• 29.05.2006 13:21

Todt: "Kenne, respektiere und bewundere Michael"

Ferrari-Teamchef Jean Todt ist von der harten Kritik an Michael Schumacher unbeeindruckt und glaubt nicht an einen Imageschaden für sein Team

(Motorsport-Total.com) - Während ein paar Meter weiter gerade Christian Horner mit einem Superman-Umhang in den Swimmingpool des Red-Bull-Motorhomes sprang, versammelten sich in der Ferrari-Hospitality die nach jedem Rennen dort zusammenkommenden Journalisten, um gemeinsam mit Teamchef Jean Todt das zurückliegende Wochenende zu diskutieren. Natürlich war dabei in Monaco ein Thema dominierend...

Titel-Bild zur News: Jean Todt und Michael Schumacher

Jean Todt stellt sich voll und ganz hinter seinen Schützling Michael Schumacher

Frage: "Jean, wie ist das Wochenende in Monaco aus Ferrari-Sicht gelaufen?"
Jean Todt: "Es war definitiv ein enttäuschendes und frustrierendes Wochenende, speziell wenn man Siegespotenzial hat, im Rennen aber nur Fünfter und Neunter wird. Wenn es einen Grand Prix gibt, bei dem man eine gute Startposition haben muss, dann Monte Carlo. Es ist nicht gerade zufrieden stellend, ein Auto aus der Box starten zu lassen und eines vom letzten Startplatz aus."#w1#

Todt enttäuscht über schlechte Startpositionen

"Es gibt aber Erklärungen für dieses Abschneiden. Felipe (Massa; Anm. d. Red.) hat in Q1 einen Fehler gemacht - und so ein Fehler kostet hier eben. Bei Michael war das anders. Michael (Schumacher; Anm. d. Red.) stand bis zur letzten Kurve auf Pole, aber dort verlor er dann das Auto. Die Stewarts haben nach acht Stunden entschieden, dass es angemessen wäre, ihn ans Ende des Feldes zu verbannen."

"Außerhalb unseres Teams wehte ein starker Wind gegen Michael." Jean Todt

"Außerhalb unseres Teams wehte ein starker Wind gegen Michael, denn viele waren der Meinung, dass er das absichtlich gemacht hat. Also wollten wir beweisen, dass es ein Rennzwischenfall war, aber das wurde nicht einmal in Betracht gezogen. Da es keine Berufungsmöglichkeiten gab, mussten wir uns damit abfinden und das Beste aus der Situation machen. Natürlich war es ziemlich befriedigend, dass Michael dann so konkurrenzfähig war. Es ist bestätigt, dass die Bridgestone-Reifen sehr konkurrenzfähig waren, wie man auch bei anderen Teams sehen konnte. Daher lebt die Chance auf ein gutes Ende der Weltmeisterschaft. Das werden wir jetzt anstreben."

Frage: "Wie geht es nun in der Angelegenheit um Michael Schumacher weiter? Könnt ihr irgendetwas unternehmen oder müsst ihr einen Strich darunter ziehen und die Sache verarbeiten?"
Todt: "Wir können nichts tun. Das Wochenende ist vorbei, es gibt keinen Berufungsweg, also müssen wir die Sache ruhen lassen."

Frage: "Glaubst du, dass all das Auswirkungen auf Michael Schumachers Zukunftsentscheidung haben wird?"
Todt: "Zum Glück sehen wir die Dinge so, dass wir das nicht in Betracht ziehen müssen. Wir wissen, wo wir stehen. Alle zwei Wochen werden wir gebeten, das Gute und das Schlechte zu kommentieren. Das ist nicht überraschend. Wir wissen, wo wir hier stehen, und das Wichtigste ist, dass man weiß, mit wem man arbeitet - inner- und außerhalb -, um nicht überrascht zu werden. Manchmal gibt es größere Enttäuschungen, manchmal positive Reaktionen, angenehme Überraschungen, aber insgesamt wissen wir, woran wir sind."

Flammende Verteidigungsrede für Schumacher

Frage: "Michael Schumacher hat in der Vergangenheit laut FIA-Urteilen auch schon betrogen. War die Aktion gestern wieder ein Betrug?"
Todt: "Das ist deine Meinung und die der Kommissäre, richtig. Wenn man vor einem Richter oder einem Tribunal steht, bedeutet das nicht, dass deren Meinung immer richtig sein muss. Es kann lange Diskussionen geben, die deine eigene Meinung aber nicht ändern werden. Das wäre nicht zum ersten Mal so. Unterm Strich liegt es an den Leuten, dass sie einschätzen, wer Michael ist, was er in der Formel 1, für die Formel 1, außerhalb der Formel 1 gemacht hat. Es gibt Leute, die denken, dass er ein Nichts ist, aber andere denken, dass er sehr wohl jemand ist."

"Ich kenne Michael sehr gut, respektiere ihn, bewundere ihn und halte ihn für eine der besten Persönlichkeiten, die ich je getroffen habe." Jean Todt

"Ich genieße das Privileg, ihn zu kennen. Ich kenne ihn sehr gut, respektiere ihn, bewundere ihn und halte ihn für eine der besten Persönlichkeiten, die ich je getroffen habe. Das sind doch alles Vorurteile, aber wir können die Leute nicht davon abhalten, dass sie das denken, was sie wollen."

Frage: "Warst du von den erzürnten Reaktionen im Fahrerlager überrascht?"
Todt: "Ja, ich muss sagen, dass ich überrascht war, aber wir leben in einer Welt, in der die Menschen schnell überreagieren. Ich habe immer versucht, selbst nicht zu überreagieren und stattdessen zu verstehen, was genau passiert. Man muss sagen, dass Michael in der Vergangenheit Fehler gemacht hat. Er hat das öffentlich zugegeben, aber ich kenne keinen Fahrer und keinen Weltmeister, der in einer Position ist, reinen Gewissens behaupten zu können, noch nie einen Fehler gemacht zu haben. Gestern hat Michael einen Fahrfehler gemacht, aber es war nichts Unfaires gegenüber seinen Mitbewerbern. Das würde jetzt alles zu weit führen, aber jeder kann sich ja seine Meinung bilden."

"Ich weiß, dass die meisten Leute hier der Meinung sind, dass Michael das absichtlich gemacht hat. Vor einem Gericht oder einem Tribunal wird im Zweifel für den Angeklagten entschieden, aber uns konnte man keine Schuld beweisen. Wir haben versucht, anhand der uns vorliegenden Informationen und Telemetriedaten zu beweisen, dass es ein Fahrfehler war. Das wurde nicht in Betracht gezogen. Meine Meinung ist, dass die Schuld nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden konnte. Es ist aber passiert und Schnee von gestern."

Gelbe Flaggen im Qualifying sind nichts Neues

Frage: "Wie wäre deine Meinung, wenn sich Fernando Alonso mit verteilten Rollen so verhalten hätte wie Michael Schumacher?"
Todt: "Es ist doch schon oft passiert, dass ein Fahrer seine schnelle Runde wegen einer gelben Flagge herschenken musste. Gleichzeitig gebe ich zu, dass Alonso zu dem Zeitpunkt auf einer schnelleren Runde war als wir. Daran besteht gar kein Zweifel, aber ich finde das Strafmaß unangemessen streng. Das ist meine Meinung. Aber noch einmal: Es ist vorbei."

Michael Schumacher

Michael Schumachers Auftritt in Monaco wurde von einem Skandal überschattet Zoom

Frage: "Die Leute anerkennen, dass Michael Schumacher einen Fahrfehler gemacht hat, aber sie fragen sich, wie seine Lenkbewegungen zu erklären sind und warum er in Rascasse stehen geblieben ist..."
Todt: "Er hat das ausführlich erklärt und wir haben die Telemetriebeweise vorgelegt, anhand derer wir all das verstehen können. Wir haben alle Beweise zu dieser Episode im kleinsten Detail durchforstet."

Frage: "Heute im Rennen war Michael Schumacher zwei- oder dreimal in einer ähnlichen Situation, aber heute verlor er sein Auto nicht außer Kontrolle..."
Todt: "Und was ist in Australien passiert? Es gibt keinen Fahrer, der ernsthaft behaupten kann, sein Auto noch nie außer Kontrolle verloren zu haben!"

Frage: "Es ist aber unsportlich, die Kommissäre nach ihrer Entscheidung als nicht kompetent zu bezeichnen, wie du es getan hast, nicht wahr?"
Todt: "Ich habe nur gesagt, dass ich ihre Meinung nicht teile."

Frage: "Du warst in deinem Statement von Samstagabend aber sehr kritisch."
Todt: "Wenn das deine Meinung ist, dann ist das deine Meinung, aber ich stehe zu jedem Wort, das ich gesagt habe."

Verhältnis zwischen FIA und Ferrari nicht angespannt

Frage: "Hast du das Vertrauen in die FIA-Kommissäre verloren?"
Todt: "Wenn es ein Team gibt, welches die FIA und die Entscheidungen der FIA respektiert, dann am ehesten Ferrari. Gleichzeitig kann man aber nicht immer einer Meinung sein. Gestern mussten wir ihre Entscheidung hinnehmen, aber das heißt nicht, dass ich den Fall genauso sehe."

"Mit den schweren Konsequenzen gegen Michael waren wir nicht einverstanden." Jean Todt

Frage: "Kannst du ihnen in Zukunft noch vertrauen, dass sie richtige Entscheidungen treffen werden?"
Todt: "Natürlich. Jeder Fall ist anders. Wenn man mit jemandem diskutiert, dann stimmt man manchmal zu und manchmal eben nicht. Mit den schweren Konsequenzen gegen Michael waren wir gestern nicht einverstanden."

Frage: "Unklar ist aber, warum die Kommissäre bei ihrem Standpunkt bleiben, obwohl du sagst, dass ihr ihnen eure Daten vorgelegt habt. Gibt es da zwei Meinungen über dieselben Daten? Sind die Daten unklar?"
Todt: "Es ist sehr leicht, wenn man als Reporter ein Mikrofon in der Hand hat, und es ist sehr leicht, zu kritisieren und Urteile zu treffen. Ich bin 15 Jahre lang in einem Rennauto gesessen. Ich war auf der anderen Seite der Boxenmauer und kann dadurch solche Situationen ein bisschen besser verstehen - was im Kopf eines Fahrers vorgehen kann. Das ist interessant. Ich kann aber nicht die Köpfe der Menschen kontrollieren und sie davon abhalten, sich Meinungen zu bilden. Das liegt an jedem selbst. Ich kann niemanden zu einer Meinung drängen."

Frage: "Das Image von Michael Schumacher und Ferrari hat an diesem prestigeträchtigen Wochenende gelitten, oder?"
Todt: "Michael wurde hart kritisiert. Das Team unterstützt ihn. Ich kann nicht verstehen, wie das Image von Ferrari an diesem Wochenende gelitten haben soll."

Todt erfreut über Meinung der 'Premiere'-Zuschauer

Frage: "Wie erklärst du dir, dass es niemanden gibt, der glaubt, dass Michael Schumacher die Aktion nicht absichtlich gemacht hat?"
Todt: "Mir wurde heute gesagt, dass es dazu im deutschen Fernsehen eine Umfrage gab. 75 Prozent fanden die Entscheidung der Kommissäre nicht angemessen, nur 25 schon."

"Das Fahrerlager ist das Fahrerlager." Jean Todt

Frage: "Ich rede vom Fahrerlager. Ist es nicht überraschend, dass hier niemand Michael Schumachers Version glauben will?"
Todt: "Das Fahrerlager ist das Fahrerlager. Darüber haben wir schon oft gesprochen. Ich kann nicht die Meinung des Fahrerlagers ändern. Ich frage mich, ob alle Menschen im Fahrerlager wirklich in einer Position sind, das zu beurteilen. Vielleicht sollten manche erst vor ihrer eigenen Türe kehren. Ich werde auch oft gefragt, was ich über manche Vorfälle denke, aber ich lehne immer ab, weil ich nicht in der Position bin, zu allen möglichen Dingen etwas zu sagen."

Frage: "Es gibt im Fahrerlager auch viele Weltmeister, die sich mit der Materie viel besser auskennen als jeder Journalist, die die Sache aber auch nicht anders sehen..."
Todt: "Das mag auf manche zutreffen. Diese Spekulationen könnten wir aber noch drei oder vier Stunden lang fortsetzen..."

Frage: "Du kennst Michael Schumacher sehr gut. Wie sehr hat er an so etwas zu nagen?"
Todt: "Er ist ein Mensch und war nicht glücklich, sondern sehr enttäuscht über diese Sache, aber er muss das hinter sich lassen. Heute hat er unter schwierigen Bedingungen ein großartiges Rennen abgeliefert. Er freut sich schon auf das nächste Rennen."