Vettel erinnert sich: Vom Badestrand ins Formel-1-Cockpit

Sebastian Vettel blickt zurück: Wie ihn Theissen 2006 vom Badestrand in die Formel 1 holte und warum er nach dem Formel-1-Debüt an der Karriere zweifelte

(Motorsport-Total.com) - Als Formel-1-Weltmeister bleibt kaum Zeit zum Entspannen. Diese Erfahrung musste Sebastian Vettel in der Winterpause machen: Der Heppenheimer wurde von einer Veranstaltung zur nächsten gereicht, er gibt zu, dass die Fülle an PR-Veranstaltungen durchaus an seiner Substanz gezehrt hat. Dennoch ist für ihn klar: "2009 wurde ich Zweiter in der Weltmeisterschaft - zehnmal lieber das volle Programm!"

Titel-Bild zur News: Mario Theissen und Sebastian Vettel

Vettel musste sich rasch auf sein Debüt in Theissens Team einstellen

Zumal es Vettel gewohnt ist, für die Formel 1 auf Urlaube zu verzichten. Im Sommer 2006 hatte der Youngster - damals gerade in der Formel-3-Euroserie tätig - sein Abitur abgeschlossen und machte sich auf den Weg nach Griechenland, um sich in der Sonne von den Lernstrapazen zu erholen. "Die Anreise dauerte ewig", erinnert er sich gegenüber dem 'Telegraph'. Er plante damals ein Maschinenbau-Studium an der Universität, die Formel 1 war weit weg. Zwei Tage lang.

"Plötzlich erhielt ich einen Anruf von Mario Theissen, dem Chef des BMW Sauber F1 Team", erzählt Vettel. "Sie hätten sich entschieden, mich in der Türkei testen zu lassen, übermorgen würden wir einen Sitz anpassen." Der Youngster, der von BMW und Red Bull gefördert wurde, musste den Urlaub abbrechen: "Ich packte mein Zeug, fuhr den weiten Weg in die Schweiz zur Sauber-Fabrik. So bin ich damals in die Formel 1 gekommen - als Testfahrer. Natürlich visiert man dann ein Renncockpit an."

Keine Urlaube in der Jugend

Es hatte sich einmal mehr ausgezahlt, einen Urlaub abzublasen: Vettel verblüffte beim Freitagtraining in der Türkei mit der Bestzeit. Gewohnt war er diesen Verzicht aber ohnedies. "Wir sind nie auf Urlaub gefahren", blickt er auf seine Jugend zurück. Zu teuer war die Motorsport-Karriere des Sohnes, die Eltern investierten ihr ganzes Geld in das kostspielige Hobby.

"Meine Eltern haben viel Geld investiert", bestätigt Vettel. "An den Wochenenden waren wir auf der Kartbahn, im Winter waren wir nie Skifahren. Es ging aber nicht immer um Leistung, beim Kartfahren stand der Spaß im Vordergrund." Umso beeindruckender, mit welcher Akribie er schon damals am Werk war. Förderer Gerd Noack: "Vom ersten Tag an war er einer der ersten, die gekommen sind und einer der letzten, die gegangen sind."

"Der Motorsport ist ein sehr wackeliges Investment." Sebastian Vettel

Trotz des großen Erfolges ist er über die enorme Unterstützung seiner Eltern in jungen Jahren etwas verblüfft: "Es gibt so viele Risiken, weshalb man sein Geld vielleicht eher zurück in die Tasche stecken sollte. Was passiert, wenn ich mir den Fuß breche, oder einen Unfall habe und das ganze Jahr lang pausieren muss? Motorsport ist sehr teuer. Wenn du dich verletzt, kümmert es niemanden, wenn du vor zwei Jahren eine gute Saison hattest. Es ist ein sehr zweifelhaftes Investment."

Ernüchterndes Formel-1-Debüt bei Williams

Als er bei Williams 2005 mit 18 Jahren in Jerez testen durfte, kamen große Zweifel am Formel-1-Traum auf. Zu extrem waren die Fliehkräfte für den Teenager. "Nach fünf Runden kam ich an die Boxen zurück und versuchte es cool herunterzuspielen", so Vettel. "Ich sagte, es würde gut laufen, ich hätte alles im Griff. In Wahrheit war ich komplett verloren. Ich sagte zu mir, sei stolz, ein echtes Formel-1-Auto getestet zu haben, doch das ist etwas für richtige Männer, nicht für dich."

Nach einer Weile gewöhnte sich Vettel aber an die Formel 1, heute zählt er zu den Besten. Ob er manchmal Angst hat? Der Red-Bull-Pilot erinnert sich an eine Begegnung mit einem ehemaligen deutschen Rennfahrer, der ihm eine Liste der Toten in der "Königsklasse" seit 1950 in die Hand drückte. "Diese Leute und ich teilten die gleiche Leidenschaft. Natürlich waren es andere Zeiten, die Autos waren anders, sie sind heute viel sicherer. Natürlich besteht ein Risiko und alles kann passieren. Es ist ein fürchterliches Gefühl, wenn du bei so hoher Geschwindigkeit die Kontrolle verlierst und nichts tun kannst, um einen Aufprall zu verhindern. Ich stelle mir vor, dass es sich so anfühlt wie bei einem Flugzeug-Crash."

"Ich sagte, es würde gut laufen, doch in Wahrheit war ich komplett verloren." Sebastian Vettel

Newey schwärmt von Vettels Charakter

Doch das sensationelle Gefühl, den Boliden an den Grenzen der Physik zu bewegen, lässt ihn über die Risiken hinwegsehen. Zumal Vettel offensichtlich über eine außerordentliche Begabung verfügt. Doch was ist es wirklich, was den Heppenheimer über die meisten Konkurrenten stellt?

Red-Bull-Stardesigner Adrian Newey versucht sich gegenüber dem 'Telegraph' in einer Erklärung: "Bei jedem Sportler auf seinem Level handelt es sich um eine Mischung aus den richtigen Genen und harter Arbeit. Manchmal gibt es Fahrer, die weniger begabt sind, durch harte Arbeit aber dennoch Erfolg haben. Und dann gibt es welche, die sehr talentiert, aber faul sind. Die finde ich besonders mühsam. Doch Sebastian ist ein sehr heller Kerl, der viel darüber nachdenkt, was er tut, und immer etwas lernen will."

"Manche Fahrer haben bis in ihre frühen 30er nicht so viel Selbstvertrauen wie Sebastian." Adrian Newey

Newey ortet noch eine weitere besondere Qualität: "Sebastian hat einen ehrlichen Enthusiasmus. Er ist in seinen Ansichten bedacht, offen und ehrlich, was für so einen jungen Kerl bemerkenswert ist. Manche Fahrer haben bis in ihre frühen 30er nicht so viel Selbstvertrauen." Vettels dänischer Mechaniker Ole Schack bestätigt dessen freundliches Gemüt und erinnert sich an eine typische Situation am Flughafen in Bahrain: "Als wir das Flugzeug verließen, hatte Sebastian unser Gepäck bereits vom Förderband genommen und in einer Reihe aufgestellt. So formiert man ein Team."