Toto Wolff gegen BoP: Red Bull hat sich aktuelle Dominanz erarbeitet

Lewis Hamiltons Vorschlag, die Entwicklung für das nächste Jahr erst ab 1. August freizugeben, findet nicht einmal bei Mercedes-Teamchef Toto Wolff Anklang

(Motorsport-Total.com) - Während Lewis Hamilton in Österreich dafür plädiert hat, die Regeln zu ändern, um eine langanhaltende Dominanz eines Teams in der Formel 1 zu verhindern, findet Mercedes-Teamchef Toto Wolff, dass das derzeitige Reglement völlig ausreichend ist, um faire Rahmenbedingungen für alle zu schaffen.

Titel-Bild zur News: Toto Wolff

Toto Wolff findet, dass Red Bull den derzeitigen Erfolg in der Formel 1 verdient Zoom

Hamilton hatte zuletzt vorgeschlagen, die technische Entwicklung des jeweils nächstjährigen Autos erst am 1. August beginnen zu lassen. Denn Red Bull habe 2023 so großen Vorsprung, dass man schon jetzt alle Entwicklungsressourcen auf 2024 umstellen kann, was zumindest in der Theorie dafür sorgen sollte, dass Red Bull auch 2024 am besten in die Saison starten wird.

Doch praktisch ist der Hamilton-Vorschlag "nicht durchführbar", weiß Wolff. Zuletzt hatte schon Red-Bull-Teamchef Christian Horner die Frage gestellt, wie man so eine Regel kontrollieren sollte; zudem gibt es keine klare Abgrenzung zwischen 2023er- und 2024er-Auto. Wenn ein neuer Frontflügel jetzt ans Auto kommt und sich bewährt, könnte dieser durchaus auch 2024 genutzt werden.

Hamilton habe "einfach eine Idee gehabt", winkt Wolff bei einem Abendessen mit ausgewählten Medien, darunter 'Motorsport-Total.com', ab. Diese war, da sind sich die Experten einig, spontan geäußert und nicht bis ins Ende durchdacht. Zumal Wolff kategorisch gegen Maßnahmen ist, die das gerade dominierende Team künstlich einbremsen, wie zum Beispiel eine sogenannte "Balance of Performance" (BoP).

BoP wäre laut Wolff "eine Katastrophe"

Eine BoP kommt zum Beispiel im Langstreckensport zum Einsatz, um zwischen unterschiedlichen Fahrzeugtypen auszutarieren, etwa mit unterschiedlichen Zusatzgewichten oder unterschiedlichen Freigaben für die Luftzufuhr des Motors. Das sorgte gerade bei den 24 Stunden von Le Mans für hitzige Diskussionen, weil viele der Auffassung waren, die BoP habe das letztendlich siegreiche Ferrari-Team bevorzugt.

Wolff stellt sich in dieser Frage klar hinter das derzeitige FIA-Reglement in der Formel 1: "Das Thema BoP ist eine Katastrophe. Wenn du dir anschaust, wie Le Mans gelaufen ist, oder die GTs. Das ist wirklich nicht gut."

Handicapregel: Wie funktioniert die eigentlich?

Er findet: "Wir haben diese ganz subtile Schraube einer aerodynamischen Entwicklung, die in Wahrheit nach außen hin niemand so genau versteht. Das sind ganz feine Fünfprozentschritte mit mehr Windkanalzeit und CFD-Kapazität. Mehr braucht man meiner Meinung nach nicht machen. Im Sinne des Sports."

Die Handicapregel, auf die Wolff anspielt, funktioniert nach der Position in der Konstrukteurs-WM des Vorjahres. Das Weltmeisterteam darf um fünf Prozentpunkte weniger Windkanal und CFD einsetzen als das zweitplatzierte Team, das wiederum um fünf Prozentpunkte weniger als das drittplatzierte, und so weiter.

Laut FIA-Tabelle ist Platz 1 mit einem Koeffizienten von 70 Prozentpunkten eingestuft, Platz 10 mit 115. Das bedeutet, dass das letztplatzierte Team um 64 Prozent mehr Windkanal- und CFD-Ressourcen einsetzen darf als das Weltmeisterteam. Zum 1. Juli der laufenden Saison wird diese Tabelle für die zweite Jahreshälfte an den aktuellen Stand in der Konstrukteurs-WM angepasst.

Wolff: "Wir müssen einfach besser sein"

Eine Regel, die völlig ausreichend ist, um sicherzustellen, dass der Abstand zwischen Spitze und Hinterfeld nicht zu weit auseinanderklafft, findet Wolff. Er wünscht sich daher keine neuen Regeln, die Red Bull künstlich einbremsen sollen, sondern sagt klipp und klar: "Wir müssen einfach besser sein."

"Man kann sich nicht beklagen, wenn ein Team einen besseren Job macht als alle anderen und mit einem Fahrer einfach dominiert. Dann ist das so, weil sie es verdienen und einfach den Job gut gemacht haben. Vorausgesetzt natürlich, sie halten sich ans Reglement. Sowohl ans technische als auch ans sportliche und finanzielle."

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Grund zur Annahme, dass das beim derzeitigen Dominator Red Bull der Fall sein könnte, habe Wolff nicht, betont er. Zumal Red Bulls Windkanal- und CFD-Koeffizient ohnehin schon von 70 auf 63 reduziert wurde, als Teil der Strafe nach dem Verstoß gegen die Budgetobergrenze in der Saison 2021, die im Jahr 2022 für 2023 ausgesprochen wurde.

Das sagt Helmut Marko zu Hamiltons Vorschlag

Bei Red Bull hält man von Denkanstößen in Richtung BoP sowieso nichts. Motorsportkonsulent Helmut Marko unterstreicht: "Wenn du keine Ressourcen mehr ins aktuelle Chassis investieren musst, dann schaust du natürlich aufs nächstjährige Auto. Das ist ganz normal in der Formel 1, finde ich."

Über Hamiltons Vorschlag mit dem Stichtag 1. August sagt er: "Er scheint ein kurzes Gedächtnis zu haben. In den Jahren, in denen Mercedes dominiert hat - übrigens vor allem wegen eines Motors mit überlegener Leistung -, haben sie ja auch immer früh damit begonnen, das nächstjährige Auto zu entwickeln."