Überlebenskünstler Kolles: "Brauche immer einen Plan B"

HRT-Teamchef Colin Kolles erklärt, wie es trotz der Rückschläge gelungen ist, ein neues Auto zu bauen und wann das erste Aero-Paket kommt

(Motorsport-Total.com) - Alle sprechen von McLaren, wenn es um den größten Profiteur des verschobenen Saisonauftakts geht. Doch die wahren Gewinner befinden sich möglicherweise in den hinteren Reihen der Startaufstellung. HRT hat bis jetzt keinen Meter mit dem neuen F111 zurückgelegt - auch mit einem Einsatz beim letzten Test der Saison wäre es knapp geworden. Da durch die Bahrain-Absage nicht in der Wüste getestet wird, sondern im nahen Barcelona, sollte der Premiere nichts mehr im Weg stehen.

Titel-Bild zur News: Colin Kolles (Teamchef), Geoff Willis

Bewundernswert: Geoff Willis und Colin Kolles kämpfen gegen Windmühlen

"Wie immer habe ich Glück", grinst Teamchef Colin Kolles gegenüber 'Autosport'. Die Bahrain-Absage habe "niemandem geschadet, aber auch nicht nur uns geholfen." Der Deutsche mit rumänischen Wurzeln gibt Einblicke, wie weit man mit dem neuen Auto ist: "Es war der Plan, in Bahrain zu fahren, jetzt wird das Auto beim Test in Barcelona fertig sein. Bis zum Ende dieser Woche sollten wir fertig sein. Natürlich sind wir jetzt nicht so unter Zeitdruck, also werden wir gewisse Dinge vielleicht noch einmal überdenken. Vielleicht gehen wir beim Testen unseren eigenen Weg, vielleicht machen wir den Shakedown woanders. Wir machen, was für uns am besten ist."

HRT stand vor dem Nichts

Die letzten Monate waren für das Team von "Überlebenskünstler" Kolles ein Wettlauf gegen die Zeit. Nach der Trennung von Dallara, wo man den enttäuschenden 2010er Boliden bauen ließ, hatte man vor, den nie eingesetzten Toyota TF110 als Basis für das neue Auto zu verwenden. Doch der Deal platzte und HRT stand nach Saisonende ohne Perspektive da. Andere Rennställe hatten zu diesem Zeitpunkt bereits einige Monate lang am neuen Boliden gebastelt.

Doch Kolles wäre nicht Kolles, hätte er nicht auch für diese ausweglose Situation eine Lösung gehabt. "Wir haben an unterschiedlichen Optionen gearbeitet", bestätigt der ehemalige Zahnarzt. "Man benötigt immer einen Plan B. Das ist meine Strategie. Natürlich haben wir später als die anderen begonnen, doch es ist wie es ist. Als Basis unserer Vergleiche diente der Dallara - dann weiß man, was man tun muss, um ein modernes Formel-1-Auto zu bauen."

"Eigentlich sind wir sehr modern und futuristisch." Colin Kolles

Dabei griff Kolles auf die Geschicke des technischen Direktors Geoff Willis zurück. Der Brite hat einen guten Ruf und zog bereits das BAR-Team Anfang des Jahrtausends aus der Krise. Er und seine Designcrew wurden von freiberuflichen Ingenieuren unterstützt. "Es brauchte rund 40 Ingenieure, um all die Zeichnungen und die anderen Dinge, die wir für die Produktion benötigten, anzufertigen", erzählt Kolles. "Durch die zeitliche Beschränkung muss man sich das wie ein virtuelles Zeichenbüro vorstellen. Dieser Tage kannst du durch die Kommunikationsmöglichkeiten hier mit einem Computer sitzen und der andere sitzt 3.000 Meilen weit weg."

Warum Willis so wichtig ist

Kolles stellt fest: "Eigentlich sind wir sehr modern und futuristisch." Im Gegensatz zu Marussia-Virgin-Technikchef Nick Wirth sah man aber davon ab, den eigenen Rennstall durch das Verzichten auf einen Windkanal als innovativstes aller Formel-1-Teams zu inszenieren. Genau wie Marussia-Virgin macht auch HRT aus der Not eine Tugend, schließlich kann man sich keinen eigenen Windkanal leisten.


Fotos: HRT, Testfahrten in Barcelona


Für Willis erfordert es allerdings ein Umdenken: Er konnte bei BAR und bei Red Bull verglichen mit HRT auf beinahe unbegrenzte Mittel zurückgreifen. Ein Problem? "Natürlich ist es schwierig", gibt Kolles zu. "Für mich ist es auch schwierig, ich würde gerne gewinnen. Doch die einzige Wahl, die wir haben, ist hart zu arbeiten, am Leben zu bleiben und uns vorwärts zu bewegen. Ich kann Tag und Nacht von den Budgets von Red Bull und Ferrari träumen, doch was soll das bringen? Nur durch harte Arbeit können wir es schaffen. Ich glaube nicht, dass wir das Budget von Red Bull brauchen, um gute Arbeit zu leisten. Alleine wenn wir das Toro-Rosso-Budget hätten, wären wir schon besser."

"Andere haben nicht das Wissen von Geoff Willis, aber sie preisen sich ständig selbst an." Colin Kolles

Für ihn ist klar, dass Willis eine der Schlüsselfiguren bei seinem Team ist: "Er ist eine sehr analytische, ruhig Person - er will nur seine Arbeit machen. Er hat kein Interesse an Politik und daran, sich selbst anzupreisen. Das beweist seine Qualitäten - er ist ein ordentlicher Ingenieur mit einem ordentlichen Verständnis. Andere haben dieses Wissen nicht, aber sie preisen sich ständig selbst an."

2011 setzt Kolles auf Entwicklung

Neben Willis baut Kolles auch auf das Team, bei dem dieser in den 1990er-Jahren gearbeitet hatte: Williams. Der Traditions-Rennstall liefert das Getriebe an HRT. Der Teamchef erklärt die Gründe: "Ich glaube, dass es für kleine Teams keinen Sinn macht, ein eigenes Getriebe zu bauen - nicht einmal für Mittelfeld-Teams wie Force India. Dadurch verschwendet man Ressourcen, die man in anderen Bereichen benötigt."

"Ich glaube, dass es für kleine Teams keinen Sinn macht, ein eigenes Getriebe zu bauen." Colin Kolles

Auch auf österreichisches Know-how greift man zurück: HRT ließ drei Chassis' bei der Salzburger Firma CarboTech anfertigen. Die Gründe: "CarboTech ist eine der größten Carbonfirmen in Europa, ich glaube, dass wir dort sehr gut bedient werden. Wir haben ein paar Zulieferer, die sehr gut sind, sie arbeiten Tag und Nacht, um ihre Leistung zu bringen."

Kolles glaubt, dass sein Rennstall mit dem F111 dieses Jahr sogar vor Lotus und Marussia-Virgin landen könnte. Während man die Debütsaison 2010 mit dem exakt gleichen Auto beendete, mit dem man sie auch begonnen hatte, setzt er dieses Jahr auf eine andere Herangehensweise: "Wir planen ab Monaco mit enem neuen Monocoque und dem ersten Update. Es wird eine neue Version geben, die F111B heißt. Das Auto wird ein komplett neues Aerdynamik-Paket haben."

Abschließend erklärt er: "Unsere Strategie ist es, langfristig in der Formel 1 zu sein. Es gibt unterschiedliche Wege, um dieses Ziel zu erreichen. Vielleicht haben die anderen andere Ziele, das kann ich nicht beurteilen."