Übersicht: Die Rennleiter der Formel 1
Die Vorgänger von Rui Marques als Rennleiter der Formel 1: Welche Motorsport-Funktionäre seit 1988 den Rennbetrieb der "Königsklasse" verantwortet haben
(Motorsport-Total.com) - Kaum ein Job im internationalen Motorsport ist so anspruchsvoll wie der des Formel-1-Rennleiters. Denn keine andere internationale Rennserie steht so sehr im Fokus der Öffentlichkeit wie die "Königsklasse". Wer also sind die Männer, die im Auftrag des Automobil-Weltverbands (FIA) seit Jahrzehnten den Rennbetrieb in der Formel 1 leiten und über die Einhaltung der Regeln wachen?
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Fotomontage: Die Formel-1-Rennleiter Wittich, Whiting und Masi (von links) Zoom
Dieser Artikel stellt die Formel-1-Renndirektoren seit 1988 vor, schildert ihre Werdegänge im Motorsport, ihr Wirken in der Formel 1 und auch die prägenden Momente ihrer Amtszeiten sowie die Gründe, weshalb es zu Wechseln auf der Rennleiter-Position kam - in absteigend chronologischer Reihenfolge mit dem aktuellen Formel-1-Rennleiter ganz oben.
Rui Marques (2024)
Mit Rui Marques ist zum zweiten Mal ein Portugiese als Formel-1-Rennleiter tätig. Er trat kurz vor Schluss der Saison 2024 die Nachfolge von Niels Wittich an, dessen Aus ungewöhnlicherweise vor dem finalen Triple-Header verkündet wurde.
Marques hat sich über viele Stationen hinweg für höhere Aufgaben empfohlen: Er war Sportwart, Sportkommissare, Rennleiter-Stellvertreter und Rennleiter in unterschiedlichen Meisterschaften. Zuletzt verantwortete er als Rennleiter zwei Jahre lang die beiden direkten Formel-1-Nachwuchsklassen Formel 2 und Formel 3.
Eduardo Freitas (2022) und Niels Wittich (2022-2024)
Als Nachfolger von Michael Masi bestellte die FIA nicht einen, sondern gleich zwei Rennleiter, die in dieser Rolle alternieren sollten. So gelangte der Portugiese Eduardo Freitas in die Formel 1, nachdem er zuvor über viele Jahre lang die Langstrecken-WM (WEC) sowie weitere, mehrheitlich Sportwagen-Meisterschaften geleitet hatte.
2022 kam er bei insgesamt acht Grands Prix als Rennleiter zum Einsatz, zuletzt beim Japan-Rennen in Suzuka. Das Wochenende wurde von einem Zwischenfall überschattet, bei dem ein Bergefahrzeug auf die nasse Strecke fuhr, um den Ferrari von Carlos Sainz wegzuschaffen - obwohl der Grand Prix nicht vollständig neutralisiert war.
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FIA-Rennleiter Eduardo Freitas in der Formel-1-Saison 2022 Zoom
Das brachte Freitas viel Kritik ein und um die Weiterbeschäftigung als Rennleiter: Eine FIA-Untersuchung hatte ein fehlerhaftes Vorgehen seinerseits ergeben, sodass ab dem folgenden Grand Prix in Austin einzig der Deutsche Niels Wittich der Formel-1-Rennleiter war. Freitas wiederum konzentrierte sich wieder auf seine Rollen im Sportwagen-Bereich.
Wittich war über die Stationen GT-Masters, Formel E und DTM auf das Formel-1-Radar gekommen und übernahm Ende 2021 zum Beispiel die Inspektion der Formel-1-Rennstrecken für die FIA. 2022 kam zunächst in Zusammenarbeit mit Freitas die Rennleiter-Position dazu, die er ab Herbst 2022 allein ausfüllte.
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Formel-1-Rennleiter Niels Wittich Zoom
Unter Freitas/Wittich setzte der Weltverband einige Regeln durch, die zuvor weniger streng gehandhabt wurden, zum Beispiel verschärfte Richtlinien für das Tragen von Schmuck. Das sorgte teilweise für Entrüstung unter den Beteiligten, unter anderem bei Lewis Hamilton. Andererseits erwies sich Wittich als Nachfolger von Masi als verlässliche Größe an der Spitze der Motorsport-"Königsklasse".
Umso überraschender kam sein Aus im November 2024, drei Grands Prix vor Saisonende: Laut FIA-Angaben ist Wittich "von seiner Position als Formel-1-Rennleiter zurückgetreten", Wittich selbst aber bestreitet das. So oder so: Er wurde umgehend ersetzt.
Michael Masi (2019-2021)
Der Australier Michael Masi ist eine tragische Gestalt unter den Rennleitern der Formel 1. Denn als er ins oberste Amt befördert wurde, trat er einerseits in die großen Fußstapfen von Charlie Whiting, andererseits war er wohl noch nicht bereit für die ganz große Bühne. Als Whiting-Stellvertreter hatte man zwar damit begonnen, ihn auf die Formel-1-Rolle vorzubereiten, aber in der Annahme, die Ablösung erfolge erst weit in der Zukunft.
Immerhin: Masi kam 2019 mit der Rennleiter-Erfahrung aus der australischen Supercars-Tourenwagen-Serie sowie der Formel 2 und der Formel 3 in die Formel 1. Aufgrund des plötzlichen Tods von Whiting aber wurde er beim Australien-Grand-Prix ins eiskalte Wasser geworfen und arbeitete ab Tag eins mit der Bürde, "nicht Charlie Whiting" zu sein. Sein Einsatz wurde von Anfang an kritisch bewertet.
In seiner kurzen Zeit als Formel-1-Rennleiter kam es wiederholt zu strittigen Szenen, allen voran in der Saison 2021: Masi "verhandelte" in Saudi-Arabien live am Funk über Positionsrückgaben vor dem Restart und ließ unter Schlechtwetter in Belgien nur drei Rennrunden hinter dem Safety-Car fahren, wovon am Ende eine in die offizielle Wertung einging.
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Formel-1-Rennleiter Michael Masi in der Saison 2021 Zoom
Negativer Höhepunkt aber war das Formel-1-Finale 2021 in Abu Dhabi: Ein Unfall kurz vor Schluss hatte eine Safety-Car-Phase notwendig gemacht. Masi setzte sich dann über die Restart-Regularien hinweg, sortierte das Feld nicht komplett durch und ordnete einen Restart zur letzten Runde an. Auf frischen Reifen überholte Max Verstappen noch Lewis Hamilton und entschied so die Fahrer-WM für sich.
Der Aufschrei war entsprechend groß und Masi in den Augen des Weltverbands nicht mehr zu halten. Obwohl ein Mercedes-Protest gegen das Rennergebnis fehlschlug, trennte sich die FIA gut zwei Monate später von ihrem Formel-1-Rennleiter. Seine Entlassung wurde im Fahrerlager mehrheitlich begrüßt, allen voran von Mercedes-Teamchef Toto Wolff, der Masi als eine "Bürde" für die Formel 1 bezeichnete.
Masi ging daraufhin zurück in seine Heimat Australien und wurde Vorsitzender der Supercars-Kommission. Abu Dhabi 2021 aber holte ihn immer wieder ein: Aufgrund von anhaltender Kritik und Drohungen im Internet holte sich Masi psychologischen Beistand.
2023 bot er Hamilton am Rande des Australien-Grand-Prix in Melbourne eine Aussprache an. Hamilton aber lehnte ab: Es gäbe "nicht zu sagen", so der Formel-1-Fahrer.
Charlie Whiting (1997-2019)
Der Brite Charlie Whiting stieg 1977 als Mechaniker beim Hesketh-Team in die Formel 1 ein, wechselte nach dessen Aus aber alsbald zu Brabham, dem Rennstall des späteren Formel-1-Chefs Bernie Ecclestone. Whiting mauserte sich zum Chefmechaniker und war maßgeblich an den beiden WM-Titelgewinnen mit Nelson Piquet in den Jahren 1981 und 1983 beteiligt.
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Charlie Whiting und Bernie Ecclestone am Brabham von Riccardo Patrese Zoom
1988 wechselte Whiting die Seiten und schloss sich der FIA an. Als technischer Delegierter arbeitete er weiter in der Formel 1 und empfahl sich so als Nachfolger für Roger Lane-Nott. Zur Saison 1997 übernahm Whiting dessen Rollen als Rennleiter und Sicherheitsdelegierter.
Am sichtbarsten wurde Whiting durch seine Funktion als offizieller Grand-Prix-Starter, aber auch hinter den Kulissen war er ein gefragter Mann: als letzte Instanz in Sachen Formel-1-Regeln oder als Inspekteur von aktuellen und künftigen Rennstrecken, als Berater in sämtlichen Sicherheitsfragen.
In seine Amtszeit als Formel-1-Rennleiter fallen unter anderem die Einführung des Head-and-Neck-Supports (HANS) zum besseren Schutz von Kopf und Nacken im Rennauto (verbindlich seit 2003) sowie die Einführung des Cockpitschutzes Halo in der Saison 2018.
Schon in seinem ersten Jahr als Formel-1-Rennleiter bekam es Whiting mit einer Kontroverse zu tun: Michael Schumachers "Rammstoß" gegen Titelrivale Jacques Villeneuve beim Saisonfinale 1997 in Jerez.
2005 beim USA-Grand-Prix in Indianapolis war Whiting eine Schlüsselperson im Michelin-Reifenskandal, weil er sich auf Grundlage der damaligen Regeln weigerte, eine zusätzliche Schikane einzubauen oder andere Reifen zuzulassen. Whiting selbst schlug wiederholte Reifenwechsel oder Fahrten durch die Boxengasse vor, außerdem ein Speedlimit in der Steilkurve, aber die Michelin-Teams lehnten ab und fuhren nicht.
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Charlie Whiting war über zwei Jahre lang Formel-1-Rennleiter Zoom
Die wohl größte Tragödie seiner Amtszeit als Formel-1-Rennleiter ereignete sich 2014 beim Japan-Grand-Prix in Suzuka, als Jules Bianchi unter doppelt Gelb von der regennassen Fahrbahn rutschte und in ein Bergefahrzeug krachte. Bianchi zog sich schwerste Kopfverletzungen zu und starb rund ein halbes Jahr nach dem Unfall.
Whiting überlebte ihn nur um wenige Jahre: Der damals 66-Jährige starb völlig überraschend unmittelbar vor dem Saisonauftakt 2019 an einer Lungenembolie, sodass ihn die Formel 1 binnen weniger Stunden ersetzen musste.
Für sein Wirken hatte schon zu Lebzeiten viel Lob, aber auch Kritik erfahren: Mitunter attackierten ihn Fahrer wie Sebastian Vettel mit deutlichen Worten am Funk. Whiting verstand es jedoch stets, die Wogen wieder zu glätten. Diese Eigenschaft wurde auch nach seinem Tod vielfach betont, zusammen mit seinem technischen Verständnis und seinem Fingerspitzengefühl für Reglement-Entscheidungen.
Roger Lane-Nott (1996)
Der Brite Roger Lane-Nott hat einen ungewöhnlichen Werdegang für einen Motorsport-Funktionär, denn seine berufliche Laufbahn begann beim Militär. Genauer: in der britischen Marine.
1974 erhielt er dort sein erstes Kommando als U-Boot-Kapitän und nahm in dieser Funktion 1982 am Falklandkrieg teil. Später kommandierte Lane-Nott ganze Flotten und koordinierte sämtliche NATO-U-Boote im östlichen Atlantik. 1995 verließ er die Marine im Rang eines Konteradmirals.
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Formel-1-Rennleiter Roger Lane-Nott (links) in der Saison 1996 Zoom
Zur Saison 1996 vollzog Lane-Nott einen Karrierewechsel und stieg als Rennleiter in die Formel 1 ein. Doch schon nach einem Jahr war er wieder weg - weil er sich mit anderen FIA-Funktionären nicht darüber einig wurde, wie die Dinge in der Formel 1 am besten zu regeln wären, so heißt es.
Der damalige FIA-Präsident Max Mosley jedoch lobte Lane-Nott für dessen Einsatz in der Formel 1 und dafür, neue Abläufe in der Rennserie etabliert und frische Ansätze eingebracht zu haben.
Nach seiner Formel-1-Zeit engagierte sich Lane-Nott unter anderem als Funktionär im britischen Rennfahrerklub BRDC und war ab 2006 als Geschäftsführer einer Agrargenossenschaft in England tätig. 2014 ging er mit 69 Jahren in den Ruhestand.
Roland Bruynseraede (1988-1995)
Der Belgier Roland Bruynseraede hatte sich auf seiner Heimstrecke in Zolder einen Namen als Rennleiter gemacht, ehe er in den 1980er-Jahren auch in die Durchführung internationaler Motorsport-Veranstaltungen involviert wurde. Das führte ihn in die Formel 1: 1986 übernahm er die Rolle des Starters von Derek Ongaro. Zwei Jahre später machte die FIA Bruynseraede zum Formel-1-Rennleiter und Sicherheitsdelegierten.
In die Amtszeit von Bruynseraede fallen mehrere markante Formel-1-Kontroversen wie zum Beispiel die WM-entscheidenden Kollisionen zwischen Alain Prost und Ayrton Senna 1989 und 1990 beim Japan-Grand-Prix in Suzuka sowie der ebenfalls WM-entscheidende Unfall zwischen Damon Hill und Michael Schumacher beim Australien-Grand-Prix 1994 in Adelaide.
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Formel-1-Rennarzt Sid Watkins mit Formel-1-Rennleiter Roland Bruynseraede (rechts) Zoom
Ebenfalls 1994 ereignete sich beim San-Marino-Grand-Prix in Imola eine der größten Formel-1-Tragödien mit den tödlichen Unfällen von Roland Ratzenberger und Senna binnen weniger Stunden. Als Rennleiter stand Bruynseraede im Fall Senna in Italien vor Gericht, wurde aber von einer Unfallverantwortung freigesprochen.
Nach der Saison 1995 wechselte Bruynseraede ebenfalls als Rennleiter in die internationale Tourenwagen-Meisterschaft ITC, die jedoch alsbald wieder eingestellt wurde. Im Deutschen Tourenwagen-Masters ab 2000 war Bruynseraede dann erneut der Rennleiter. Nach einem chaotischen DTM-Lauf 2007 am Lausitzring entließ die Rennserie Bruynseraede und ersetzte ihn durch Sven Stoppe.
Bruynseraede trat nach seiner DTM-Zeit gelegentlich als Rennleiter bei Motorsport-Veranstaltungen in Belgien in Erscheinung.
Alle Rennleiter der Formel 1 seit 1988:
Rui Marques (Portugal), seit 2024
Niels Wittich (Deutschland), 2022-24
Eduardo Freitas (Portugal), 2022
Michael Masi (Australien), 2019-21
Charlie Whiting (Großbritannien), 1997-2019
Roger Lane-Nott (Großbritannien), 1996
Roland Bruynseraede (Belgien), 1988-1995
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