• 27.11.2004 11:45

Villeneuve: "Es gab Tage, da wollte ich zu Hause bleiben"

Jacques Villeneuve über die Politik bei BAR, seine Zeit bei Williams und seine Ziele und Erwartungen für 2005 bei Sauber

(Motorsport-Total.com) - Jacques Villeneuve ist zurück und will es noch einmal wissen. Vergessen ist die zermürbende BAR-Honda-Vergangenheit. Der Kanadier ist überzeugt, dass er noch einmal Weltmeister werden kann, wenn man ihm denn nur das richtige Auto gibt. Nach drei Rennen für Renault in diesem Jahr geht er in der kommenden Saison für Sauber an den Start und hat große Ziele.

Titel-Bild zur News: Jacques Villeneuve

Jacques Villeneuve sieht Sauber nicht als Sprungbrett zu einem Top-Team

Villeneuve ist alles andere als ein Leisetreter. Sobald er seinen Mund aufmacht, lässt er einen verbalen Großangriff raus, springt rasant zwischen den Themen, lässt sich den Mund nicht verbiegen. Der Mann ist immer noch so, wie wir ihn kannten, und liebten. Mit ihm zu reden, ist nicht einfach. Ständig umgibt einen die Angst, er könnte dir an den Hals springen - zumindest verbal.#w1#

Jacques ist jedoch nicht mehr der junge, frische Herausforderer. Als er 2003 nach dem Grand Prix der USA vorerst den Formel-1-Ring verließ, ging er nicht als unbezwungener Champion, sondern hatte einige Niederlagen einstecken müssen. Der Kanadier musste einige Schläge verdauen und kam in seinen letzten Monaten in der Königsklasse eher selten zum eigenen Treffer.

In Shanghai enterte er nun wieder die Bühne Formel 1. Große Resultate gab es auch in den drei Rennen für Renault nicht zu feiern. Nun stellt die Öffentlichkeit berechtigt Fragen zu seiner Wettbewerbsfähigkeit im Jahr 2005, wenn er im Sauber um die Kurven jagen wird.
Kann der Ex-Weltmeister eine glanzvolle Rückkehr inszenieren oder wird er dem Feld hinterherfahren?

Frage: "Man sagt, sie seien ein anderer Mensch gewesen, als sie in Shanghai ihr Comeback feierten..."
Jacques Villeneuve: "Das liegt daran, dass die Menschen das Schlimmste erwartet haben. Natürlich habe ich mich verändert und ich war ein anderer als am Ende meiner Zeit bei BAR. Obwohl ich nicht ruhiger und zurückhaltender werden wollte, kam es eben so. Doch in China wieder ins Fahrerlager zu gehen, war wie eine echte Heimkehr. Ich fühlte mich wiederbelebt und bereit, Spaß zu haben - so wie 1996. Es war und ist ein zweiter Beginn für mich."

"Es gab Tage, da wollte ich einfach zu Hause bleiben"

Frage: "Glauben sie, dass sie während der Zwangspause mehr über sich und ihren Sport gelernt haben?"
Villeneuve: "Nicht wirklich, aber nach all den Problemen bei BAR war es nun einfacher, meine gesamte Energie auf den Job zu projizieren. Bei BAR tat ich das auch, aber nur weil ich Profi bin. Nun ist es so, dass ich aufwache und sofort an die Arbeit denke, mitmischen will, so weit es geht. Es gab in den letzten Jahren wirklich Zeiten, in denen ich das nicht haben wollte. Ich tat immer noch alles, was ich konnte, aber es gab Tage, an denen ich aufstand und einfach zu Hause bleiben wollte."

Frage: "Also sind sie zurück in der Formel 1, um etwas zu beweisen?"
Villeneuve: "Nein. Da gibt es nichts, was ich beweisen müsste. Ich bin zurück, weil ich es liebe, Rennen zu fahren. Und wenn ich nebenbei auch noch etwas beweisen kann, dann ist das schön. Aber ich bin ja nur ein Mensch und Stolz spielt natürlich auch eine Rolle. Das ist völlig normal und ich verstecke es nicht. Doch es ist nicht der Grund, dass ich zurück bin. Ich bin einfach wegen der Freude am Fahren zurückgekehrt und wegen des befriedigenden Gefühls, gewollt zu werden. Dieses Gefühl ist immer schön; und das gab es schon länger nicht."

"Es gab keinen Tag, an dem ich nicht alles gegeben habe"

Frage: "Fiel es ihnen schwer, bei BAR die Motivation hochzuhalten, weil sie wussten, dass sie dort nicht richtig gewollt wurden?"
Villeneuve: "Es spielte eine Rolle. Aber es gab keinen einzigen Tag, an dem ich im Auto saß und nicht alles gegeben habe. Ich bin immer am Limit gefahren. Aber manchmal hatte ich einfach weniger zu geben, weil meine Energie auf anderem Terrain aufgebraucht wurde. Gezaudert habe ich nie. Wenn ich mich für etwas entscheide, mache ich es richtig. Ich versuche nicht, mich aus Dingen herauszureden, nur weil es nicht gut läuft."

Frage: "Waren sie zu sehr Teil der Teampolitik bei BAR?"
Villeneuve: "Ich wurde ziemlich früh in diese Politik gesteckt. Doch am Ende war ich nicht mehr Teil von ihr, sondern nur noch Befehlsempfänger. Mit den Ingenieuren und Mechanikern lief es immer ausgezeichnet, doch ich war nur eine oder zwei Stunden im Auto und den Rest der Zeit habe ich im Paddock verbracht. Und ich weiß nicht... eine seltsame Atmosphäre begann sich hier zu verbreiten, eine verzerrte Wahrnehmung meiner Person. Sie war hausgemacht, künstlich und ich weiß immer noch nicht warum. Jeder Journalist begann, alles über mich zu glauben, ohne zu hinterfragen, ob es wahr war. Plötzlich machte mir dies das Leben sehr schwer."

"Ich hatte nicht mehr die volle Kontrolle über mich"

Frage: "Fühlten sie sich machtlos, dagegen anzukämpfen?"
Villeneuve: "Es gab nicht viel, was ich hätte tun können. Ich hatte nicht mehr die volle Kontrolle über mich. Alles was ich machte, war falsch, und das ist ein sehr schwieriges Szenario, in dem man sich da auf einmal befindet. Du kannst ja nur verlieren. Nichts, was du hättest tun können, wäre richtig gewesen."

Frage: "Und wenn sie sich beschwert hätten, wären sie gar noch schärfer kritisiert worden?"
Villeneuve: "Die Wahrheit ist, dass ich mich nie richtig beschwert habe. Ich habe das Team nie hintergangen, nie bloßgestellt. Wenn etwas Schlimmes passierte, ist es uns zusammen passiert. Gab es ein mieses Ergebnis, so war es unser Ergebnis als Team, genauso bei einem guten Resultat. Ich sagte nie: 'Ich bin toll, das Team ist mies.' Am Ende brach es aber auseinander. Sobald jemand etwas Negatives über mich verbreitet hat, haben es sofort alle für bare Münze genommen. Die Leute dachten: 'Alle reden, also machen wir das Gleiche.' Warum? Weil es jeder im Paddock getan hat."

"Es war der Wahnsinn"

Frage: "Aber war das Fahrerlager nicht schon immer so?"
Villeneuve: "Ja, aber ich war sehr enttäuscht. Jeder sprang auf diesen Zug auf, es war der Wahnsinn. Daher war es gut, weg zu sein. Als ich zurückkam, machte dies meine Rückkehr umso positiver."

Frage: "Noch einmal zu der Wahrnehmung der Menschen. Es gibt eine These im Paddock, dass sie während ihrer großen Zeit bei Williams vor allem von dem Top-Paket profitiert hätten und dass das Auto ihre Fähigkeiten übertüncht hätte? Was sagen sie dazu?"
Villeneuve: "Wir waren Weltmeister, das ist alles, was zählt. 1997 begannen wir besser als Ferrari, doch wir machten keinerlei Fortschritte. Zur Hälfte der Saison hatte Michael uns eingeholt und wir mussten reagieren. Im zweiten Teil der Saison lagen beide Teams auf Augenhöhe und wir mussten bis zum letzten Rennen hart kämpfen."

Frentzen musste mit Heads Wunsch-Setup fahren

Frage: "Patrick Head glaubt immer noch, sie hätten den Titel schon früher gewinnen müssen..."
Villeneuve: "Er hat sich schon immer mehr um das zweite Auto gekümmert, weil Frentzen immer darauf bedacht war, Patrick zufrieden zu stellen. Doch sehen sie sich an, wie es Frentzens Saison ruiniert hat. Wir waren besser als er - zum Großteil - obwohl er mit Patricks Wunsch-Settings fuhr. Ich glaube nicht, dass das ein fairer Kommentar ist, doch wozu sollte ich mich darum kümmern? Was zählt, ist, dass ich am Ende gewonnen habe; und dies auf eine aufregende Art und Weise. Das machte es doch umso bedeutender. Was ist daran falsch? Ich bin ziemlich zufrieden damit, wie es gelaufen ist."

Frage: "Zurück zum Hier und Jetzt. Ist Sauber ein Risiko? Wenn sie schnelle Autos fahren wollten, hätten sie doch in die Indy Racing League wechseln können, wo auch Siege realistisch gewesen wären..."
Villeneuve: "Es geht nicht nur darum, in einem schnellen Auto zu sitzen. Ich will gegen die Besten fahren. Und die sind in der Formel 1 - ich habe mich immer klar zur Indy-Serie geäußert, seitdem ich fahre. Dort würde ich nicht starten. Und ChampCar hat zuletzt viel an Reiz verloren."

"Es gibt keine Traumtänzerei"

Frage: "Doch werden sie sich wirklich über sechste und achte Plätze im Sauber freuen können?"
Villeneuve: "Es gibt keine Traumtänzerei. Ich habe das Team besucht, sprach mit Peter und die Chemie stimmte auf Anhieb. Wir redeten und gaben uns die Hände. So muss es sein. Ich weiß, dass jedes Teammitglied hart arbeiten wird. Es ist kein politisches Team. Kritik innerhalb der Gemeinschaft gibt es nicht. Darum ging es mir wirklich; ich wollte mich nicht in einer Situation wieder finden, die ich schon hatte. Man hört immer noch viel von anderen Teams und das muss ich nicht haben."

Sauber für Villeneuve kein Sprungbrett

Frage: "Sauber war für viele Fahrer schon hilfreich, ein Sprungbrett. Sie kamen, fuhren schnell und wechselten zu einem größeren Team. Ist dies ein Denkmodell für sie?"
Villeneuve: "Für mich ist es etwas Anderes. Ich habe schon einen Weltmeistertitel gewonnen, also brauche ich kein Sprungbrett. Dies ist definitiv nicht der Grund, weswegen ich hier unterschrieben habe. Es ist, weil ich glaube, dass wir zusammen einige gute Resultate erreichen können. Ich habe nie daran gedacht, meinen Teamkollegen zu enttäuschen und dann abzuhauen. Das wäre die falsche Einstellung."

Frage: "Welche sind ihre realistischen Hoffnungen für 2005?"
Villeneuve: "Es gibt so viele Regeländerungen, da ist es unmöglich zu wissen, was genau zu erwarten ist. Ich weiß nur, dass wir, auf das Auto bezogen, immer weiter vorankommen. Dann liegt es natürlich an den Reifen und am Motor. Ich weiß nicht, was ich erwarten soll. Ich weiß aber, dass die abgelieferte Arbeit gut sein wird."

Frage: "Können sie wieder Weltmeister werden?"
Villeneuve: "Ja, definitiv. Ich habe es einmal geschafft, ich kann es erneut. Es gibt kein Zeitlimit. Ich fühle mich wie ein Baby, als ob es wieder 1996 wäre. Es gibt noch viel Zeit für mich. Wenn etwas zu einfach ist, macht es keinen Spaß. Ich will gegen andere kämpfen, die ganze Zeit."