• 17.06.2003 14:29

Toyotas Chef-Renningenieur im Interview

Dieter Gass, Chef-Renningenieur bei Toyota, über die Arbeit mit den Fahrern, die neuen Regeln und seine Aufgaben im Team

(Motorsport-Total.com) - Frage: "Kannst du uns deine Rolle und eine Aufgaben im Toyota-Team beschreiben?"
Dieter Gass: "Als Chef-Renningenieur obliegt mir die Hauptverantwortung vor dem Qualifying, für einen Informationsaustausch zwischen beiden Autos zu sorgen. Ich muss auch den Überblick darüber behalten, was an den Autos gemacht wird. Ich muss überwachen, dass es ordnungsgemäß erledigt wird, und dass wir nicht in die falsche Richtung entwickeln. Nachdem das Qualifying begonnen hat, ist die wichtigste Sache die Strategie, die wegen der neuen Regeln ja schon zuvor entschieden wurde."

Titel-Bild zur News: Dieter Gass

Dieter Gass fuhr selbst im Renault-Clio-Cup Rennen

Frage: "Du bist also in die Planung der Strategie stark eingebunden?"
Gass: "Ja, ich bin die Entwicklung involviert. Man muss einen guten Kompromiss zwischen der Leistung im Qualifying, also der Benzinmenge, und der Leistung im Rennen, also wie man die Boxenstopps legt, finden. Im letzten Jahr hat man die theoretisch beste Variante ausgewählt, doch in diesem Jahr muss man auch die Benzinmenge im Qualifying mit einbeziehen, es geht daher um die Findung eines Kompromisses. Das Verhalten der Reifen ist daher enorm wichtig. Wenn sich die Reifen unterschiedlich abnutzen, dann ändert sich die Strategie grundlegend."

Frage: "Du hast Erfahrungen aus dem Sport- und Tourenwagenbereich. Wie unterschiedlich ist die Formel 1?"
Gass: "Der größte Unterschied zwischen Sportwagen, Tourenwagen und der Formel 1 rührt von den Reifen her. Der Einfluss der Reifen ist in der Formel 1 wesentlich größer. Allein durch ihre Abmessungen sind sie ein weiteres Aufhängungsteil, das wir beachten müssen."

Die neuen Regeln haben vieles verändert

Frage: "Haben die neuen Regeln und der engere Zeitplan Auswirkungen auf deine Arbeit?"
Gass: "Die neuen Regeln haben unserer Herangehensweise sehr stark verändert. Dabei gibt sind zwei Punkte hervorzuheben. Zum einen ist Cristiano (da Matta) neu in der Formel 1. Ich denke, dass es für einen neuen Fahrer nun viel schwieriger als vorher ist. Man hat nur noch eine Stunde Training um die Strecke zu lernen, ehe man im 1. Qualifying Leistung zeigen muss ? das ist eine Herausforderung. Zum anderen hat sich die Art und Weise, wir man das Auto am Freitag und Samstag abstimmt komplett geändert."

Frage: "Du hast gesagt, dass die Reifen immens wichtig sind. Um sie einschätzen können, muss man sie hart fordern. Ist dies bei nur einer Stunde Training am Freitagmorgen nicht schwierig?"
Gass: "Es ist schwierig, in nur 60 Minuten die Michelinreifen für das Wochenende auszuwählen. Die Erfahrung hat gezeigt, dass man am Freitag keine zuverlässigen Reifendaten bekommt. Wenn man keinen großen Unterschied zwischen den Mischungen feststellt, dann muss man alles am Samstag wiederholen. So bestimmt man am Freitag einfach den Reifen für das stattfindende Qualifying, am Samstag sucht man dann den Reifen für das Rennen heraus."

Frage: "Wie lange dauert es, mit einem Fahrer eine gute Arbeitsbeziehung zu entwickeln?"
Gass: "Eigentlich nicht sehr lange. Wir haben im Winter viel getestet, sodass wir zu Saisonbeginn bereits die nötige Beziehung hatten. Als Cristiano zu uns kam, arbeitete ich direkt mit ihm zusammen, weil ich im letzten Jahr der Renningenieur von Allan McNish war. Wenn man lange mit einem Fahrer zusammengearbeitet hat und sich dann an einen neuen gewöhnen muss, so muss man lernen dessen Kommentare zu verstehen. Die Anpassung braucht schon etwas Zeit."

Es gibt große Unterschiede zwischen den Fahrern

Frage: "Unterscheiden sich Fahrer sehr in ihren Arbeitsweisen?"
Gass: "Natürlich. Wenn man über Probleme redet, so geben einige Fahrer sehr analytische Kommentare ab, andere eher emotionale. Man muss lernen, wie man darauf reagiert. Sie beschweren sich zum Beispiel über ein massives Übersteuern. Dann macht man nur eine kleine Änderung, und alles ist okay. Mann muss die Charaktere kennen. Olivier und Cristiano arbeiten als Fahrerpaarung sehr gut zusammen, und ich habe eine gute Beziehung zu beiden."

Frage: "Ist es einfacher mit Fahrern zu arbeiten, die bereits viel Erfahrung haben? Oder sind sie bereits zu sehr festgelegt auf eine Richtung?"
Gass: "Ein bisschen was von beidem, würde ich sagen. Bis zu einem gewissen Grad wissen erfahrene Fahrer eher was sie wollen und haben weniger Probleme mit dem Setup. Ein weniger erfahrener Mann ist für den Ingenieur jedoch ein Vorteil, weil er mehr Einfluss auf die Arbeitsweise während einer Session nehmen kann."

Frage: "Kannst du uns ein paar Situationen nennen, bei denen Entscheidungen der Ingenieure der Schlüssel waren?"
Gass: "Es ist eher so, dass solche Entscheidungen kritisch sind, zum Beispiel bei der Frage, wann wir einen Fahrer zum Boxenstopp holen. Wir hatten einige Situationen im Barcelona, wo wir versucht haben den Verkehr zu umgehen und das auch geschafft haben. Aber es gab auch Momente, wo wir zum gegebenen Zeitpunkt richtig reagiert haben, zum Beispiel die Umstellung von Oliviers Rennen in Österreich auf eine Fahrt ohne Boxenstopp, aber das Ergebnis nicht mehr erfahren konnten, weil das Auto vorher ausgefallen ist."

Die Formel-1-Unerfahrenheit des Teams ist kein Hindernis

Frage: "Ist die Formel-1-Unerfahrenheit des Teams ein großes Hindernis?"
Gass: "Ich würde sagen, dass wir als Team bei jedem Formel-1-Wochenende eine Menge lernen, und dass wir noch recht unerfahren sind, aber ein Hindernis ist das nicht. Das zweite Jahr in der Formel 1 ist meist schlechter als das erste. Im ersten Jahr kommt man ohne jede Referenz zur Strecke und versucht aus dem Rennen einfach so viele Daten wie möglich herauszuholen. In diesem Jahr können wir nicht einfach die Daten vom Vorjahr nehmen und sie ins diesjährige Auto kopieren. Der TF103 unterscheidet sich stark von seinem Vorgänger, daher müssen wir das Auto auf die Strecken einstellen und das passende Setup finden."

Frage: "Noch eine persönliche Frage: Was machst du in deiner Freizeit?"
Gass: "Um ehrlich zu sein, habe ich nicht viel Freizeit, aber wenn ich kann, dann versuche ich zu laufen. Ich habe keine Zeit für Wettkämpfe, aber ich habe 1999 an einigen Marathons teilgenommen. Ich gehe auch gerne ins Kino und treibe gerne anderen Sport, wie Handball oder Squash."

Frage: "Bist du selbst schon Rennen gefahren?"
Gass: "Ja. Anfang der 90er Jahre fuhr ich im Renault-Clio-Cup und gewann sogar die Deutsche Meisterschaft."