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  • 04.11.2010 08:53

Whitmarsh: Ferrari-Stallorder überschattet WM auf keinen Fall

Martin Whitmarsh im Interview: Warum er sich jetzt einen Button-Sieg wünscht und wieso er nicht der Meinung ist, dass die Stallorder Ferraris Leistung schmälert

(Motorsport-Total.com) - McLaren ist im Titelkampf unter Druck: Mit Lewis Hamilton hat man zwei Rennen vor Schluss nur noch einen Piloten mit realistischen Titelchancen, zudem war die Konkurrenz von Red Bull und Ferrari zuletzt meist schneller. Warum sich McLaren-Teamchef Martin Whitmarsh dennoch einen Sieg von Jenson Button wünscht und er in Brasilien mit einem konkurrenzfähigen McLaren-Rennstall rechnet, erklärt er im Interview.

Titel-Bild zur News: Martin Whitmarsh (Teamchef)

Martin Whitmarsh rechnet mit guten Chancen für seine McLaren-Mannschaft

Frage: "Martin, in Südkorea war McLaren bis zu Q3 schnell, dann konntet ihr aber im Kampf um die Pole nicht mithalten. Habt ihr herausgefunden, woran das lag und erwartet ihr, in Interlagos im Qualifying besser in Form zu sein oder müsst ihr im Rennen versuchen, von hinten nach vorne zu kommen?"
Martin Whitmarsh: "In Südkorea waren wir im ersten, im zweiten und im dritten Training vorne dabei - wir waren glaube ich Erster, dann Dritter und dann Zweiter. Außerdem waren wir in Q1 und Q2 konkurrenzfähig. Es war sehr knapp und ich bin sicher, dass wir unterschiedlichste Arten von Qualifying-Modi haben - und Zeiten, in denen wir diese Qualifying-Modi nutzen. Es war knapp, doch wir kamen nicht so recht in Schuss."

"In Jensons Fall gaben wir ihm nicht das Auto, mit dem er sich während des gesamten Qualifyings wohl fühlte. Also brachte er eine gute Leistung, indem er es trotzdem hinkriegte. Mit Sicherheit hat sich Red Bull im Vergleich zu allen anderen in Q3 verbessert."

"Jetzt bringen wir neue Entwicklungen nach Brasilien, wir pushen hart und wir werden am Freitag unterschiedliche Tests machen, bevor wir uns für die endgültige Spezifikation des Autos entscheiden, die wir dann am Samstag und am Sonntag einsetzen. Natürlich wünschen wir uns, dass wir der Konkurrenz davonfahren, doch eine realistische Einschätzung ist, dass wir dadurch konkurrenzfähiger sein werden. Und wenn wir als Team zusammenarbeiten, dann sehe ich keinen Grund, warum wir nicht um die Pole Position kämpfen und dann den Sieg nach Hause fahren sollten. Wenn wir unsere Leistung bringen."

"Wir werden mit den neuen Teilen konkurrenzfähiger sein." Martin Whitmarsh

"Und wenn wir nicht vorne stehen, dann versuchen wir eben, von hinten zu gewinnen. Das ist uns ja dieses Jahr schon einige Male gelungen. Wir haben zwei großartige Rennfahrer und es gibt keinen Grund, warum wir es nicht schaffen können. Ganz allgemein bietet Brasilien die Voraussetzungen für spannende Rennen. Also hoffen wir für alle, dass wir ein spannendes Rennen erleben werden und die Weltmeisterschaft bis Abu Dhabi am Leben erhalten."

Warum Button nicht für Hamilton fahren muss

Frage: "Du hast gesagt, dass du es beiden Fahrern erlauben wirst, um den Titel zu fahren. Hast du dennoch alle Situationen durchgedacht, in denen du Jenson Button bitten wirst, Lewis Hamilton zu helfen, da dieser sich in einer deutlich besseren Position befindet?"
Whitmarsh: "Wir wissen doch alle, dass es keine Teamorder gibt. Daher ist es das richtige für einen Rennfahrer, auf Sieg zu fahren. Ich wäre enttäuscht, wenn Jenson nicht versuchen würde zu gewinnen. Natürlich ist die Situation vor allem für Jenson hart, doch wenn er mir sagen würde, dass er aufgibt, dann wäre ich zutiefst enttäuscht."

"Ich denke also, dass er sein Auto vor unsere Konkurrenten stellen sollte. Das wäre das richtige Ziel und wir werden sehen, was im Laufe des Wochenendes passiert. Die Fahrer verstehen sich gut, ich bin sicher, dass sie zusammen arbeiten werden. Jenson ist ein außergewöhnlich ausgeglichener, reifer, mitdenkender Fahrer und er sollte mit der Einstellung anreisen, dass er das Rennen gewinnen will. Im Laufe des Wochenendes wird er sicher alles tun, um die Ziele des Teams zu erfüllen."

Frage: "Denkst du an die Möglichkeit, dass Jenson Lewis helfen könnte, wenn es für ihn nicht laufen sollte?"
Whitmarsh: "Lewis und Jenson werden versuchen, das Rennen zu gewinnen. Im Rennen werden wir dann sehen, wie es aussieht. Sollten wir uns in der glücklichen Situation einer klaren Doppelführung befinden, dann ist das eine angenehme Herausforderung. Doch ich finde, dass es für uns als Team und für unsere Fahrer der richtige Blickwinkel sein muss, einen Doppelsieg einfahren zu wollen. Dafür müssen wir unsere Leistung verbessern, was wir auch versuchen. Was das Auto angeht, müssen wir beim Setup als Team eine gute Leistung bringen - und die Fahrer müssen dann ihre Leistung bringen."

"Wir können jetzt versuchen, unterschiedliche Szenarien zu berücksichtigen. Wir haben schon viele Titeljagden erlebt, wie auch unsere Fahrer. Das Beste, was man tun kann, ist zu versuchen, das Rennen zu gewinnen. Wir sind nicht in der glücklichen Lage, einen Vorsprung verteidigen zu können. Also werden wir attackieren und versuchen zu gewinnen."

"Wenn Jenson jetzt aufgibt, dann wäre ich zutiefst enttäuscht." Martin Whitmarsh

Frage: "Doch wahrscheinlich werdet ihr über diese Teamszenarios sprechen?"
Whitmarsh: "Die Gespräche sehen so aus: 'Leute, konzentriert euch, wir versuchen, das Auto so gut wie möglich hinzubekommen und ihr versucht zu gewinnen.' Das ist das aktuelle Ausmaß der Gespräche, die im Moment stattfinden."

Whitmarsh: Lob für Ferrari und Alonso

Frage: "Hast du das Gefühl, dass ihr einen Vorteil gegenüber Ferrari und Red Bull habt, was die Motorenlaufzeit angeht?"
Whitmarsh: "Ja, den haben wir, wir sind dadurch aber nicht übertrieben zuversichtlich. Mercedes-Benz hat eine großartige Leistung gebracht. Wir gehen nicht davon aus, dass Motoren bis zum Saisonende mehr als zwei Renndistanzen aushalten. Mit Sicherheit müssen einige unserer Konkurrenten länger mit ihren Motoren fahren - und diese Aggregate waren nicht so standfest wie die von Mercedes-Benz. Wir haben hier also einen potenziellen Vorteil, der sich aber durch eine Überarbeitung der Motoren auflösen könnte. Wir sind vorsichtig zufrieden mit der Motoren-Situation, dass einige unserer Titelrivalen Aggregate benützen müssen, die schon mehr Laufzeit abgespult haben als die unserer Fahrer."

Frage: "Christian Horner hat gesagt, dass es frustrierend wäre, wenn Fernando Alonso den Titel holt, da man bei Red Bull immer im Glauben gearbeitet hat, dass Teamorder illegal ist. Bist du auch dieser Ansicht?"
Whitmarsh: "Ich habe viele persönliche Ansichten, was den Ausgang angeht. Ich denke, dass alles andere als ein Sieg eines McLaren-Fahrers sehr frustrierend wäre. Ich werde keine abfälligen Bemerkungen über die Taten anderer machen. Wir führen unser Team so wie wir es wollen und wir verstehen die Regeln auf nur eine Art und Weise. Es mag sein, dass andere Teams das anders sehen, doch am Ende hat Red Bull ein schnelles Auto gebaut und sie waren damit äußerst konkurrenzfähig."

"Man muss es Ferrari zugestehen - jetzt mal abgesehen von der Teamorder-Debatte und all diesen Dingen -, dass sie zu Saisonmitte wirklich Schwierigkeiten hatten und wieder zurückgekommen sind. Sie sahen zuletzt sehr konkurrenzfähig aus und Alonso ist ein beeindruckender Gegner. Wir sollten nicht davon ablenken, dass dies eine der großartigsten Formel-1-Weltmeisterschaften der Geschichte ist - mit Themen, was Teams im Laufe des Jahres getan haben oder nicht getan haben. Es war eine fantastische Weltmeisterschaft."

"Ganz ehrlich: Derzeit gibt es noch immer Piloten drei verschiedener Teams, die um diese Meisterschaft kämpfen und ich finde das fantastisch - wir hatten drei Doppelsiege, einige großartige Momente, wir hatten aber auch schwierige Momente. Bei Red Bull gab es Momente des Triumphs und der Tragik, das gleiche gilt für Ferrari. All das hat sich während des Jahres immer wieder verschoben. Ich hoffe, dass McLaren bei den letzten zwei Rennen wieder aufleben wird und dass wir dominieren und einen Doppelsieg einfahren. Das wäre ein schönes Ende dieser Saison."

"Ich werde keine abfälligen Bemerkungen über die Taten anderer machen." Martin Whitmarsh


Frage: "Würde es ein schlechtes Licht auf den Sport werfen, wenn die Ereignisse von Hockenheim am Ende den Unterschied machen?"
Whitmarsh: "Ich finde, dass wir eine sehr gute Meisterschaft erlebt haben und das ist es, woran wir uns erinnern sollten. Punkt."

Interlagos: Prognosen unmöglich?

Frage: "Ist eine Voraussage möglich, welchen um den Titel kämpfenden Teams Interlagos am besten liegen könnte?"
Whitmarsh: "Das ist schwer vorauszusehen, was meiner Meinung nach gut ist. Vielleicht können es andere Teams oder Experten - ich kann es nicht. Ich würde gerne glauben, dass wir dort schnell sind. Unser Vorteil in Sachen F-Schacht ist geringer geworden, was man im Laufe der Saison erwarten musste. Es war ein sehr innovatives Konzept, allerdings auch sehr günstig bei der Anwendung - und andere haben es dann eben auch angewendet. Vielleicht liegen wir noch etwas voran, weil wir die Erfinder des Konzepts sind, doch ich bin der Meinung, dass unser Vorteil deutlich kleiner ist."

"Was die Bodenwellen angeht, haben wir einige Fortschritte gemacht. Das erste Rennen in Bahrain mit dem neuen Streckenteil und Silverstone, das aus unterschiedlichen Gründen noch nie so viele Bodenwellen hatte wie dieses Jahr - das waren für uns in dieser Saison ziemliche Tiefpunkte. Wir sind uns der Herausforderung in Brasilien bewusst. Wir haben einiges verändert, wovon wir uns eine Verbesserung erhoffen. Ob das ausreicht, werden wir aber erst erfahren."

"Es gibt keinen Grund, warum wir in Brasilien nicht konkurrenzfähig sein sollten. Ich glaube daran und die Ingenieure und Fahrer glauben daran. Wir befinden uns derzeit in einer heiß umkämpften Weltmeisterschaft. Ferrari und Red Bull bleiben nicht stehen, sie versuchen alles, um zu gewinnen. Das ist das großartige an dieser Weltmeisterschaft: Niemand - ganz egal ob innerhalb oder außerhalb des Teams - kann voraussagen, ob ein McLaren, ein Ferrari oder ein Red Bull in Interlagos schneller sein wird."

Frage: "In der Rennvorschau hat Lewis gemeint, dass der McLaren in Brasilien das drittschnellste Auto sein wird. Wäre es in Anbetracht dessen ein Vorteil für euch, wenn es nass ist?"
Whitmarsh: "Wir werden sehen. Ich glaube, dass wir einige interessante Entwicklungen haben. Ich möchte mir die am Freitag bei trockener Piste ansehen. Der Freitag ist für uns alle ein Testtag und es ist einfacher, das im trockenen zu tun. Wir rechnen damit, konkurrenzfähig zu sein. Wir haben einige Male gesehen, dass Regenrennen sehr spannend sind, doch wenn man konkurrenzfähig ist, dann besteht die Gefahr, dass man das Resultat nicht erreicht, das man verdienen würde. Wir werden sehen."

"Ich habe Wetterprognosen gesehen, die besagen, dass es jeden Tag trocken sein wird und andere, die nur Regen voraussagen. Natürlich besteht die Wahrscheinlichkeit, dass die Strecke nass sein wird, das ist in Brasilien oft so. Doch wie es auch kommen sollte, ist Brasilien komischerweise eine Strecke, an der sich moderne Strecken ein Beispiel nehmen sollten, denn der Kurs produziert immer fantastische Rennen."

"2001 Moderne Strecken sollten sich an Brasilien ein Beispiel nehmen." Martin Whitmarsh

"Es ist ein großes Theater, wenn man sich das Rennen ansieht - nicht nur wegen der Atmosphäre, die natürlich auch außergewöhnlich ist. Es ist ein großartiger Schauplatz und wenn man in Betracht zieht, wie lange er schon dabei ist, dann sollten alle Streckendesigner dort einige Lehrstunden nehmen."