Warum das schnellste Auto nicht Weltmeister wurde...

Mercedes-Sportchef Norbert Haug zieht ausführlich Bilanz über die Saison 2005 - Teamchef Ron Dennis trauert dem China-Grand-Prix nach

(Motorsport-Total.com) - Am Ende war es doch recht deutlich: 21 Punkte fehlten McLaren-Mercedes in der Fahrer-WM auf den ersten Platz, neun bei den Konstrukteuren. Dabei war der MP4-20 ab Beginn der Europasaison das anerkannt schnellste Auto der Formel 1. Nach dem heutigen Saisonfinale in Shanghai wurde daher von den Verantwortlichen die Ursachenforschung in die Wege geleitet.

Titel-Bild zur News: Mercedes-Stern

Der silberne Stern soll 2006 - bildlich gesprochen - wieder in Gold erstrahlen...

"Ich hätte gerne die fehlenden Punkte gewonnen", erklärte Mercedes-Sportchef Norbert Haug nach dem Grand Prix von China im Interview mit 'Premiere'. "Jeder weiß, wie viele uns fehlen, aber trotzdem war es ein tolles Jahr. Ich denke, dass die, die uns zugeschaut haben, gesehen haben, dass wir vor anderthalb Jahren vielleicht mal angezählt waren, aber mittlerweile wieder ziemlich stark im Ring stehen und auch bereit sind, weiterhin zu kämpfen."#w1#

Nur zwei Podestplätze in den ersten vier Rennen

Als Ursache für die Niederlage machte er den Saisonauftakt aus: "Der Kernpunkt des Fazits muss bei uns ganz klar sein, dass wir in den ersten vier Rennen zu wenig Punkte gemacht haben, nämlich nur sieben bei Kimi. Auch bei den Konstrukteuren waren wir da noch nicht so berühmt. Nach dem ersten Sieg in Barcelona lief es sehr gut. Es kamen insgesamt immerhin zehn Siege in 13 Rennen zusammen", sagte der Deutsche.

Zieht man die ersten vier Rennen vom Gesamtpunktestand ab, so wäre McLaren-Mercedes mit 157 zu 145 Punkten Konstrukteursweltmeister, während auch Räikkönen gegenüber Alonso mit 105 zu 97 im Vorteil wäre. Hätte, wenn und aber gibt es in der Formel 1 aber nicht, also musste sich Haug anders trösten: "Man kann sich mit der Anzahl der Poles und der Siege und vor allem mit einem Klasserennen wie Japan durchaus sehen lassen. Das, was noch fehlt, werden wir auch noch erarbeiten", meinte er.

Die große Wende zum Guten gelang den "Silberpfeilen" bei einem Test im Frühjahr, bei dem die Ingenieure feststellten, dass der von Adrian Newey entwickelte MP4-20 wesentlich weichere Reifenmischungen verträgt als die Konkurrenz. Prompt setzte das Team zu einem großen Siegeszug an, doch der inzwischen fast schon legendäre Reifenschaden von Räikkönen in der letzten Runde am Nürburgring war möglicherweise eine Konsequenz dieses progressiven Vorgehens.

Weichere Michelin-Reifen brachten ab Imola die Wende

"Wir bekamen eine neue Reifengeneration und konnten dann immer die etwas weicheren Reifen verwenden", erörterte Haug zu diesem Thema. "Dadurch haben wir wirklich sehr gut ausgesehen. Wir haben noch nicht alles ganz so gelöst, wie wir uns das vorstellen, sonst hätten wir sicher noch einige Punkte mehr gemacht und bis zum Schluss in beiden Wertungen um den Titel gekämpft. So sind wir zweimal Vizeweltmeister, aber es wäre mehr drin gewesen."

Ein weiteres Thema, das die Fans des britisch-deutschen Teams 2005 beschäftigt hat, war das heiße Stallduell zwischen "Iceman" Räikkönen und dem flamboyanten Lateinamerikaner Juan-Pablo Montoya. Erwartungsgemäß setzte sich Räikkönen relativ deutlich durch, Montoya hatte aber auch Pech mit seiner Verletzung zu Beginn der Saison und mit einigen unglücklichen Kollisionen in der Schlussphase der Weltmeisterschaft. Intern steht man jedenfalls weiterhin zu dem siebenfachen Grand-Prix-Sieger.

Feuer und Eis: Heißes Duell der Fahrer lief immer fair ab

"Wir haben das gut geregelt", sagte Haug über das Stallduell, welches von den Medien oft als Pulverfass, das kurz vor einer Explosion steht, beschrieben wurde. "Es gab keine Zwischenfälle auf der Strecke. Es gab sicherlich ab und zu mal die Möglichkeit für ein besseres Ergebnis bei Juan-Pablo, aber er hat sich gesteigert und ist jetzt ein besserer Rennfahrer als vorher. Er ist einer, der emotional ist, ganz klar - einer, den man ausbalancieren muss. Aber wir sollten nicht vergessen, dass er drei Rennen gewonnen hat. Insofern muss da schon eine gute Basis da sein."

"Ich habe keine Angst, dass er das nicht hinbekommen könnte und wieder mal einen Fehler macht, denn wenn so etwas passiert, werden wir ihn nach außen entsprechend vertreten und intern ganz klar diese Punkte ansprechen", ergänzte er. So geschehen, als Montoya in Kanada einen möglichen Sieg wegwarf, weil er trotz roter Ampel aus der Box fuhr, was ihm das Team sehr übel nahm, und auch bei Räikkönen, der für seine Alkoholeskapaden sogar schriftlich gerüffelt wurde.

Haug rückt Bedeutung des Fahrers in den Mittelpunkt

"Wir können es ganz gut, mit den Fahrern umzugehen und sie weiterzuentwickeln", teilte Haug zu diesem Thema mit. "Das ist auch ganz wichtig, denn der Fahrer ist ein elementarer Teil - letztendlich der elementarste - des Teams. Er ist auf sich alleine gestellt, und man muss Respekt davor haben, dass er seine Entscheidungen alleine zu treffen hat. Wer denkt, dass ein Affe das Auto fahren kann, dem sage ich: Das ist nicht so! Man hat höchsten Respekt vor diesen Leistungen zu haben."

"Eins plus ist das, was entscheidend ist, und in diese Kategorie gehören Kimi Räikkönen und - ab und zu mit Abstrichen - Juan-Pablo Montoya." Norbert Haug

Und weiter: "Es gibt keinen, der in der Formel 1 nichts kann, sondern es gibt immer nur den kleinen Unterschied zwischen einer Eins und einer sehr guten Eins plus. Eins plus ist das, was entscheidend ist, und in diese Kategorie gehören Kimi Räikkönen und - ab und zu mit Abstrichen - Juan-Pablo Montoya. Aber er hat das Steigerungspotenzial. Seine Aufgabe ist es, dieses Steigerungspotenzial zu entwickeln", legte der Mercedes-Sportchef seiner Nummer zwei die Latte für 2006 hoch.

Was das heutige Rennen angeht, in dem die Konstrukteurs-WM endgültig verspielt wurde, hätte alles ganz anders laufen können, wenn sich nicht im dritten Sektor ein Kanaldeckel gelöst hätte. Montoya fuhr über das Teil, musste daher den rechten Vorderreifen sicherheitshalber auswechseln lassen - und fiel anschließend weit zurück. Dass anschließend auch noch das Safety-Car auf die Strecke kam, machte den "Silberpfeilen" ihre Rennplanung endgültig kaputt.

Dennis nach Niederlage in China schwer angeschlagen

"Wir wurden nicht nur eines Autos beraubt, sondern die Renaults konnten durch das Safety-Car auch noch auftanken", seufzte Teamchef Ron Dennis. "Dadurch fiel nicht auf, wie wenig Benzin sie an Bord hatten. So ist das Leben. Man muss so etwas verkraften können. Man verliert eine Weltmeisterschaft aber nicht in einem Rennen. Wir denken, dass wir den Titel in den ersten vier Rennen, die wir zu konservativ angegangen sind, verloren haben. Aber das kann man im Nachhinein immer sagen. Andererseits sind 19 Podestplätze und zehn Siege sicher keine Katastrophe."

Der Brite, der sich gestern Abend noch extrem zuversichtlich geäußert und insgeheim noch mit den acht bis zehn Extra-Millionen für den Konstrukteurstitel spekuliert hatte, wirkte extrem angeschlagen: "Uns hat ein Kanalisationsschacht die Party verpatzt, um es auf den Punkt zu bringen. So einfach ist das. Man muss sich das vorstellen: Drei Autos fahren fast Rad an Rad durch diese Kurve - und es erwischt natürlich wieder uns. Das ist einfach Pech", meinte er achselzuckend.

Kollege Haug nahm die Niederlage indes wesentlich gelassener hin, ist sich aber ebenfalls sicher, dass mehr drin gewesen wäre: "Hier hatten wir ein Rennen, das sich nie ganz entfaltet hat. Renault war sehr stark - stärker als bei den letzten Rennen. Ob wir im ersten Stint länger gefahren wären, weiß ich nicht, denn das Safety-Car kam vorher raus. Zum Schluss war Renault vorne", analysierte er - und gratulierte dem Gegner: "Glückwunsch!"