Toto Wolff: Wie Mercedes mit der "Krise" umgeht

Schonungslos alle Fehler auf den Tisch legen, aber nicht mit dem Finger auf den Schuldigen zeigen: So geht Mercedes teamintern mit schwierigen Phasen um

(Motorsport-Total.com) - Es ist eine Krise auf hohem Niveau, in die das Mercedes-Team gerade geschrieben wird. Lewis Hamilton führt nach vier von 21 Rennen die Fahrer-WM an, und bei den Konstrukteuren haben die Silberpfeile gerade mal vier Punkte Rückstand auf Ferrari. Und trotzdem ist es ungewöhnlich - zumindest seit Beginn der Hybrid-Ära im Jahr 2014 -, dass Mercedes drei der letzten vier Rennen nicht gewonnen hat.

Titel-Bild zur News: Toto Wolff

Toto Wolff verfällt angesichts des nicht so einfachen Auftakts nicht in Panik Zoom

"Die Kunst von Teams, die gewinnen, ist, sich jedes Jahr neu zu motivieren. Das gilt für Bayern München, das gilt für uns auch", sagt Sportchef Toto Wolff im Interview mit der 'Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung'. "Das ist nicht immer einfach: Neue Ziele zu definieren, wenn eine Mannschaft durch viele erfolgreiche Jahre gegangen ist. Da sind schlechte Ergebnisse gar nicht so schlecht, um auf diesen Weg zurückzufinden."

"Wenn man absolut dominiert, beginnt die Besprechung in der Fabrik nicht mit: 'Why did we win?' Wenn wir ein Rennen verloren haben, startet sie genau mit dem Satz: 'Why did we lose?' Die Analyse ist dann noch tiefgehender, weil alle passioniert sind", gestattet Wolff Einblicke in die Philosophie des Teams, das die Formel 1 seit 2014 - teilweise nach Belieben - dominiert hat.

"Teil des Erfolgs dieses Teams ist das Verständnis für die Struktur und den Menschen", sagt er und erklärt: "Wir bleiben unserem Prinzip treu, dass wir nach innen mit gnadenloser Transparenz unsere Schwächen ausmerzen. Um langfristig wieder erfolgreich zu sein. Es gibt keinen Sport in der Welt, in der jemand jedes einzelne Match gewinnt. Langfristig erfolgreich sind die, die nicht in Panik geraten, wenn es mal nicht läuft."

Ein ganz wesentlicher Bestandteil der letztendlich von Wolff implementierten Kultur bei Mercedes ist, Fehler zwar schonungslos zu analysieren - aber trotzdem nicht mit dem Finger auf den Schuldigen zu zeigen und diesen dafür zu verdammen. Viel nachhaltiger als sich mit Schuldzuweisungen auseinanderzusetzen ist, Situation so anzunehmen, wie sie sind - und zielgerichtet nach Lösungen zu suchen.

"Der Mensch neigt dazu, in widrigen Zeiten auf jemanden zu zeigen und zu sagen: 'Das ist seine Schuld.' Das ist fast wie ein Sicherheitsventil: 'Er ist schuld, sie ist schuld, dieses und jenes ist schuld'", sagt Wolff. "Sich aus dieser Denke rauszunehmen und zu sagen: 'Wo liegt das Problem?' Kann schon sein, dass es in einer Abteilung liegt oder in Missständen, die man aufklären muss. Aber das macht man nach innen."

Mercedes befindet sich erstmals seit 2013 am Saisonbeginn nicht in einer dominanten Position. In den vergangenen vier Jahren konnte es sich das Team leisten, nicht allerletztes Risiko zu gehen - weil man auch mit 99 Prozent gewinnen konnte. Diese Zeiten sind vorbei. Und plötzlich wirken die Silberpfeile verwundbar. Das zeigt sich zum Beispiel in den Strategiefehlern der ersten Saisonrennen.

Die Gefahr, auch auf technischer Seite unter Druck zu viel zu riskieren, ist präsent. Grundsätzlich ist der Plan, trotz der starken Konkurrenz am vor Saisonbeginn aufgestellten Entwicklungsplan festzuhalten. "Die Wahrheit ist", gibt Wolff zu: "Es erzeugt schon mehr Ambition, Entwicklungen vorzuziehen, ein bisschen mehr Mut auch. Weil du einen Rückstand aufholen musst."


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"In der Vergangenheit haben Teams, die diesen Druck aufgebaut haben, die Entwicklungen auf das Auto getan haben, die noch nicht zu Ende entwickelt haben, Ausfälle gehabt. Das kostet dich 25, 18, 15 Punkte - das ist viel schlimmer als ein zweiter oder ein dritter Platz, weil die Pace nicht gepasst hat. Ausfälle brechen dir den Hals in der Meisterschaft", weiß er.

Der Rückstand auf Ferrari sei vorhanden, aber noch nicht WM-entscheidend. Wolff: "Auf Rennstrecken, die dir nicht liegen, sind es vielleicht sechs Zehntel. Auf Rennstrecken, die dir liegen sollten, sind es vielleicht zwei", relativiert er im gleichen Interview mit der 'Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung'.

"Jetzt geht es um Entwicklungsspeed, um einen Wettbewerb aller Teams, wer die besseren Verbesserungen ans Auto bringt. Das kann im Vergleich zum Anfang der Saison fast zwei Sekunden Unterschied machen", weiß er. "Wir waren sicher 2015 und 2016 am besten. 2017 hat Red Bull einen ganz schwachen Start gehabt und hat dann den höchsten Entwicklungsspeed gehabt."

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