weg für Motorenhersteller geebnet, die zumeist keine eigenen Straßenautos herstellten.

Ab und zu traute sich ein Automobilhersteller in das Haifischbecken der kleinen spezialisierten Teams. Porsche tat sich in den 60er Jahren schwer, die Motorenentwicklung ging zu langsam. Ähnlich erging es Honda: Die Japaner stiegen mit der Überzeugung in die Formel 1 ein, dass keines dieser kleinen Teams, die so gut wie nie ein Straßenauto gebaut hatten, sie besiegen könnte. Eine Fehleinschätzung, wie sich herausstellte.

Der Umschwung kam ihn Form von Ford, oder besser Cosworth. Der Cosworth-DFV-Motor wurde über ein Jahrzehnt lang der Inbegriff eines Formel-1-Motors, der, bis auf Ferrari, die ständige Konkurrenz verdrängte: 1974 waren nur Cosworth, Ferrari und BRM in der Formel 1 aktiv. 1977 wagte sich dann Renault mit dem Turbomotor in die Formel 1, und sie blieben nicht lange allein.

Erster Wendepunkt: Renault steigt ein

Der Einstieg eines großen Autoherstellers, der nicht unter dem Namen der eigenen Rennmotorschmiede aktiv war, war ein Warnsignal an die anderen Konzerne: Mitmachen, sonst könnte man zurückfallen. Alfa Romeo stieg mit einem eigenen Team ein, 1982 folgte BMW als Motorenausrüster, ein Jahr später auch Honda. Auch Porsche kam in die Formel 1, wenn auch über die Hintertür TAG.

Das Turbozeitalter ging Ende der 80er dem Ende entgegen, und die kleinen Motorenbauer rüsteten zum Gegenschlag: Ford stellte wieder ihre V8-Sauger zur Verfügung, Judd und Ilmor stiegen ein. Ein paar Hersteller blieben der Formel 1 auch mit verändertem Reglement treu: Renault und Honda fuhren weiter an der Spitze, während sich Lamborghini und Yamaha schwer taten. Porsche hingegen blamierte sich gänzlich.

Die Zeit der Rennpuristen war bereits damals längst vorbei. Den Herstellern ging es um Prestige, Werbung und Marketing. Doch der Startschuss fehlte, um fast alle Hersteller der Welt zum Mitmachen zu animieren: Mercedes-Benz. Die Stuttgarter, durch die Hintertür Ilmor mit Sauber in die Formel 1 gekommen, setzten ein Zeichen: Ein großer Hersteller konnte sich aktiv in die Formel 1 einklinken und die Teams auch technisch unterstützen ? für das Marketing der Hersteller war dies ein immens wichtiger Punkt.

Endgültiger Wendepunkt: Mercedes-Benz kommt

Dazu war Mercedes-Benz der vielleicht prestigeträchtigste Hersteller ? die Möglichkeit war für die Konkurrenz verlockend: Mercedes auf der Rennstrecke vor einem Millionenpublikum besiegen. Ganz ähnlich sieht es auch Teamchef Peter Sauber: Mercedes habe die "Formel 1 salonfähig gemacht und andere Hersteller zu einer Rückkehr bewogen ? Honda, Renault und BMW. Ohne all diese Firmen hätte sich vermutlich auch Toyota nicht zu einem Formel-1-Abenteuer entschlossen", so der 60-Jährige in der 'Motorsport aktuell'.

Die Gefahr der Herstellerdominanz bedroht jedoch auch die Formel 1, oder besser gesagt: Die Formel 1 in ihrer heutigen Form. Was passiert, wenn gleich mehrere Automobilwerke ihr Formel-1-Engagement beenden? Nun, dann wird sich etwas anderes finden. Die Formel 1 hat in den letzten Jahrzehnten ebenso große Kämpfe gewonnen und fast unbeschadet überstanden.

Die Ölkrise in den 70er Jahren traf die Teams hart, am Kampf FISA gegen FOCA zerbrach die Rennserie fast, aber am Ende haben immer Autos auf der Strecke um die Plätze gekämpft. Die Formel 1 hat sich immer selbst reguliert ? ob nach Darwin'schen Gesetz oder mit Hilfe anderer. Die Hersteller sind keine Bedrohung für die Formel 1, nur Gäste, die sich zuweilen nicht mit guten Manieren auf dem Parkett bewegen.