Wenn das Ego die Kontrolle übernimmt...

Zeigt ein Fahrer Stärke oder Schwäche, wenn er zugunsten des Teams bremst? Und werden nette Fahrer wirklich nicht Champion? Die Stallorder spaltet das Fahrerlager

(Motorsport-Total.com) - Der Grand Prix von Malaysia hat einen der größten Widersprüche der Formel 1 wieder einmal in all seiner Härte dargelegt: Für die Strategen an den Kommandoständen, für die Teamchefs, für die Mechaniker ist die Formel 1 ein Teamsport, doch wenn der Pilot in der Startaufstellung das Visier zuklappt, ist er ganz allein in seiner Welt, hört auf seinen Instinkt und wird zur egogesteuerten Rennmaschine.

Titel-Bild zur News: Sebastian Vettel, Kommandostand, Red Bull

Nicht immer setzen sich die Interessen von 600 Mitarbeitern in der Formel 1 durch Zoom

Da fliegen schon mal die Fetzen, und die Teamverantwortlichen verlieren ihre "Rennpferde" aus der Kontrolle. Auch für die Piloten ist es ein schwieriger Spagat, denn sie ordnen ihr Leben der Formel 1 unter, tun alles, um sich in der "Königsklasse" des Motorsports gegen die besten Fahrer durchzusetzen, um dann vom eigenen Team plötzlich eingebremst zu werden. Da darf es nicht verwundern, wenn die Motivation danach im Keller ist.

Absolute Spitzenfahrer haben es in der Geschichte der Formel 1 immer wieder gezeigt, dass sie mit dem Konzept der Stallorder nicht kompatibel sind, außer es wird - wie meistens der Fall - zu ihrem Vorteil eingesetzt. Das hat nun auch Sebastian Vettel bewiesen - und steckte dafür heftige Kritik ein.

"Nette Fahrer werden nicht Weltmeister"

In China wurde der dreifache Weltmeister von den Journalisten regelrecht "gegrillt", weil er in Sepang zunächst Stallorder gegen seinen Teamkollegen Mark Webber gefordert hatte, diesen dann aber trotz mehrmaliger Hinweise auf einen Nichtangriffspakt niederkämpfte. Er argumentiert nun, dass er den Befehl akustisch nicht gehört habe, ihn aber ohnehin nicht befolgt hätte, weil auch Webber bereits mehrmals gegen eine Stallorder verstoßen hat.

Ayrton Senna und Alain Prost in Adelaide 1988

Wenn aus Teamkollegen Feinde werden: Ayrton Senna und Alain Prost Zoom

Experte und Ex-Formel-1-Pilot Marc Surer versteht den Red-Bull-Piloten: "Er hat den Rückhalt des Teams, ist dreimal Weltmeister geworden. Da kann man sich auch mal über eine Teamorder hinwegsetzen. Der Erfolg gibt ihm recht." Ob er mit seiner Aktion Sympathien verspielt hat, spielt laut dem Schweizer keine besondere Rolle: "Es ist leider so, dass nette Fahrer nicht Weltmeister werden. Die einzige Ausnahme ist Jenson Button. Ansonsten haben alle ein ausgeprägtes Ego und verfolgen ihre Ziele ohne Rücksicht auf andere."

Auch der britische McLaren-Pilot, der für sein ausgeglichenes Wesen und sein smartes Auftreten bekannt ist, ist kein Fan der Stallorder. Sein Glück: Bei McLaren gibt es traditionell keine Stallregie, solange beide Fahrer Titelchancen besitzen. Er versteht aber den Interessenskonflikt, mit dem viele Teams konfrontiert sind: "Ich mag die Teamorder nicht, und ich war damit nie einverstanden - so oder so. Es ist aber auch ein Teamsport, und wenn dein Team entscheidet, dass es Teamorder gibt, dann gibt es Teamorder. Dann muss man sich an das halten, was das Team sagt, denn du bist dort angestellt und hast einen Vertrag, dass du für das Team fährst."

Hat Vettel die Grenzen der Fairness überschritten?

Er wundert sich über Vettels widersprüchliches Verhalten, sich einerseits beim Team zu entschuldigen, aber gleichzeitig zu sagen, er würde seine Aktion wahrscheinlich wiederholen. "Jeder macht mal einen Fehler", sagt der Brite. "Wenn es aber kein Fehler war und er mit Absicht gegen die Anweisung des Teams verstoßen hat, das aber vor dem Rennen nicht besprochen hat, dann ist das eine ganz andere Geschichte."

"Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus, aber andererseits habe ich keine drei WM-Titel gewonnen." Martin Brundle

Auch Ex-Formel-1-Pilot Martin Brundle sieht in Vettels Aussagen einen Widerspruch. "Viele Fans sind jetzt verwirrt, ob es ihm leid tut oder nicht." Doch der Brite, der bei Benetton Teamkollege von Michael Schumacher war, weiß, dass Vettel nicht der Popularität wegen in der Formel 1 ist, sondern einzig und allein um "alle bestehenden Rekorde zu brechen und zu siegen. Das wird ihn also nicht zu sehr kümmern."

Er selbst findet es nicht richtig, wie Vettel mit der Situation umgeht: "Es gibt eine sportliche Grenze, die man nicht übertritt. Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus, aber andererseits habe ich keine drei WM-Titel gewonnen. Sebastian ist das schon mit 25 Jahren gelungen. Er sagt also, dass er es probieren wird, wenn er eine Lücke sieht - ob sich das einmal rächen wird, wird sich zeigen."

Ein eigenes Kapitel: Alonso und die Stallorder

Nelson Piquet Jr.

Nelson Piquet jr. fuhr sogar in die Mauer, um Fernando Alonso zu helfen Zoom

Einer, der mit Stallorder auch schon seine Erfahrungen gemacht hat, ist Vettels Dauerrivale Fernando Alonso. Der Spanier triumphierte 2008 beim ersten Nachtrennen der Formel-1-Geschichte in Singapur, weil sein Renault-Team damals Teamkollegen Nelson Piquet jr. beauftragt hatte, mit einem Crash eine Safety-Car-Phase auszulösen, damit die Strategie des zweifachen Weltmeisters aufgeht. Er beteuert bis heute, nichts davon gewusst zu haben.

Und auch in Hockenheim 2010 war Alonso beteiligt, als sein Teamkollege Felipe Massa mit den berühmten Worten "Fernando is faster than you" von Renningenieur Nigel Stepney hinter den Ferrari-Star zurückgepfiffen wurde. Das umstrittene Manöver war übrigens der Auslöser dafür, dass die Stallorder in der Formel 1 wieder legalisiert wurde, um eine derartige Farce zu vermeiden.

Alonso: Team wichtiger als Fahrer

Red Bulls Teamchef Christian Horner meinte nach dem Rennen in Sepang, dass Alonso und Hamilton ähnlich gehandelt und die Teamorder, den Teamkollegen nicht zu überholen, missachtet hätten. Der Ferrari-Star widerspricht nun. "Ich denke nicht, dass ich je in so einer Situation war, aber ich schätze, ich würde die Position halten", gibt er sich als Teamplayer. "Am Ende wirst du von deinem Team bezahlt und du musst mehr oder weniger das machen, was von dir verlangt wird."

Er konfrontiert die Medienvertreter mit einem Vergleich: "Als Journalist betrittst du auch nicht die Redaktion und malst die Wände, wenn du kein Maler bist. Und als Tormann spielst du auch nicht im Sturm. Wir alle haben unsere Aufgaben, und ich finde, dass man die immer respektieren sollte." Kommentare, die bei seinem Arbeitgeber vermutlich gut angekommen werden, denn bei der "Scuderia" legt man seit jeher viel Wert darauf, dass das Team wichtiger ist als der Fahrer.

Massa: Teamorder nur dann, wenn sie intelligent ist

Diese Erfahrung musste auch Massa schon mehrmals machen - allerdings meist als Leidtragender. Er wurde in Austin 2012 sogar dazu gezwungen, sich in der Startaufstellung durch einen Getriebewechsel hinter Alonso zurückfallen zu lassen, damit der Titelaspirant auf der richtigen Seite der Startaufstellung starten kann.

"ber manchmal ist es nicht wirklich intelligent, dann mag ich es natürlich nicht." Fernando Alonso

Massa schluckte die Enttäuschung hinunter, hörte auf sein Team - muss aber nun auch damit leben, als ewige Nummer zwei auf Alonsos Gnaden abgestempelt zu sein. Der 31-Jährige zeigt sich verständnisvoll und meint, dass er nicht grundsätzlich gegen Teamorder sei: "Wenn es eine intelligente Anweisung zum richtigen Zeitpunkt ist, dann habe ich kein Problem damit. Ich habe das viele Male mitgemacht. Ich habe vielen Fahrern geholfen, auch Kimi bei seiner Weltmeisterschaft. Natürlich habe ich auch Fernando bei wichtigen Rennen im letzten Jahr unterstützt, in denen er um die Meisterschaft gekämpft hat. Aber manchmal ist es nicht wirklich intelligent, dann mag ich es natürlich nicht."

Teamorder-Aufgabe: Schwächt sich Red Bull selbst?

Bei Red Bull hat man sich währenddessen entschieden, den Interessen der Fahrer mehr Raum zu geben - die Stallorder wurde auf Geheiß von Boss Dietrich Mateschitz abgeschafft. Ein cleverer Marketing-Trick des Österreichers, der bei den Fans nach der schiefen Optik in Malaysia wieder für Sympathien sorgen wird.

Brundle glaubt aber, dass die Entscheidung das Team schwächen wird: "Es spielt den anderen Teams in die Hände und wird sich als großes Problem herausstellen, denn man muss das Team durch die Saison führen. Wenn man auf der Strecke fährt, dann hat man nicht alle Informationen, die man an der Boxenmauer hat, wo 20 oder 30 sehr clevere Menschen die Strategie für das Rennen erarbeiten. Das kann man nicht aus dem Cockpit steuern - man erhält also Anweisungen, die man befolgen muss. Das sollte man nicht komplett außer Acht lassen."

Schwieriger Balanceakt am Kommandostand

Zumal in Hinblick auf die auf Fahrer- und Teamwertung oft strategisch gefahren werden muss, um das Optimum herauszuholen. Auch wenn es nicht um den WM-Titel geht, wie Sauber-Teamchefin Monisha Kaltenborn erklärt: "Wenn man mal das letzte Rennen 2012 in Brasilien nimmt, dann war es so, dass wir und zwei unserer Konkurrenten um die Plätze fünf, sechs und sieben gefightet haben. In solchen Situationen fängt man natürlich während des Rennens an zu rechnen." Das sei aber nur bei den letzten Saisonrennen der Fall: "Im Normalfall sitzen keine Jungs mit einem Taschenrechner an der Boxenmauer und kalkulieren das ständig durch."

Adrian Newey, Christian Horner

Adrian Newey und Christian Horner stießen in Sepang an ihre Grenzen Zoom

Auch ihr ist bewusst, dass es ein absoluter Balanceakt ist, die "Vollgastiere" in ihren Boliden zu einer mannschaftsdienlichen Leistung anzuleiten: "Von einem Piloten muss man erwarten können, dass er jederzeit möglichst viele Punkte holen will. Das ist manchmal ein schmaler Grat, denn als Team hat man in gewissen Fällen eine andere Perspektive - man sieht das große Ganze. Es ist schwierig, die passende Balance zwischen den Ansprüchen und Erwartungen des Fahrers auf der einen Seite und den Interessen des Teams auf der anderen Seite zu finden. Letztlich sind wir ein Team. Die Punkte von beiden Fahrern zählen für uns."

Ex-Coach: Inkompatiblität ist Vettels Stärke

Interessanterweise spricht sich auch der Mann, der die aktuelle Debatte ausgelöst hat, nicht grundsätzlich gegen Teamorder aus: Sebastian Vettel. "Wenn man von Teamorder oder von Teamarbeit spricht, dann gibt es meiner Meinung nach Situationen, wo es absolut Sinn macht." Bei Red Bull sie die Situation diesbezüglich aber ein bisschen anders, spielt er darauf an, dass auch sein Teamkollege nicht immer mannschaftsdienlich fuhr.

Vettel als Teamplayer, der seinen Teamkollegen zum WM-Titel führt - ist das eine absolute Phantasievorstellung oder in speziellen Fällen sogar ein mögliches Szenario? Einer, der die Antwort kennen könnte, ist sein ehemaliger Coach Tommi Pärmakoski, der die Erfahrung machte, dass sein Ex-Schützling selbst beim Badminton nicht verlieren konnte.

"Grundsätzlich muss jeder das tun, was der Teamchef sagt", sagt der Finne gegenüber dem 'Turun Sanomat'. Er weiß aber, dass dies für Vettel eine schwierige Vorstellung ist: "Ich kenne Sebastian so gut, dass ich weiß, dass er diesen unbändigen Siegeswillen hat. Es ist der eigentliche Grund, warum er so viel gewonnen hat und warum er dem größten Druck standhält." Sogar dem Druck von 600 Mitarbeitern.

Folgen Sie uns!

Folge uns auf Instagram

Folge uns jetzt auf Instagram und erlebe die schönsten und emotionalsten Momente im Motorsport zusammen mit anderen Fans aus der ganzen Welt