• 11.09.2008 09:27

Vasselon: "Es ist mit großen Unterschieden zu rechnen"

2009: Toyota-Technikchef Pascal Vasselon erklärt im Interview, was es mit neuer Aerodynamik, verstellbarem Frontflügel und Co. auf sich hat

(Motorsport-Total.com) - Frage: "Pascal, mit dem Blick auf das nächste Jahr, was sind die Gründe für die Änderungen in den Aerodynamikvorschriften?"
Pascal Vasselon: "Die Änderungen verfolgen im Prinzip drei Hauptzwecke: Der erste ist, den Fahrern mehr Möglichkeiten zum Überholen zu geben, der zweite, die Leistung der Autos und die ständige Zunahme der Geschwindigkeiten zu begrenzen, und der dritte, den Fahrzeug ein saubereres Aussehen zu geben, indem sie von kleineren aerodynamischen Teilen wie Winglets, Leitblechen und Kaminen bereinigt werden."

Titel-Bild zur News: Pascal Vasselon

Pascal Vasselon erklärt die Auswirkungen der neuen Aerodynamikregeln

Frage: "Wie wird sich das Aussehen der Autos ändern?"
Vasselon: "Eines der Schlüsselelemente hinter den Änderungen war das Bestreben, den Autos ein besseres, saubereres Aussehen zu geben. Das jetzige Aussehen der Autos ist nicht nur durch rein aerodynamische Überlegungen diktiert. Stattdessen haben wir mit sogenannten Legalitätsboxen gearbeitet. Das sind bestimmte Bereiche des Autos, in denen zusätzliche abtriebsgenerierende Ausrüstungen erlaubt sind. Ihre Lage ist nicht allein durch physikalische Gesichtspunkte vorgegeben, denn wenn man einen Rennwagen aus rein aerodynamischer Sicht konstruiert, erhält man schöne, fließende Formen, nicht Winglets und dergleichen. Die Regeln für nächstes Jahr sind so verfasst, dass wir solche Teile nicht mehr sehen werden."#w1#

Zwei Mechanismen für mehr Überholmanöver

Frage: "Wie soll die neue Aerodynamikregelung das Überholen erleichtern?"
Vasselon: "Die neuen Regeln beabsichtigen, die Autos aerodynamisch unempfindlicher gegenüber der Wirbelschleppe des Vordermanns zu machen, also gegenüber den Luftwirbeln unmittelbar hinter einem Rennauto mit hoher Geschwindigkeit. Dies ist von der Overtaking-Working-Group in zweifacher Weise angegangen worden. Die erste Zielsetzung ist, den Wirbelstrom der Formel-1-Autos weniger störend für das nachfolgende Fahrzeug zu machen, und die zweite besteht darin, die aerodynamische Leistung gegenüber dem Wirbelstrom unempfindlicher zu machen."

"Man muss etwas dagegen tun, dass die Wirbelschleppe wie in der jetzigen Situation die Leistung des dahinter fahrenden Autos stark beeinträchtigt." Pascal Vasselon

Frage: "Warum holt die Formel 1 die Slickreifen zurück?"
Vasselon: "Die Slickreifen sind ein weiteres Element, mit dem das neue Reglement das Überholen erleichtern soll, und sie spielen in diesem ganzen Konzept eine wichtige Rolle. Um das Überholen leichter zu machen, muss man etwas dagegen tun, dass die Wirbelschleppe wie in der jetzigen Situation die Leistung des dahinter fahrenden Autos stark beeinträchtigt. Man kann aber auch die Balance zwischen der aerodynamischen Performance und dem mechanischen Grip verändern, um den Leistungsabfall des nachfolgenden Autos zu begrenzen. Die Verbesserung des mechanischen Grips war ein wichtiger Gesichtspunkt dieser Regelung. Offensichtlich bleibt der mechanische Grip in der Wirbelschleppe des Vordermanns unverändert und Slickreifen leisten einen Beitrag, weil sie einen höheren Grip bieten als Rillenreifen."

Frage: "Welche Auswirkungen hat der verstellbare Frontflügel?"
Vasselon: "Der verstellbare Frontflügel ist ein weiterer Gesichtspunkt, der dazu beiträgt, den Einfluss der Wirbelschleppe auf das nachfolgende Auto zu reduzieren. Typisch für das nachfolgende Fahrzeug ist, dass es vorne an Abtrieb verliert und dadurch untersteuert. Die neuen Regeln versuchen, diesen Effekt zu minimieren, verschwinden wird er aber nicht."

"Eine andere Möglichkeit besteht darin, dem Fahrer eine aktive Veränderung der Fahrzeugbalance zu ermöglichen, was sich am einfachsten über eine Verstellung des Frontflügels bewerkstelligen lässt. Wenn beim Verfolger Untersteuern auftritt, kann der Fahrer den Stellwinkel des Frontflügels vergrößern, um eine bessere Balance zu haben. Auch dabei geht es wieder darum, den dicht hinter dem Vordermann auftretenden Leistungseinbruch zu begrenzen und dadurch die Chancen zum Überholen zu verbessern. Auch wenn er nicht hinter einem anderen Auto fährt, kann der Fahrer den verstellbaren Flügel dazu nutzen, potentielle Balanceprobleme in bestimmten Kurven zu kompensieren. Die Fahrer haben nächstes Jahr auf jeden Fall alle Hände voll zu tun!"

Umfangreiche Änderungen eine Herausforderung

"Für die Formel 1 sind wir noch ein sehr junges Team, das bemüht ist, den Anschluss an andere zu finden." Pascal Vasselon

Frage: "Wie schwierig ist es, den neuen Regeln zu entsprechen?"
Vasselon: "Natürlich sind sie eine Herausforderung, weil die Änderungen sehr umfangreich sind. Ich muss aber sagen, dass diese Herausforderung durchaus auch interessant und aufregend ist, besonders angesichts der Situation unseres Teams. Für die Formel 1 sind wir noch ein sehr junges Team, das bemüht ist, den Anschluss an andere zu finden, die mehr Erfahrung mit der Handhabung der Regeln haben. Mit den neuen Regeln erfolgt nun bei der diesbezüglichen bisherigen Erfahrung eine Rückstellung auf Null und alle Teams müssen wieder von vorne beginnen. Wir haben den Mitarbeitern unseres Teams volle kreative Freiheit gegeben, ohne irgendwelche Restriktionen, und das hat durchaus lohnende Resultate gebracht. Es ist also eine Herausforderung, auf die einzugehen seine Reize hat."

Frage: "Bist du mit den bisherigen Fortschritten zufrieden?"
Vasselon: "Ja. Ich glaube, wir haben einige gute Fortschritte gemacht, aber bis zum ersten Rennen weiß man natürlich nie, wie konkurrenzfähig man wirklich ist. Und das gilt besonders in Bezug auf die neuen Regeln. Es war bisher eine interessante Erfahrung. Wenn man an einem neuen Konzept wie diesem arbeitet, sind die Schritte, die man zu Anfang macht, zwangsläufig relativ groß. Man geht morgens zur Arbeit und wenn der Feierabend kommt, stellt man fest, dass man wieder etwas Bedeutendes gefunden hat. Es ist eine dankbare Tätigkeit."

Frage: "Sind die Erwartungen größer als sonst in Bezug auf die Lösungen der anderen Teams?"
Vasselon: "Wir freuen uns alle darauf zu sehen, wie die neuen Autos aussehen, weil alle Teams daran arbeiten, ohne einander in die Karten zu schauen. Es ist daher mit größeren Unterschieden zu rechnen als etwa in den letzten Jahren, auch wenn die Regeln jetzt sehr viel restriktiver geworden sind. Innerhalb des verbleibenden Spielraums werden aber sehr unterschiedliche Lösungen zu sehen sein."

Frage: "Lässt sich das, was dieses Jahr in der Aerodynamik gelernt wurde, auch auf das Auto für 2009 übertragen?"
Vasselon: "Das bessere Verständnis zur Aeroperformance eines Formel-1-Autos ist teilweise übertragbar, das Verständnis zu speziellen Teilen des TF108 aber nicht. So einfach ist das. Die Regeln haben sich so stark geändert, dass etwa das Wissen dazu, wie man das beste Verhalten mit einem Luftleitblech erzielt, beim Auto führ 2009 nicht mehr sonderlich relevant ist."