• 12.03.2007 13:08

Theissen: "Werden immer im Motorsport sein"

Wenige Tage vor Beginn der neuen Saison analysiert BMW Motorsport Direktor Mario Theissen im Interview die Situation von BMW in der Formel 1

(Motorsport-Total.com/sid) - Frage: "Herr Theissen, setzen Sie bewusst auf deutsche Talente oder spielt das keine Rolle?"
Theissen: "Das spielt bei uns keine vorrangige Rolle. Wir gehen eindeutig nach Leistung und Perspektive, die ein Fahrer für uns hat. Und wenn einige deutsche Fahrer dabei sind, ist die Gemeinsamkeit, die dazu geführt hat, nicht so sehr die Nationalität, sondern die Tatsache, dass sie aus der Formel BMW kommen - wie Sebastian Vettel und Timo Glock. Und gerade bei Nachwuchsleuten ist das für uns schon ein Kriterium. Einer, der ein, zwei Jahre bei uns Formel BMW gefahren ist, hat eine Lehre zum Rennfahrer gemacht. Und den können wir natürlich viel besser einschätzen als jemanden, der von außen kommt. Also: Wir gehen nach Leistung und Perspektive, und wenn da einer oder mehrere Deutsche dabei sind, dann ist das ein schöner Bonus."

Titel-Bild zur News: Mario Theissen

Mario Theissens BMW Sauber F1 Teams zählt 2007 zu den heißen Geheimtipps

Frage: "Sie haben in Robert Kubica und Testfahrer Sebastian Vettel zwei Piloten, die als das Fahrerduo der Zukunft gelten. Wie lange dauert es, bis die beiden tatsächlich das Fahrerduo bilden?"
Theissen: "Ich zähle auch Nick Heidfeld noch zu den jungen Leuten. Er ist noch unter 30 und er hat eine gute Perspektive. Ich bin sehr froh, dass wir vier Fahrer an Bord haben, denen zugetraut wird, in der Formel 1 eine starke Rolle zu spielen. Wie sich das entwickelt, werden wir sehen."#w1#

Heidfeld trotz Vertrag nicht für 2008 gesetzt

"Nick ist für uns der Mann, den wir am besten einschätzen können, von dem wir wissen, was er kann." Mario Theissen

Frage: "Das heißt, Nick Heidfeld bleibt auch 2008 einer der beiden Fahrer."
Theissen: "Natürlich ist das denkbar. Aber es gibt noch keine Entscheidung, die wird es auch nicht so schnell geben. Wir schauen uns jetzt erst einmal an, wie sich die Saison entwickelt. Nick ist für uns der Mann, den wir am besten einschätzen können, von dem wir wissen, was er kann. Den haben wir nicht umsonst ins Team geholt."

Frage: "Sehen Sie denn Chancen, dass Sebastian Vettel noch in dieser Saison zu einem Rennen kommt?"
Theissen: "Das ist nicht vorgesehen."

Frage: "Wie wichtig ist eigentlich für Sie die Präsentation eines Rennfahrers außerhalb des Cockpits?"
Theissen: "Ich würde es als Sekundärkriterium bezeichnen. Entscheidend ist der Erfolg. Wenn man Erfolg hat, dann kann man sich darüber unterhalten, wie man den vermarktet. Nicht umgekehrt. Alles, was anders herum läuft, ist ein Strohfeuer."

Frage: "In vielen Teams, nicht nur bei BMW, drängen vor allem Nachwuchsfahrer nach vorn. Woher kommt dieser Talenteboom?"
Theissen: "Die fangen ganz einfach viel früher das Rennfahren an als vor 20 Jahren. Sebastian Vettel ist vergangenes Jahr mit 19 der Jüngste gewesen, der an einem Formel-1-Wochenende in Aktion getreten ist. Und er hat schon zwölf Jahre Motorsporterfahrung! Früher ist einer mit 16, 18 oder auch 20 und mehr Jahren ins Auto gestiegen. Am anderen Ende der Altersskala muss man sehen, dass die physische Fitness heute eine größere Rolle spielt. Nicht so sehr wegen der Autos, sondern weil die Leistungsdichte unter den Fahrern viel höher geworden ist. Da geht heute jeder ans Limit. Und dann gibt es eben einen Altersbereich, wo manch einer nicht mehr mithalten kann oder will. Das ist die Grundlage für diesen generellen Trend."

Frage: "Wie sehen Sie die Chancen der anderen deutschen Testfahrer Timo Glock, Michael Ammermüller, Nico Hülkenberg und Christian Vietoris, zumindest mittelfristig den Einstieg in die Formel 1 zu schaffen?"
Theissen: "Für die ist es eine super Sache, als Testfahrer im Geschäft zu sein. Wenn sich einer ins Formel-1-Auto setzt, braucht er mindestens eine Saison, bis er die komplexe Arbeit mit dem Auto und dem Team kennen gelernt hat. Die deutschen Testfahrer, die jetzt an der Schwelle stehen, haben alle das Zeug, sich dort zu etablieren."

Vettel und Glock sollen Erfahrung sammeln

"Ich erwarte auch, dass sie in ihren Rennserien Erfolg haben." Mario Theissen

Frage: "Was erwarten Sie konkret von ihren Testfahrern Sebastian Vettel und Timo Glock für die kommende Saison?"
Theissen: "Sie sollen sich an der Entwicklung des Autos beteiligen, im Wechselspiel mit den Ingenieuren das Potenzial des Autos ausreizen und natürlich Erfahrung sammeln. Beide werden ja nebenbei in ihren Serien auch Rennen fahren, und ich erwarte auch, dass sie in ihren Rennserien Erfolg haben."

Frage: "Wer sind Ihre Favoriten in dieser Saison?"
Theissen: "Ich erwarte die drei Topteams der vergangenen Jahre - Renault, McLaren-Mercedes und Ferrari - als die stärksten, auch wenn sich bei allen etwas verändert hat. Ich glaube aber schon, dass sich im Laufe der Saison die Kräfteverhältnisse an der Spitze verschieben werden. Jetzt zum Start rechne ich aber noch mit den Etablierten."

Frage: "Welche Ergebnisse streben Sie für Ihr Team an?"
Theissen: "Wir haben einen klaren Fahrplan, der sich am Abstand der Rundenzeiten zwischen der Spitze und uns orientiert. Diesen Abstand haben wir im Vorjahr halbieren können, den wollen wir in diesem Jahr noch mal halbieren, um dann nach dem kommenden Winter ganz vorne dabei zu sein. Wenn wir den Abstand in dieser Saison halbieren, werden wir 2007 auch unser erklärtes Ziel erreichen: Podiumsplätze aus eigener Kraft."

Frage: "Sie betonen immer wieder, auch mittelfristig bestens mit Ihren Fahrern aufgestellt zu sein. Einen Fahrer von einem anderen Rennstall zu verpflichten, ist also kein Thema?"
Theissen: "Wir haben im vergangenen Jahr einige Entscheidungen auf der Fahrerseite getätigt, von denen ich heute sage: Das Paket passt perfekt zusammen. Wenn wir Glück haben, sind es mehr als zwei, die sich toll entwickeln. Wenn wir Pech haben, sind es weniger als zwei, und dann muss man sich Gedanken machen. Also: Wir entscheiden von Jahr zu Jahr."

Frage: "Welche Zukunftsmärkte sehen Sie in der Formel 1?"
Theissen: "Wir müssen den Sport wieder näher an die Zuschauer bringen. Dazu kann man sich einen Riesenstrauß an Maßnahmen ausdenken. Wir haben im vergangenen Jahr mit dem Pit Lane Park am Nürburgring sicherlich den größten Schritt gemacht. Das werden wir auch fortsetzen und intensivieren. Die Fans an der Rennstrecke sind am nächsten am Sport dran, für die müssen wir etwas tun."

Theissen befürwortet die grüne Formel 1

"Als Ingenieur finde ich das super. Aber man muss aufpassen, dass das nicht die Kosten explodieren lässt." Mario Theissen

Frage: "Ein weiteres Zukunftsprojekt ist die grüne Formel 1. Was halten Sie davon?"
Theissen: "Das steht vor der Tür. Wir müssen jetzt anfangen zu entwickeln. Als Ingenieur finde ich das super. Aber man muss aufpassen, dass das nicht die Kosten explodieren lässt. Es gibt einen Widerspruch zwischen der Linie der vergangenen Jahre, die Kosten einzudämmen, und dem Auffächern des Technologiepaketes, wo genau der gegenteilige Effekt automatisch wieder eintritt. Hier muss man mit Augenmaß vorgehen, um das im Zaum zu halten."

Frage: "Mit der angestrebten Standardisierung der Aerodynamik könnte eine weitere einschneidende Änderung auf die Teams zukommen, weil dann einer der wenigen Schlüssel wegfällt, um Geschwindigkeit herauszuholen. Wie stehen Sie dazu?"
Theissen: "Man muss mit Standardisierungen sehr vorsichtig sein. Wir wollen sicher nicht eine Serie mit einem Einheitsfahrzeug haben. Davon muss man weit genug wegbleiben."

Frage: "Wie beurteilen Sie die aktuellen Standardisierungen, sprich Entwicklungsstopp bei den Motoren und Einheitsreifen?"
Theissen: "Den Einheitsreifen habe ich begrüßt, weil der Einfluss des Reifens auf das Gesamtpaket zu dominant geworden war. Das war einfach nicht mehr gesund und hatte nicht mehr viel mit der Kompetenz der Teams zu tun."

Frage: "Wie weit sind Sie mit den Erkenntnissen bei den Bridgestone-Reifen?"
Theissen: "Es ist nicht so anders wie wir es erwartet haben. Bisher sind die Kommentare nicht schlecht. Das ist natürlich von Fahrer zu Fahrer unterschiedlich: Nick tut sich mit seinem runden Fahrstil leichter als Robert."

Frage: "Sehen Sie einen Nachteil gegenüber den Teams, die Bridgestone schon kennen?"
Theissen: "Das kann ein gewisser Nachteil sein, aber auch die müssen sich auf das Standardprodukt umstellen. Der Reifen ist schon langsamer als die Bridgestones des vergangenen Jahres."

Frage: "Sie haben in Sachen Aerodynamik Aggressivität angekündigt. Was genau muss man sich darunter vorstellen?"
Theissen: "Wir legen einen Schwerpunkt auf die Aeroentwicklung. Dazu verfolgen wir zwei Schienen: die experimentelle im Windkanal und die theoretische in der Simulation am Computer. In beiden Bereichen haben wir im vergangenen Jahr die Voraussetzungen geschaffen, an die Spitze vorzustoßen. Wir sind jetzt in der Lage, dass sich Simulation und Experiment gegenseitig vorantreiben. Wir sehen in der Ergänzung dieser beiden Werkzeuge die Zukunft, und da sind wir aggressiv dabei, das umzusetzen."

BMW gibt nicht mehr aus als zu Williams-Zeiten

"Wir geben nicht mehr Geld aus für das von BMW geführte Team als vorher als Motorenlieferant für Williams." Mario Theissen

Frage: "Sie gelten als Verfechter des Sparens. Wenn man sich die Budgets der Teams anschaut, kann davon aber keine Rede sein..."
Theissen: "Wir haben den Einstieg in das Sparen hinter uns. Auf der Motorenseite haben wir sicher deutlich geringere Aufwendungen als zuvor. Bei uns ist es konkret so: Wir geben nicht mehr Geld aus für das von BMW geführte Team als vorher als Motorenlieferant für Williams."

Frage: "Wie sehen Sie den schmalen Grat zwischen Sport und Unterhaltung in der Formel 1?"
Theissen: "Das gehört einfach zusammen. Formel 1 ist deshalb so erfolgreich, weil es eine einzigartige Mischung aus Hightech, Sport, Business und Show ist. Und deshalb zieht es Zuschauer aus allen Schichten und Branchen an. Auch das gibt es sonst nirgendwo."

Frage: "Würden Sie eine Ausweitung des Kalenders auf 20 Rennen begrüßen?"
Theissen: "Ich kann mir das vorstellen. Voraussetzung ist, dass das Testen noch weiter eingeschränkt wird, um die Kosten zu minimieren und um die Belastung der Mannschaft erträglich zu halten."

Frage: "Wie sinnvoll ist eigentlich dieser Kalender mit den drei Wochen Pause und dem Test in Malaysia?"
Theissen: "Die Pause ist eigentlich zu lang. Die logische Folge war der Testtermin in Malaysia. Den Test finde ich sehr gut, weil man sonst in Europa kaum die Möglichkeit hat, unter sommerlichen Bedingungen zu testen."

Frage: "Wenn Sie die Ausweitung des Kalenders begrüßen, dann beinhaltet das möglicherweise Rennen in Mexiko, Singapur, Korea oder Russland. In Deutschland haben wir aber nur noch ein Rennen. Ist die Rotation der beiden Rennen in Deutschland eine vernünftige Lösung?"
Theissen: "Natürlich war es ein schöner Zustand, zwei Rennen in Deutschland zu haben. Aber wenn selbst die Träger dieser Rennen sagen, dies sei die einzige Lösung, dann unterstützen wir das. Grundsätzlich bin ich der Ansicht, dass wir die Traditionsstrecken in Europa auch in Zukunft brauchen. Diese Strecken stehen für die Formel 1, auf ihnen ist die Formel 1 groß geworden. Es ist wichtig, solche Wurzeln zu pflegen und diese Tradition fortzuführen. Genauso wichtig ist es natürlich, in den aufstrebenden Wirtschaftsnationen präsent zu sein, um das Zukunftspotenzial auszuschöpfen, das zum Beispiel 1,3 Milliarden Chinesen bieten."

Theissen fordert niedrigere Eintrittspreise

"Ich bin der Ansicht, wir müssen das Programm am Wochenende deutlich attraktiver machen für die Zuschauer." Mario Theissen

Frage: "Wie kann man die Formel 1 attraktiver machen?"
Theissen: "Ich bin der Ansicht, wir müssen das Programm am Wochenende deutlich attraktiver machen für die Zuschauer. Und es würde sicher auch nicht schaden, wenn die Eintrittspreise runtergehen."

Frage: "Sollte man das Programm am Wochenende weiter verkürzen?"
Theissen: "Nein, ich habe mich für das Gegenteil ausgesprochen. Wenn wir schon testen, dann am Rennwochenende, nämlich am Freitag. Da tun wir was für die Zuschauer, für die Promoter, für die Sponsoren. Das ist eigentlich nur das Hervorholen der Tests von leeren Rängen auf die Bühne. Ein Testtag ist etwas ganz anderes als ein Trainingstag, und auch das wäre mal interessant für die Zuschauer."

Frage: "Wie definieren Sie eigentlich Erfolg? Dass es BMW gelungen ist, technisches Know-how gegen Mitbewerber zu zeigen, oder denken Sie daran, wir müssen Autos verkaufen?"
Theissen: "Bei uns sind es beide Effekte. Die Formel 1 ist eine Plattform, auf der wir die Stärken der Marke präsentieren können. Wir übersehen aber auch nicht andere Faktoren wie den Technologietransfer."

Frage: "Lassen sich Verkaufszahlen auf Rennerfolge zurückführen?"
Theissen: "Unsere Marketingleute schauen sich jedes Jahr sehr genau an, was die Formel 1 bringt."

Frage: "BMW kann also gar nicht ohne Formel 1, um im internationalen Wettbewerb zu bestehen?"
Theissen: "So ultimativ kann man das nicht sagen. Was für BMW auf jeden Fall gilt: Wir werden immer im Motorsport sein. Das ist vom ersten Tag des Unternehmens so. Man kann nur nicht in allen Motorsportarten gleichzeitig sein. So wie die Landschaft derzeit ist, mit der Formel 1 als Königsklasse, die die mit Abstand meiste Aufmerksamkeit erzielt, ist das für uns die Bühne."