• 22.07.2003 09:49

  • von Fabian Hust

Todt: "Es wird hart werden" – Williams ist Hauptgegner

Ferrari-Rennleiter Jean Todt spricht ausführlich über das Silverstone-Wochenende und die Situation im Kampf um den WM-Titel

(Motorsport-Total.com) - Jean Todt war vergangenes Wochenende nervös ? sehr nervös. Das äußerte sich daran, dass sich der Franzose alle Fingernägel abklebte, um ja nicht daran zu knabbern. Der Franzose wusste: Fährt Ferrari auch in Silverstone hinterher, dann kann man den Titel wohl abhaken, da die Konkurrenz vor der sechswöchigen Testpause zu stark für das Weltmeisterteam ist und an ein Aufholen nicht zu denken ist.

Titel-Bild zur News: Jean Todt

Jean Todt rechnet mit einem ganz knappen Titelkampf

Doch der Sieg von Rubens Barrichello hat gezeigt, dass die Italiener und Bridgestone gut gearbeitet haben: "Wenn Ferrari gewinnt, dann ist dies immer ein gutes Wochenende", so Todt. "Angesichts der Umstände war das ein wenig unerwartet aber ich muss sagen, dass dies sehr angenehm und belohnend ist, wenn man sieht, dass Ferrari auf einer Strecke so dominierend ist, die die Hausstrecke unserer Hauptgegner ist."

"Die Tendenz sprach gegen uns"

Der Franzose gibt zu, dass man in den letzten Rennen das Ruder aus der Hand verloren hatte und der Gewinn des WM-Titels aus der Hand zu gleiten drohte. Aus diesem Grund kam dem Sieg eine noch wichtigere Bedeutung zu: "Es war sehr wichtig, ein gutes Ergebnis herauszufahren, denn seit ein paar Rennen sprach die Tendenz gegen uns, da war es sehr wichtig, diese Tendenz aufzuhalten und das ist ja auch passiert."

Wer Jean Todt kennt, der weiß, wie "der kleine Napoleon" der Boxengasse sein Team angefeuert, motiviert aber auch ermahnt haben muss, so dass den Italienern innerhalb weniger Wochen wieder der Anschluss an die Konkurrenz gelang: "Es ist eben schwierig und wir haben ja auch nicht alles in der Hand. Aber wenn man sich anstrengt, Leute hat, die sich der Sache widmen und eine starke Organisation besitzt, so ist dies eine interessante Herausforderung. Der Lohn dafür ist der Gewinn von Meisterschaften."

Lob für Rubens Barrichello

An diesem Wochenende hatte Rubens Barrichello das bessere Ende für sich, der am Freitag noch im Kiesbett steckte, am Samstag dann aber mit der Poleposition den ersten Grundstein für den Sieg legte: "Rubens hatte eine großartiges Rennen, ein tolles Wochenende von Anfang an", so Todt, der in letzter Zeit auch Gerüchte dementieren musste, dass der Brasilianer auf Grund mangelnder Leistungen auf der Abschussliste stehe.

Michael Schumacher hingegen verschenkte die Pole Position mit einem Fahrfehler, hatte im Rennen dann noch dazu Pech und wurde nur Vierter: "Michael verlor im Qualifying einige wichtige Positionen. Am Ende weiß ich nicht, wie viel dies ausgemacht hat, wenn man gesehen hat, was in der zwölften Runde passierte. Unsere Autos standen in der Box in der Schlange und wir waren in Runde 13 Achter und 15."

"Ich erwartete keinen Ferrari-Erfolg"

"Zu diesem Zeitpunkt erwartete ich keinen Ferrari-Erfolg", gibt Jean Todt zu. Doch dass sich Rubens Barrichello mit aufregenden Überholmanövern wieder an die Spitze nach vorne arbeiten konnte zeigt, dass man ein technisch überlegenes Paket hatte: "Die Bridgestone-Reifen, der Motor, das Chassis, alle Verbesserungen, die wir an der Aerodynamik vorgenommen haben, arbeiteten schlussendlich gut."

Dennoch will der Franzose nichts von einem Machtakt wissen, der Ferrari durch den Marathontest in der vergangenen Woche nach vorne gebracht hat: "Das ist der ganzen Arbeit zu verdanken, die seit dem Beginn der Saison geleistet worden ist. In zwei Wochen kann man das Gesicht der Welt nicht verändern. Man sollte nicht glauben, dass die Reifen, die wir in Barcelona, Mugello und Fiorano getestet hatten, nach dem Rennen in Magny-Cours ausgesucht wurden. Das wurde schon lange Zeit vorher entschieden."

"Es wird sehr eng werden"

Auch sei Silverstone nicht die Garantie dafür, dass man in den kommenden Rennen erneut so stark ist: "Wir hatten hier meiner Meinung nach definitiv den besseren Reifen aber der Asphalt, die Temperaturen werden auf anderen Strecken nicht gleich sein, die Reifen werden aber ebenfalls anders sein. Ich glaube, dass wir ein paar interessante Ideen haben, aber erst die Zeit wird es zeigen. Die kommenden zwei Strecken haben langsame Kurven und da haben wir nicht den größten Vorteil. Dann gibt es aber wiederum andersartige Strecken, ich denke, dass es sehr eng werden wird."

Auch wenn Todt an der Boxengasse Verantwortung für seine Fahrer und das Team trägt, kann er dennoch ein so spannendes Rennen wie in Silverstone genießen: "Es war aufregend, denn viele Autos waren weiter hinten als sie es eigentlich sein sollten. Es ist klar, dass man mehr Überholmanöver hat, wenn ein langsameres Auto vor einem schnelleren Auto fährt. Unser Paket war stark und hat es Rubens erlaubt, sehr starke Wettbewerber zu überholen."

"Ein verrücktes Rennen"

"Auf Grund der Umstände war es auch ein wenig verrücktes Rennen. Wenn man die Situation hat, dass alle Autos zur gleichen Zeit an die Box kommen und sich anstellen müssen, so wirft dies die Sache durcheinander und verändert die Philosophie des Rennens komplett. Das hat wohl unser Rennen kaputt gemacht aber nicht so sehr, wie es hätte der Fall sein können."

Was den Eindringling auf der Strecke angeht, so kann sich Jean Todt nicht allzu sehr darüber beklagen: "Ich muss sagen, dass er Gott sei Dank Rubens Glück bringt, denn es ist das zweite Mal, dass er unter solchen Bedingungen ein Rennen gewonnen hat? Was kann man schon dagegen tun? Man hat Zuschauer und wie will man diese kontrollieren? Da kann man nichts machen. Es hätte sehr gefährlich sein können, aber es ging ja ziemlich gut aus muss ich sagen."

Spannender Kampf um den Titel

Rubens Barrichello entschied sich für das Rennen im Gegensatz zu seinem Teamkollegen für die neuste Reifengeneration von Bridgestone mit breiteren Vorderreifen: "Rubens' Leistung muss man würdigen, denn er hat die richtige Reifen- und Setup-Wahl zusammen mit seinem Team getroffen. Aber er hatte natürlich auch ein fantastisches Auto und holte unter diesen schwierigen Bedingungen das Maximum aus ihm heraus. Normalerweise hätte er von der Pole auf und davon fahren sollen. Es war also unnötig schwerer, aber er hat das gut gemeistert."

Die Situation in der Weltmeisterschaft sieht Todt wie folgt: "Ich würde sagen, dass wir in der Konstrukteursweltmeisterschaft unseren Vorteil ein wenig ausgebaut haben, wir sind ein wenig dichter als noch vor ein paar Rennen dran. In der Fahrerwertung haben wir leider einen Punkt auf Räikkönen verloren. In den letzten fünf Rennen hat Williams 73 Punkte geholt ? 40 mit Montoya, 33 mit Ralf ? und ich glaube McLaren 32. Unser größter Gegner ist wohl Williams. Wichtiger ist aber nicht das, was wir verloren haben sondern das, was wir in den kommenden Rennen erreichen können. Ich denke, dass es hart werden wird aber wir haben Potenzial."