Auf dem Weg zum Titel: Vettel in Singapur unschlagbar

Sebastian Vettel ist der König der Nacht: Überlegener Sieg in Singapur vor Alonso und Räikkönen - Deutschland jubelt über alle vier Fahrer in den Punkterängen

(Motorsport-Total.com) - Wer soll diesen Mann stoppen? Sebastian Vettel marschiert mit Siebenmeilenstiefeln seinem vierten WM-Titel entgegen und feiert beim Grand Prix von Singapur seinen vierten Sieg in fünf Rennen. Dass er während der Siegerehrung ein bisschen feuchte Augen hatte, ist verständlich, denn so dominant hat bisher noch niemand das "Night-Race" gewonnen. Für den Red-Bull-Piloten ist es bei der sechsten Auflage schon der dritte Triumph.

Und was für einer! Nur bis zur ersten Kurve lag er hinter Nico Rosberg (Mercedes), der den besseren Start erwischte, aber von da an war er auf dem 5,073 Kilometer langen Stadtkurs eine Klasse für sich. Schon nach vier Runden hatte er 6,2 Sekunden Vorsprung, und als das Rennen in der 31. von 61 Runden wieder freigegeben wurde, fuhr er Rosberg nach dem Restart in zwei Runden erneut um 5,5 Sekunden davon. Dabei hatte man nicht das Gefühl, dass Vettel am Limit war.

Sein Renningenieur Guillaume Rocquelin bremste ihn immer wieder ein: Schone die Reifen, es könnte noch ein Safety-Car kommen! Oder: Pass auf die Vibrationen der Bremsen auf, nimm ein bisschen Tempo raus! Und wenn Vettel die Anweisungen seines Teams beherzigte und vom Gas ging, war er plötzlich nicht mehr zweieinhalb, sondern nur noch eineinhalb Sekunden schneller als der Rest der Welt - eine Machtdemonstration des kommenden Weltmeisters!

1,9 Sekunden Vorsprung nach der ersten Runde

Nur kurz bestand Hoffnung, dass es eine spannende Formel-1-Nacht werden könnte, als Rosberg den besseren Start erwischte. Der Mercedes-Pilot musste aber später als Vettel in die erste Kurve hineinbremsen, um die Führung zu übernehmen, und wurde leicht hinausgetragen. Vettel nutzte dies geistesgegenwärtig, um die Reihenfolge wieder umzudrehen, und konnte sich sofort absetzen. Nach der ersten Runde betrug sein Vorsprung 1,9 Sekunden.

"Ich bin sprachlos, es war ein unglaublich gutes Rennen für uns", staunt Vettel über sich selbst. "Nico kam besser aus den Löchern, aber er rutschte etwas zu weit raus und ich konnte ihn wieder schnappen. Das war wichtig. Das Safety-Car hat uns nicht geholfen, aber nachdem das Safety-Car reinkam, haben wir die Hosen runtergelassen. Das Auto war einfach unglaublich. Zum Ende hin habe ich den Abstand nur noch kontrolliert."

Sebastian Vettel, Nico Rosberg

Nur ein paar Meter lang lag Nico Rosberg am Start des Rennens in Führung Zoom

Nach sechs Runden führte Vettel, der Tempo rausnahm, um seine Supersoft-Reifen zu schonen, 6,6 Sekunden vor Rosberg, 10,0 vor Fernando Alonso (Ferrari) und 11,9 vor Teamkollege Mark Webber. Die besten Starts hatten Alonso und Nico Hülkenberg (Sauber), die je vier Positionen gutmachen konnten; ein bisschen Pech hingegen Lewis Hamilton (Mercedes), der seinen sechsten Platz wegen Verlassens der Strecke an Felipe Massa (Ferrari) zurückgeben musste.

Ricciardo gibt Fahrfehler offen zu

Weil die meisten Fahrer früh angewiesen wurden, die Reifen zu schonen, passierte erstmal nicht allzu viel. Spannung kam erst in Runde 25 in das Rennen, als sich Daniel Ricciardo (Toro Rosso) eingangs der Tribünen-Unterführung verschätzte und dort in die Mauer rauschte. Plötzlich war das Safety-Car im Spiel - und bis auf die Top 4 (Vettel, Rosberg, Webber und Hamilton) kamen alle an die Box. Alonso hatte als Fünfter mit frischen Medium-Reifen auf einmal ganz gute Karten.

Für die Silberpfeile war das hingegen ein negativer Wendepunkt: "Das Safety-Car kam just zum falschen Zeitpunkt für uns raus", seufzt Teamchef Ross Brawn. "Wir hatten das Gefühl, dass es zu früh für uns gewesen wäre, um den Rest des Rennens mit einem Reifensatz durchfahren zu können. Wir haben ja auch bei anderen Autos gesehen, dass es an der Grenze war." Nach ihrem zweiten Stopp waren Rosberg/Hamilton nur noch Neunter und Zehnter.

Aber während Vettel an der Spitze einsam seine Kreise zog, entwickelte sich das Rennen dahinter zu einem hochinteressanten Kampf-Grand-Prix. Der Erste, der mit abbauenden Reifen vom siebten Platz nach hinten durchgereicht wurde, war Sauber-Rookie Esteban Gutierrez. Als Nächster musste sein Teamkollege Hülkenberg das Paket mit Webber, Rosberg, Hamilton und Massa durchlassen - seine Reifen waren immerhin um 16 Runden älter.


Fotos: Großer Preis von Singapur, Sonntag


Tolles Überholmanöver von Räikkönen gegen Button

Zunächst schien es so, als hätte "Reifenflüsterer" Jenson Button strategisch wieder einmal alles richtig gemacht, doch der McLaren-Pilot konnte seinen dritten Platz nicht halten. In der 54. Runde zog Räikkönen außen an ihm vorbei. "Das war sensationell von Kimi", klatscht Experte Marc Surer begeistert Beifall. Dem "Iceman" war trotz des körperlich vielleicht härtesten Rennens des Jahres nichts von seinen gestrigen Rückenschmerzen anzumerken.

"Es hat sich nicht besonders gut angefühlt, und jetzt nach dem Rennen fühlt es sich auch nicht hundertprozentig gut an, aber das ist egal", winkt der Lotus-Pilot ab. "Mein Speed war ziemlich okay. Dann war ich Jenson auf den Fersen und konnte sehen, dass sich seine Reifen dem Ende zuneigten, also habe ich ein bisschen Druck gemacht. Es hat spektakulärer ausgesehen, als es war - ich hatte halt mehr Grip. Du weißt dann mehr oder weniger, wo du zu bremsen hast."

Sebastian Vettel hinter dem Safety-Car

Nicht einmal das Safety-Car konnte Sebastian Vettel in Bedrängnis bringen Zoom

Eine Zeit lang sah es so aus, als würde Räikkönen noch unter Druck von Webber geraten, aber der Australier wurde schon in den letzten Runden immer langsamer und rollte auf den allerletzten Kilometern mit brennendem Heck ganz aus. Erster Verdacht: zu niedriger Wasserdruck, durch den ein Motorschaden ausgelöst wurde. Zurück in den Parc ferme kam der Australier auf seiner Abschiedstournee dann als Seitenkasten-Beifahrer von Kumpel Alonso.

Platz zwei schmeckt für Alonso wie ein Sieg

Der hätte seinerseits als Qualifying-Siebter nie und nimmer mit dem zweiten Platz gerechnet: "Wir wussten, dass wir heute nicht die Pace hatten, also mussten wir uns etwas einfallen lassen. Die erste Möglichkeit war der Start, und dann eine andere Strategie als die anderen. Wir haben beides wahrgenommen: Wir hatten einen sehr guten Start und eine andere Strategie, die sich am Ende mit einem fantastischen Podium ausbezahlt hat. Für uns schmeckt das wie ein Sieg!"

Das Mercedes-Duo belegte die Positionen vier und fünf. "Ist nicht perfekt gelaufen heute, aus vielen Gründen", analysiert Rosberg. "Wir haben entschieden, beim Safety-Car draußen zu bleiben. Ich weiß nicht, aber ich glaube, die anderen hatten auch Glück, dass das Safety-Car so lange draußen geblieben ist, denn die Rundenanzahl hätten wir mit einem Satz Reifen gar nicht geschafft. Von daher weiß ich nicht, ob wir uns etwas vorwerfen können."

Fernando Alonso, Mark Webber

Fernando Alonso macht das Taxi für seinen alten Kumpel Mark Webber Zoom

"Ich hatte Riesen-Gummiteile im Frontflügel drin. Es passiert manchmal, dass die kleben bleiben, und dann funktioniert der Flügel nicht mehr. Das war 15 oder 20 Runden lang der Fall und hat richtig viel Rundenzeit gekostet", ergänzt er. "In dem Chaos am Ende ging's teilweise drunter und drüber. Das ist dann auch schwierig: hinter einem Autos, vor einem Autos, überall Autos! Die vor mir waren richtig langsam. Da musst du aufpassen, denn die bremsen dann zehn Meter früher."

Hülkenberg sauer auf die Rennkommissare

Massa wurde Sechster, Button Siebter, Perez Achter und Hülkenberg Neunter. Der Sauber-Pilot ärgert sich aber wahrscheinlich mehr über die FIA-Rennkommissare, als er sich über die zwei Punkte freut. Denn Derek Warwick & Co. forderten Hülkenberg dazu auf, Perez durchzulassen, mit dem er sich kurz zuvor in der ersten Kurve ein hitziges Duell geliefert hatte, noch dazu im Windschatten des langsam schleichenden Williams von Pastor Maldonado.

"Das verstehe ich nicht", schüttelt Experte Marc Surer den Kopf, der die Situation völlig anders bewertet. Und auch Hülkenberg selbst ist empört darüber, dass er seinen elften Platz wegen Verlassens der Strecke, wie es offiziell begründet wurde, zurückgeben musste: "Ich musste rausfahren, um ihn nicht zu treffen. Ich war vor der Kurve vorne und danach auch. Wo ist das Problem?" Surer tritt nach: "Eine Fehlentscheidung der Kommissare."

Fernando Alonso, Kimi Räikkönen

Heute ohne Chance gegen Vettel: Fernando Alonso und Kimi Räikkönen Zoom

Durch den Webber-Ausfall erbte in der letzten Runde noch Adrian Sutil (Force India) einen Punkt, der davor über weite Strecken nicht groß aufgefallen war. Eigentlich wäre der Zähler für seinen Teamkollegen Paul di Resta reserviert gewesen, der seit seinem späten ersten Boxenstopp quasi außer Sequenz unterwegs war, aber der Schotte rutschte in der Schlussphase mit der Nase voran frontal in die Mauer und vergab alle Chancen.

Pechvogel Grosjean scheidet aus

Der zweite Ausfall neben Ricciardo war heute übrigens Romain Grosjean (Lotus), der lange Zeit im Kampf um die Podestplätze mitmischte, nach der Safety-Car-Phase aber Pneumatikdruck verlor und zu einem Reparaturstopp reingeholt wurde, um Luftdruck ins System aufzunehmen. Wenig später war sein Arbeitstag dann ganz beendet. Webber und di Resta wurden trotz ihrer späten Ausfälle als 15. beziehungsweise 20. gewertet.

In der Weltmeisterschaft sind nun noch sechs Rennen zu fahren und maximal 150 Punkte pro Fahrer zu vergeben. Vettel hat 60 Zähler Vorsprung auf Alonso und 96 auf Hamilton. Rein rechnerisch könnten auch noch Räikkönen, Webber und Rosberg Champion werden, aber das ist graue Theorie. "Wir sind in einer guten Position", muss Vettel nun eingestehen, mahnt aber gleichzeitig: "Die Leute schenken dem Punktestand zu viel Beachtung."

"Die Leute schenken dem Punktestand zu viel Beachtung." Sebastian Vettel

Zumal Alonso noch nicht aufgegeben hat: "Wir sind in der Meisterschaft in einer Position, in der wir nichts mehr zu verlieren haben." Daher könne man riskieren - und das sei heute aufgegangen. Bei den Konstrukteuren ist Red Bull aber wahrscheinlich schon durch: Mit 377 Punkten führt das österreichisch-britische Team vor Ferrari (274), Mercedes (267) und Lotus (206). Weiter geht's am 6. Oktober mit dem Grand Prix von Südkorea.