• 01.10.2006 16:36

Todt: "Michael hat ein großartiges Rennen hingelegt"

Ferrari-Teamchef Jean Todt im Interview über den wichtigen Sieg in China, Michael Schumachers tolle Leistung und die Chancen auf den WM-Titel

(Motorsport-Total.com) - Frage: "Jean, was fällt dir zu diesem wichtigen Sieg von Michael Schumacher beim Grand Prix von China ein?"
Jean Todt: "Nach dem gestrigen Qualifying und der heutigen Wettervorhersage sind wir über dieses Resultat mehr als erfreut. Wir wissen, dass nasse Bedingungen im Moment nicht das Beste für uns sind, und nach Michaels sechstem Startplatz und Felipes (Massa; Anm. d. Red.) 20. Startplatz wegen des Motorwechsels kalkulierte ich eher, wie viele Punkte wir verlieren würden, zumal unsere Rivalen in der ersten Startreihe standen. Michael war vor diesem Rennen ja zwei Punkte hinten, Ferrari drei Punkte vorne."

Titel-Bild zur News: Jean Todt

So sehen Sieger aus: Ferrari-Teamchef Jean Todt im Fahrerlager in Shanghai

"Wir können sehr glücklich darüber sein, dass Michael die Führung in der Fahrer-WM - er hat gleich viele Punkte wie Alonso, aber sieben zu sechs Siege - übernommen hat und dass Ferrari in der Konstrukteurs-WM nur einen Punkt zurückliegt. Es sind noch zwei Rennen zu fahren. Wir wissen, dass die Rennen unvorhersehbar sein können, aber wir dürfen nicht vergessen, wo wir nach Montréal in beiden WM-Wertungen waren. Wir haben starke Gegner, aber wir haben demonstriert, dass wir auch ein harter Gegner sind, daher wird es sicher interessant. Eine Vorhersage über den Ausgang wage ich jedoch nicht. Das werden wir sehen."#w1#

Todt mit beiden Fahrern zufrieden

"Michael hat ein großartiges Rennen hingelegt, das Team fantastische Arbeit geleistet. Felipe fuhr ein sehr gutes Rennen. Leider konnte er daraus keinen Nutzen ziehen, weil beim Zusammenstoß mit Coulthard die Radaufhängung beschädigt wurde, aber bis dahin war er gut unterwegs und er unterstützte Michael insofern, als er ausprobierte, wann man die Trockenreifen aufziehen kann. Das war also wie immer sehr gutes Teamwork."

"Man darf da nicht leichtsinnig sein und glauben, dass so etwas leicht ist." Jean Todt

Frage: "Heute Morgen hättest du nicht mit einem Sieg gerechnet, aber wann wurde dir klar, dass es vielleicht doch möglich sein würde?"
Todt: "In Runde 56. Da gibt es nichts zu lächeln, denn der Abstand war sehr knapp. Als Michael in Runde 55 über die Ziellinie fuhr, hatte er glaube ich nur vier Sekunden Vorsprung, aber es hat geregnet und er hatte Trockenreifen drauf. Man darf da nicht leichtsinnig sein und glauben, dass so etwas leicht ist, sondern wir wussten, dass noch etwas passieren könnte, und ich machte mir deswegen auch Sorgen."

Frage: "Warst du besorgt, als Renault Michael Schumacher mit zwei Autos Seite an Seite auf der Geraden aufgehalten hat?"
Todt: "Daraus haben wir etwas gelernt. Wir haben gelernt, was man machen kann. Wir lernen daraus, was wir intern machen, und manchmal lernen wir von anderen, daher ist so etwas immer interessant."

Frage: "Hältst du solche Taktiken für ungewöhnlich?"
Todt: "Es liegt an euch Journalisten, das zu beurteilen, ob sie gewöhnlich waren oder nicht. Wir müssen es nur in Betracht ziehen."

Frage: "Renault hat einen strategischen Fehler gemacht und bei Fernando Alonso die vorderen Intermediates gewechselt. Michael Schumacher tat dies nicht. Hattet ihr irgendwelche Sorgen wegen der Reifen oder war das nicht so klar?"
Todt: "Nachdem wir mit den Fahrern gesprochen hatten, wussten wir, dass wir auf denselben Reifen bleiben würden, aber es sind ja zwei verschiedene Reifenhersteller und damit Spezifikationen. Da ist das Handling ganz anders. Zu sagen, dass sie einen Fehler gemacht haben, wäre nicht fair. Wir können das nicht beurteilen, weil wir andere Reifen verwenden."

Frage: "Bist du enttäuscht, dass Kimi Räikkönen ausgeschieden ist, denn er hätte Renault Punkte wegnehmen können?"
Todt: "Das ist eine Frage für 2007, hoffe ich. Dann wird sie zu unseren Gunsten beantwortet."

Ferrari mit Motorenzuverlässigkeit zufrieden

Frage: "Hattet ihr nach Felipe Massas Motorschaden am Freitag irgendwelche Sorgen in diese Richtung, speziell hinsichtlich der noch bevorstehenden zwei Rennen?"
Todt: "Leider können wir keine hundertprozentige Zuverlässigkeit garantieren. Wir waren ziemlich zuverlässig, wenn auch nicht immer so zuverlässig wie erhofft, aber ich muss sagen, dass Coulthard heute das zweite Rennen mit derselben Motorenspezifikation beendet hat. Wir fuhren viele Long-Runs mit derselben Spezifikation von Felipes Motor, daher werden wir die beschädigten Teile zurück nach Maranello schicken, um sie analysieren zu lassen. Nächste Woche sollten wir dann mehr wissen."

Frage: "Bei Felipe Massa dürft ihr nach seinem Ausfall einen neuen Motor einbauen. Werdet ihr das auch tun?"
Todt: "Das ist noch nicht entschieden."

"Wir werden aus 91 Siegen keine Reihenfolge erstellen." Jean Todt

Frage: "Michael Schumacher war heute ganz stark unterwegs. Wo ordnest du diesen Erfolg ein?"
Todt: "Ganz wichtig. Wir werden aus 91 Siegen allerdings keine Reihenfolge erstellen. Es ist ein großartiger Sieg, genau wie viele andere davor. Es war eine Kombination aus Strategie, Teamwork, Michaels Kontrolle über das Auto bei unterschiedlichen Bedingungen. Er attackierte, als er attackieren musste, und er verlangsamte, als das möglich war. Es war ein perfekt kontrolliertes Rennen von ihm, aber auch vom Team - und das mit einem perfekten Paket."

Frage: "Hättest du damit gerechnet, dass die Weltmeisterschaft noch einmal so eng werden könnte?"
Todt: "Solange mathematisch alles möglich ist, kämpfen wir immer, also sagen wir es so: Wir wussten, dass wir stark sind, nämlich schon seit Saisonbeginn. Oft hatten wir nicht die Gelegenheiten oder wir machten unseren Job nicht richtig, aber wir haben die Situation seit ein paar Rennen verbessert und sind jetzt immer vorne dabei. Man weiß aber nie, wie sich ein Rennen entwickelt. Wir reden manchmal darüber, was ist, wenn ein Fahrer alle Rennen gewinnt und das Team immer 16 Punkte holt. In der Praxis kommt so etwas doch nie vor."

Frage: "Glaubst du, dass dies der härteste WM-Kampf der letzten zehn Jahre ist?"
Todt: "Das würde ich nicht sagen. Wir hatten Weltmeisterschaften, die alle im letzten Rennen entschieden wurden - 1997, 1998, 1999 -, die wir im letzten Rennen verloren haben, mit Ausnahme der Konstrukteurs-WM 1999. Seit 1997 kämpfen wir also jedes Jahr um die Weltmeisterschaft, nur 2005 war das nicht der Fall. Einige Jahre waren sehr schwierig, andere etwas leichter. Der aktuelle WM-Kampf ist hart, aber wir kämpfen noch."

Erfahrung will Todt nicht überbewerten

Frage: "Hat man aufgrund dieser Erfahrung in so einer Situation wie jetzt einen Vorteil?"
Todt: "Was einen Vorteil bringt, sind die richtigen Reifen, eine gute Zuverlässigkeit, die richtige Strategie. Diese Dinge entscheiden."

Frage: "Michael Schumacher kann in Japan Weltmeister werden."
Todt: "Und Ferrari kann die Konstrukteurs-WM schon dort verlieren."

Michael Schumacher

Michael Schumacher bei der Zieldurchfahrt heute in Shanghai Zoom

Frage: "Fernando Alonso kann nicht Weltmeister werden, Michael Schumacher schon. Nimmt das ein wenig Druck von euren Schultern?"
Todt: "Nein. Das geht schnell. Was bleibt, sind der Titel und die Siege, also arbeiten wir dafür."

Frage: "Glaubst du, dass die Reifen die Weltmeisterschaft entscheiden werden?"
Todt: "Ja, genau wie in der Vergangenheit."

Frage: "Bist du wegen der Regenreifen besorgt?"
Todt: "Es geht da nicht pauschal um Regenreifen, sondern um bestimmte nasse Bedingungen."

Frage: "Ist der Zeitpunkt für Michael Schumachers Rücktritt richtig?"
Todt: "Das ist seine Entscheidung, die ich respektiere. Er ist ein großartiger Fahrer, ein großartiger Mensch, aber er hat sich entschieden, dass er seine Karriere am Saisonende beenden möchte, und das muss ich so hinnehmen. Er hat so viel erreicht. Was soll er noch erreichen? Solange er glücklich ist, passt das. Nur darauf kommt es mir an."

Frage: "Unabhängig vom Ausgang der Weltmeisterschaft: Nach so einem Rennen, in dem jeder sehen konnte, wie gut er noch ist, kann er doch beruhigt zurücktreten, oder?"
Todt: "Ein Rennen wie dieses oder ein Rennen wie in Monza. Ferrari hat 50 Prozent aller Rennen in diesem Jahr gewonnen, acht von 16. Auf Michael entfallen sieben Siege. Er ist talentiert, hat seine Kapazitäten im Griff, ist voll motiviert. So ist Michael eben."

Noch keine Bekanntgabe zu Schumacher

Frage: "Hat Ferrari irgendwelche Kooperationspläne für Michael Schumacher?"
Todt: "Darauf werden wir nach Saisonende eingehen."

"Die Verhandlungen mit der Red-Bull-Organisation gehen weiter." Jean Todt

Frage: "Red Bull hat einen Motorenvertrag mit Renault, möchte Ferrari-Motoren zur Scuderia Toro Rosso verschieben. Gibt es da noch Verhandlungen?"
Todt: "Wir haben das diskutiert. In der Zwischenzeit unterschrieben wir eine Übereinkunft mit Spyker für 2007, ein neues Team, das in die Formel 1 kommt. Sie haben Midland Racing übernommen, wie wir wissen. Die Verhandlungen mit der Red-Bull-Organisation gehen inzwischen weiter."

Frage: "Könnte es da einen Deal geben?"
Todt: "Das werden wir verhandeln."

Frage: "Rechnest du damit, auch 2008 noch ein Red-Bull-Team zu beliefern?"
Todt: "Das habe ich nicht gesagt. Wir verhandeln. Im Moment haben wir für 2007 einen Vertrag mit Red Bull."

Frage: "Bist du glücklich über den Spyker-Vertrag?"
Todt: "Darum haben wir es ja gemacht."

Frage: "Gibt es da auch Synergien im Straßenautobereich?"
Todt: "Nein, das hat mit den Straßenautos nichts zu tun. Ich respektiere sie. Ich hatte Gelegenheit, mir ihre Straßenautos in Pebble Beach anzusehen, als ich im August dort war, aber die Vereinbarung betrifft nur die Formel 1, exklusiv. Die angebliche Verbindung mit den Straßenautos ist Bullshit, sonst nichts. Normalerweise sage ich so etwas nicht, aber solche Spekulationen kosten nur Zeit. Vielleicht kann man damit eine gute Geschichte für das Internet erfinden..."

Frage: "Spyker und Ferrari haben einen gemeinsamen Teilhaber aus Abu Dhabi. Hat dieser beim Verhandeln des Deals geholfen?"
Todt: "Überhaupt nicht."

Frage: "2008 darf man wahrscheinlich nur noch ein Kundenteam mit Motoren beliefern. Wie werdet ihr damit umgehen?"
Todt: "Es stimmt, dass das 2007 freigestellt ist. Für 2008 gibt es eine Vorvereinbarung der FIA, also befinden wir uns in der Situation, dass wir zwei Teams beliefern. Danach müssen wir mit der FIA sprechen, aber ich sehe keinen Grund, warum sie das blockieren sollte."