Von P16 zur Pole: So riss Lewis Hamilton das Ruder nach dem Freitag herum

Am Freitag redete Lewis Hamilton noch vom schlechtesten Gefühl im Mercedes, doch am Samstag fuhr er auf Pole: Tausendstelkrimi gegen Max Verstappen

(Motorsport-Total.com) - Gestern sprach Lewis Hamilton noch von einem Mercedes gefühlsmäßig am Tiefpunkt, doch einen Tag später schnappt sich der siebenmalige Weltmeister die Poleposition zum Formel-1-Rennen in Ungarn 2023. Um gerade einmal 0,003 Sekunden bezwang er Seriensieger Max Verstappen und steht damit zum 104. Mal auf Startposition eins - Rekord.

Titel-Bild zur News: Lewis Hamilton (Mercedes) nach dem Formel-1-Qualifying in Ungarn 2023

Lewis Hamilton bejubelt seine erste Pole seit Saudi-Arabien 2021 Zoom

Doch darauf musste Hamilton lange warten: In Saudi-Arabien 2021 stand der Mercedes-Pilot zum letzten Mal ganz vorne. "Das ist ein außergewöhnliches Gefühl nach so einer langen Zeit. Es fühlt sich nicht wie die 104. Pole an, sondern wie die erste", lacht er und sagt, dass er schon vergessen hat, wie es sich anfühlt, in der Pressekonferenz in der Mitte zu sitzen.

"Es ist schwierig zu erklären, so besonders fühlt es sich an. Wir hatten definitiv nicht erwartet, heute um Pole zu kämpfen", sagt er nach dem schlechten Freitag, nach dem Hamilton erklärt hatte, dass sich das Auto so schlecht wie nie angefühlt habe. Zwar hatte Teamkollege George Russell im vergangenen Jahr ebenfalls die Pole in Ungarn geholt, doch gegen Red Bull rechnete er sich keine Chance aus.

"Aber ich hatte natürlich gehofft, so weit nach vorne wie möglich zu kommen", sagt Hamilton. In Q1 kam er als Siebter ganz gut durch, in Q2 wurde er sogar Zweiter. Auf dieser Position lag er auch nach dem ersten Q3-Run, 0,126 Sekunden hinter Max Verstappen. "Aber ich wusste, dass ich noch Zeit im Auto finden kann."

Vor allem in den Kurven 2, 4 und 11 habe er im Vergleich zu seinen Gegnern verloren. "Ich weiß nicht, ob sie dort lupfen. Das Auto konnte da einfach nicht mithalten in den Runden zuvor, aber in der letzten Runde musste ich einfach alles reinwerfen und hoffen, dass ich auf der Strecke bleibe", schildert er. "Ich war zumindest nah an ihnen dran, aber vor allem unser letzter Sektor war stark."

"Wäre frustriert, wenn ich verloren hätte"

Vor der letzten Kurve lag Hamilton drei Zehntelsekunden vor seiner eigenen Zeit und etwas mehr als eine Zehntelsekunde vor Verstappen, doch dann geriet der W14 noch einmal kurz aus der Balance. "Ich weiß nicht, ob Seitenwind war, aber das Auto ist ziemlich ausgebrochen und ich habe eineinhalb oder knapp zwei Zehntel verloren", schildert Hamilton.

Am Ende kam er aber mit dem knappen Vorsprung von 0,003 Sekunden vor dem Niederländer über den Zielstrich. "Es war knapp, und ich wäre definitiv frustriert, wenn ich das verloren hätte", lacht er und sagt, dass er auf der gesamten Runde nicht einmal geatmet habe. "Ich habe die Luft angehalten, und am Ende ging mir dann der Atem aus."


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Als ihm sein Renningenieur Peter Bonnington schließlich sagte, dass er auf Pole ist, habe Hamilton einfach ein fettes Grinsen im Gesicht gehabt, wie er meint. "Das ist ein tolles Gefühl für alle im Team", sagt er und bezeichnet es als "episch".

"Ich freue mich für alle im Team. Es waren eineinhalb schwierige Jahre. Wir hatten so viele Ideen und haben versucht, den richtigen Pfad zu finden und alle motiviert zu halten. Das war für alle eine Herausforderung. Das Team hat es heute verdient", so Hamilton.

Wie kam es zur Wende?

Doch wie kam die plötzliche Wiederauferstehung nach dem Freitag, den Hamilton nur auf Position 16 beendet hatte?

Er versucht es zu erklären: "Wir sind im Simulator unterwegs, und manchmal fühlt sich der Simulator gut an und manchmal furchtbar. Dann kommen wir an die Strecke und man hofft immer, dass man eine einigermaßen vernünftige Balance hat und dass sich das Auto nicht schlecht anfühlt." Aber: "Neun von zehn Mal steigt man ins Auto ein und denkt sich, man fühlt sich das furchtbar an."

"Die Balance stimmt nicht, die Temperaturen vorne und hinten, es gibt immer eine Dysbalance zwischen den Kurven. Gestern war einfach nicht großartig für uns", so der Brite.

"Aber was wir am besten können: Wir arbeiten in der Nacht hart im Simulator und bekommen für den Samstag eine neue Richtung. Wir haben über Nacht ein paar großartige Veränderungen am Auto vorgenommen, und es hat uns in eine deutlich bessere Position gebracht."

Die Schwierigkeit mit den Reifen

Er sagt, dass Russell und er grundlegend mit dem gleichen Set-up begonnen haben, abgesehen von einer kleinen Änderung am Heck. "Im ersten Training habe ich dann entschieden, mechanisch einen relativ großen Schritt zu machen. Es war ähnlich wie im Simulator, aber mein jetziges Set-up ist besser", so der Mercedes-Pilot.

Im Qualifying sei es dann für ihm vor allem darauf angekommen, die Reifen richtig vorzubereiten: "Man muss die Vorderreifen bereit für Kurve 1 haben, ohne dass man die Hinterreifen überhitzt", so Hamilton. "Das ist vor allem beim harten Reifen das Problem. Es ist schwierig, den Vorderreifen bereit zu haben, aber das wird auf der Runde immer besser."

Auf dem Medium müsse man dann hingegen eine langsamere Outlap fahren, und auf dem Soft dann noch einmal einen weiteren Sprung machen. "Man muss schätzen, wie viel langsamer man dann fahren muss."

Endlich wieder Spaß im Auto

Doch Hamilton bekam es heute hin und wurde mit der neunten Pole in Budapest belohnt - ebenfalls Rekord. Und: Das Fahren habe ihm heute endlich wieder einmal Spaß gemacht. Das war zuvor lange nicht der Fall.

"Es stimmt: Das Auto macht nicht so wirklich Spaß beim Fahren. Letztes Jahr auch nicht. Es gab keinen Tag, an dem das Auto Spaß gemacht hat", erzählt er. "Es ist ein Formel-1-Auto und man möchte Spaß haben, aber es war einfach so nervös. Es ist wie auf rohen Eiern, wenn man das Lenkrad dreht. Man verliert das Heck."


"Aber heute hat Spaß gemacht, wenn man das Auto in die Kurve werfen kann und weiß, dass es einfach kleben wird. Wir hatten auf der Runde aber trotzdem noch zu kämpfen. Uns fehlt immer noch Abtrieb an der Hinterachse. Das ist unsere Schwachstelle. Aber heute hat Spaß gemacht", sagt er.

Dass die Durststrecke irgendwann enden würde, daran habe er immer geglaubt - solange es Mercedes richtig macht. "Es war einfach eine Frage, wie lange das dauern würde", meint er. "Das Auto ist der Zwillingsbruder vom letztjährigen Auto, von daher hat es sich identisch angefühlt. Das hat mir Sorgen bereitet."

"Wir waren auf dieser Reise, einige unserer Entscheidungen richtigzustellen, und es hat deutlich länger gedauert als wir gehofft hatten. Aber wir fangen an, die Vorzüge zu sehen, aber wir haben noch einige große Schritte vor uns, um noch mehr Vertrauen im Auto zu haben und regelmäßig in die erste Startreihe fahren zu können."