• 26.09.2001 15:07

  • von Fabian Hust

Vorschau auf den Großen Preis der USA

Im Schatten des Terrors findet an diesem Wochenende eines der geschichtsträchtigsten Formel-1-Rennen statt

(Motorsport-Total.com) - Am 30. September ist es so weit, dann macht die Formel 1 wieder in den USA Halt. Für einige Piloten wird es am Freitag die erste Ausfahrt auf dem 4,195 Kilometer langen Indianapolis Motor Speedway sein, auf dem am Rennsonntag 73 Runden zu absolvieren sind.

Titel-Bild zur News: Rennkontrollturm

Der imposante Renncontrol-Turm von Indianapolis

Kein Formel-1-Grand-Prix wurde an so vielen verschiedenen Orten ausgetragen wie der US-Grand-Prix: Sebring (Florida), Detroit (Michigan), Riverside (Kalifornien), Dallas (Texas), Watkins Glen (New York), Phoenix (Arizona), Long Beach (Kalifornien), Las Vegas (Nevada) und jetzt erneut in Indianapolis (Indiana). 1982 waren die USA sogar in Long Beach, Detroit und Las Vegas Gastgeber von gleich drei WM-Läufen. Fester Bestandteil im WM-Kalender war über Jahre hinweg der Grand Prix von Watkins Glen, der von 1961-1980 dort stattfand.

Seit 1959 gab es in den USA 44 Rennen
1991 verabschiedete sich die Formel 1 aus den USA mit dem letzten Sieger, Ayrton Senna. Seit 1959 hatte es bis dahin in den USA 43 Rennen gegeben. Ayrton Senna war mit fünf Siegen der erfolgreichste Fahrer in den USA, gefolgt von Jim Clark, Graham Hill, Carlos Reutemann und Alain Jones mit jeweils drei Siegen. Niki Lauda, Nelson Piquet, Keke Rosberg, Jackie Stewart und Gilles Villeneuve konnten jeweils zwei Mal gewinnen, Michael Schumacher reihte sich mit seinem Sieg 2000 auf dem neuen Kurs in die Geschichtsbücher ein, um nur ein paar Formel-1-Größen zu nennen.

Bei den Teams war Lotus mit elf Siegen am erfolgreichsten, gefolgt von McLaren mit neun und Ferrari mit sechs Triumphen. Das Heimrennen konnte Motorhersteller Ford mit 20 Siegen für sich entscheiden, sieben Mal gewann Honda, sechs Mal logischer Weise auch Ferrari und BMW gelang bisher ein erster Platz mit den besten Chancen, dies in diesem Jahr um einen weiteren zu ergänzen.

Der USA-Grand-Prix - ein Rennen der Rekorde
In den Geschichtsbüchern der Formel 1 ist die USA ein wichtiger Bestandteil. Dort gab Weltmeister Mika Häkkinen 1991 sein Formel-1-Debüt, hier gewann Bruce McLaren 1959 sein erstes Formel-1-Rennen und war und ist bis heute mit seinen 22 Jahren der jüngste Grand-Prix-Sieger aller Zeiten. Renault holte 1978 die ersten Punkte in der Formel 1, 1981 setzte McLaren in Long Beach als erstes Team ein Chassis aus Kohlefaser ein und 1983 gewann Ford mit dem Acht-Zylinder das 155. und letzte Rennen, bevor man das Motorkonzept stilllegte.

1959: Die USA als das Pflaster sechs neuer Weltmeister
Sechs Weltmeisterschaften wurden in den USA entschieden. 1959 konnte sich Jack Brabham mit einem vierten Platz den Titel sichern. Er führte das Rennen an, als ihm zwei Runden vor Schluss das Benzin ausging. Der Brite schaffte es, sein Auto als Vierter durch Schieben (!) über die Ziellinie zu bringen. Heute wäre das undenkbar.

Der posthume und der geschenkte Titel
1970 wurde Jochen Rindt posthum zum Weltmeister gekürt. Nach seinem Tod in Monza hatte Rindt in Watkins Glen genügend Vorsprung, um nach seinem Ableben noch zum Weltmeister erklärt zu werden. Es ist bisher der einzige posthume Weltmeister in der Geschichte der Formel 1. Vier Jahre später war es Emerson Fittipaldi, der sich mit einem vierten Platz den Titel sicherte. Fittipaldi ging punktegleich mit Clay Regazzoni und sieben Punkten Vorsprung auf Jody Scheckter ins Rennen. Das Rennen war unglaublich spannend, denn Reggazzoni war das ganze Wochenende nicht konkurrenzfähig und Scheckter konnte sich vor Fittipaldi qualifizieren und blieb fast das ganze Rennen vor Fittipaldi. 12 Runden vor Schluss schied Scheckter aus und Fittipalid holte seinen zweiten Titel in drei Jahren und den ersten Titel für McLaren.

1977: Laudas taktische Regenschlacht
Ebenfalls in Watkins Glen und ebenfalls mit einem vierten Platz machte sich Niki Lauda 1977 zum Weltmeister als er drei Rennen vor dem Ende der Weltmeisterschaft nur noch einen einzigen Punkt benötigte. Die Strecke war nass und Lauda fuhr ein vorsichtiges Rennen hinter seinem Widersacher Jody Scheckter, der einen Sieg benötigt hätte, um mathematisch noch Weltmeister werden zu können.

1981: Piquet wurde fast ein Opfer der Wüstenhitze
Wieder benötigte der Weltmeister keinen Sieg, dieses Mal reichte sogar ein fünfter Platz, als sich Nelson Piquet in Las Vegas 1981 den Titel sicherte. Der Brasilianer kämpfte in den letzten Runden mit der Wüstenhitze, sein Kopf schlug in den Kurven von einer Seite zur anderen des Cockpits. Piquet konnte sich nach dem Rennen minutelang nicht mehr bewegen, doch die zwei WM-Punkte reichten ihm, um Carlos Reutemann den Titel vor der Nase wegzuschnappen.

1982: Der Finne, der mit nur einem Sieg Weltmeister wurde
Den letzten Titelgewinn auf amerikanischem Boden konnte 1982 Keke Rosberg, jetzt Manager von Mika Häkkinen, feiern. Auch dem Finnen genügte hier ein fünfter Platz, er wurde der erste finnische Weltmeister und gewann in der damaligen Saison lediglich ein Rennen.

So sieht der Indianapolis Motor Speedway aus
Mit mehr als 250.000 permanenten Sitzplätzen ist der Indianapolis Motor Speedway die größte Motorsportanlage der Welt und auch die älteste, die einst zu Testzwecken für Automobile errichtet worden war. Der Formel-1-Kurs ist 4.195 Kilometer lang. Die Gerade misst 926 Meter, die Rückgerade 535 Meter. Insgesamt besteht die Strecke aus 13 Kurven - 4 Links- und 9 Rechtskurven. Die Streckenbreite beträgt durchschnittlich 14 Meter.

Rekordprojekt Grand-Prix-Kurs
1909 wurde es gebaut, das vier Kilometer lange Oval von Indianapolis. Heute erinnert an den Rennkurs aus Ziegelsteinen nur noch die Ziellinie, die als Erinnerung aus Ziegelsteinen gepflastert ist. Bei ihrem ersten Auftritt in den USA wurde die Startlinie übrigens kurz vor dem Start um 8 Meter nach hinten gelegt, weil Pole Setter Michael Schumacher befürchtete, dass seine Reifen auf den Ziegelsteinen durchdrehen würden und er so einen Nachteil gegenüber den Anderen haben könnte.

Seit dem 2. Dezember 1998 blieb in Indianapolis kaum ein Stein auf dem anderen. Es entstanden 4.195 Kilometer Grand-Prix-Rennstrecke, zusätzliche Tribünen, ein Kontrollturm für die Rennleitung, Boxengaragen und ein großzügiges Pressezentrum. 10.800 Tonnen Kies, 21.200 Tonnen Asphalt, 500.000 Reifen, vier Kilometer Leitplanken und 36 Kilometer Zäune wurden verlegt.

Rund 40 Millionen Dollar sollen in den Umbau der Strecke geflossen sein, auf der am kommenden Sonntag (Start 20.00 Uhr MESZ/live bei RTL und Premiere World) der 16. Lauf zur Formel-1-WM 2001 stattfinden wird. Die genaue Summe wird genauso geheim gehalten, wie die Anzahl der verkauften Tickets. Die Streckenverwaltung spricht von 220.000 bis 250.000 Zuschauern am Renntag.

Die Fahrer erwartet der längste Vollgasanteil aller Strecken
Die Grand-Prix-Strecke des Indianapolis Motor Speedways wurde extra für das Comeback der Formel 1 gebaut. Die Top-Teams schickten im vergangenen Jahr ihre "Spione" an die Strecke, die die Kurven analysieren sollten, um den Teams für die Vorbereitungen wichtige Anhaltspunkte zu liefern. Das Setup ist schwierig zu finden, denn die lange Steilkurve fordert von den Motoren über 20 Sekunden Vollgasanteil und damit auch flache Flügel - nicht einmal Hockenheim oder Monza haben ein solch langes Vollgasstück. Die Tücke stellt das Innenfeld dar, das mit seinen vielen und auch langsamen Kurven nach mehr Flügel verlangt und beinahe so eng wie Budapest ist. Der richtige Kompromiss wird darüber entscheiden, wer schnell ist und wer nicht.

Harte Anforderungen an die Reifen
Der Kurs ist für die Pneus äußerst anspruchsvoll, denn wie erwähnt führt die Strecke teilweise über das Highspeedoval, wo Geschwindigkeiten von über 320 km/h erwartet werden, was die Reifen sehr stark belastet. Für den recht langen Hochgeschwindigkeitsabschnitt wäre eine harte Mischung ideal, doch diese würde auf dem recht engen Innenfeld viel zu wenig Haftung bieten. Aus diesem Grund liefern die Reifenhersteller eine mittlere Reifenmischung an, nachdem man im letzten Jahr herausfand, dass die Steilkurve die Reifen nicht mehr belastet als eine schnelle Gerade.

Angst vor der Betonmauer
Wenn es auf der Steilkurve zu einem Unfall kommen sollte, krachen die Autos direkt ohne Auslaufzone in die Betonmauer. Auf dem Papier hält ein Chassis einen Einschlag von 300 km/h aus - doch die Theorie entspricht leider meistens nicht der Praxis. Die ChampCars sind in den USA speziell für Rundkurse entworfen worden. Sie sind schwerer und das Monocoques ist auf Einschläge in die Bentonmauern optimiert.

BAR-Konstrukteur Malcolm Oastler zeigt sich überzeugt davon, dass die Formel-1-Autos auch für die gefährliche Steilkurve ohne Auslaufzone und Reifenstapel sicher genug sind: "Ich denke, wenn man mit einem 10 Jahre alten Auto mit 290 km/h in die Mauer rasen würde, müsste man sich wirklich Sorgen machen. Die Autos haben sich in den letzten 10 Jahren beträchtlich verändert, insbesondere in den letzten fünf Jahren. Die Monocoques sind von den Crashwerten genauso gut wie die der ChampCars und dort rasen die Jungs gewöhnlicher Weise mit 350 km/h in die Mauer. Ich denke nicht, dass wir ein höheres Risiko eingehen als man es auch in den ChampCars in Kauf nehmen muss." Wie machtlos die Fahrer in ihren Autos sein können, zeigte sich vor wenigen Tagen auf schreckliche Weise für Alessandro Zanardi, dessen Monocoque brach.

Auch beinahe drei Wochen nach den Terroranschlägen auf die USA und dem schweren Unfall von Zanardi kann aber nicht von Normalität geredet werden. Die meisten Teammitglieder reisen in letzter Minute an und so früh wie möglich wieder ab, man befürchtet, im Kriegsfalle in den Staaten festzusitzen. Und trotz verschärfter Sicherheitskontrollen gibt es Sorgen bezüglich weiterer Anschläge. Ein Großteil des Rahmenprogramms ist angesichts der Umstände bereits abgesagt worden.

Spagat zwischen CART und Formel 1
Jacques Villeneuve kannte den Kurs - zumindest das Oval - bereits vor seiner Formel-1-Zeit: Der kanadische Formel-1-Weltmeister von 1997 gewann 1995 die 500 Meilen von Indianapolis, BMW-Williams-Pilot Juan-Pablo Montoya gewann das legendäre Rennen vor fast exakt einem Jahr. Zu Sicherheitsbedenken einiger Kollegen, speziell im Hinblick auf die überhöhte Zielkurve, meinte der Draufgänger letztes Jahr spöttisch: "Ich habe die Strecke beim Anflug auf Indianapolis vom Flugzeug aus gesehen und konnte nichts erkennen, was gefährlich wäre." Das sieht auch Jaguar-Pilot Eddie Irvine so: "Normalerweise wird die Steilkurve linksherum gefahren. Für uns ist sie eine Rechtskurve. Wo soll da das Problem liegen?"

"Die Hauptstadt des Motorsports", wie sich das Speedway selbstherrlich feiert, muss sich erst noch mit der fremden Welt der Formel 1 anfreunden. Der Austragungsort der 500 Meilen von Indianapolis und des Nascar-Rennens "Brickyard 400" bietet sonst Kost für den heimischen Motorsportfan: Vollgas im Kreis direkt an einer hüfthohen Mauer entlang. Die Formel 1 fällt schon allein deshalb aus dem Rahmen, weil die Strecke im Uhrzeigersinn verläuft, weil sie 13 Kurven beinhaltet, davon neun rechtsherum, und weil in der Auslaufzone keine Wand aus Beton, sondern ein Kiesbett steht. Und natürlich sind die amerikanischen Serien viel publikumsnäher als die Formel 1.

Nur ein Streckenabschnitt wird den Indy-Freaks vertraut vorkommen: Auch wenn "Turn one" nicht mehr die erste sondern die letzte Kurve ist und aus der "falschen" Richtung angefahren wird, so erinnert der 400 Meter lange und mit neun Grad überhöhte Bogen doch an den 500-Meilen-Klassiker. Die rund 300 km/h schnelle Kurve ist durch keine Reifenstapel gesichert; die ersten Tribünenreihen befinden sich nur durch einen zehn Meter hohen Zaun geschützt direkt hinter der Mauer.

Das Rennen im Jahr 2000
Mit einer Bestzeit von 1:14.266 Minuten stellt Michael Schumacher seinen Ferrari auf die Pole Position. Im Rennen fährt David Coulthard im McLaren-Mercedes mit 1:14.711 Minuten und einem Schnitt von 201.994 km/h die schnellste Rennrunde. Trotz eines Drehers fünf Runden vor Schluss überquert Michael Schumacher die Ziellinie vor seinem Teamkollegen Rubens Barrichello als Erster. Mika Häkkinen fällt in Runde 25 mit einem Motorschaden auf Platz 2 liegend aus. Heinz-Harald Frentzen lieferte sich im Jordan-Mugen-Honda einen aufregenden Zweikampf mit BAR-Hondas Jacques Villeneuve um Rang 3 und rettet den Podiumsplatz bis ins Ziel.