• 22.11.2004 11:29

  • von Florian Haasper

Theissen: "Rahmenbedingungen regelmäßig prüfen"

Im Interview mit 'F1Total.com' spricht der BMW-Sportchef über Widerstand gegen das Reglement, Kundenmotoren und mehr

(Motorsport-Total.com) - BMW gehört neben Honda und Mercedes zu den Gegnern des neuen Motorenreglements, das 2006 in Kraft treten soll. Die drei Hersteller wehren sich vehement gegen die Einführung von 2,4-Liter-V8-Motoren. Im Gespräch mit 'F1Total.com' schließt BMW-Motorsportdirektor Dr. Mario Theissen einen Ausstieg des deutschen Automobilherstellers aus der Königsklasse nicht aus, sollte die FIA nicht von ihren Plänen abrücken.

Titel-Bild zur News: Dr. Mario Theissen

Für Theissen ist ein zweites Team neben Williams nicht mehr undenkbar

"Man muss in jedem Unternehmen bei einem derart langfristigen Projekt regelmäßig prüfen, ob die Rahmenbedingungen noch so sind, wie man sie vorgefunden hat", sagt der 52-Jährige. Außerdem verrät er, dass es für BMW zukünftig vorstellbar ist, weitere Teams mit Motoren zu beliefern und dass Nick Heidfeld trotz seiner Vergangenheit bei Mercedes ein Kandidat für das zweite Cockpit bei BMW-Williams bleibt.#w1#

Montoyas Sieg in Brasilien ein "versöhnlicher" Abschluss

Frage: "Herr Theissen, worin liegen die Gründe für das schwache Abschneiden von BMW-Williams in der vergangenen Saison?"
Mario Theissen: "Der Hauptgrund liegt sicher darin, dass einige Wettbewerber über den Winter einen größeren Entwicklungssprung geschafft haben als wir. Wir sind davon ausgegangen, dass wir mit dem FW26 ein siegfähiges Auto haben. Bei den ersten Rennen mussten wir jedoch erkennen, dass wir nicht an der Spitze dabei sind. Das war eine Situation, auf die man in der laufenden Saison nur mit großem Einsatz und hohem Zeitaufwand reagieren kann. Das Team hat dies getan, hart gearbeitet und das Auto wieder wettbewerbsfähig gemacht. Die Saison war dann aber schon so weit fortgeschritten, dass wir nicht mehr ganz nach vorn kommen konnten. Der Sieg von Juan Pablo im Finale in Brasilien war schließlich ein versöhnlicher Abschluss einer schwierigen Saison."

Frage: "War das Risiko, auf die spektakuläre Frontpartie zu setzen, zu groß?"
Theissen: "Beim Fahrzeugkonzept ein Risiko einzugehen, war kein Fehler. Das würden wir wieder tun. Wer den Führenden nicht nur einholen, sondern überholen möchte, der muss etwas riskieren. Er muss neue Konzepte finden, entwickeln und auch umsetzen. Dies birgt immer ein gewisses Risiko, ist aber zugleich eine große Chance. Wer dazu nicht bereit ist, wird nie an die Spitze kommen. In unserem Fall hat das Ergebnis dieser Entwicklung, die Nase des FW26, nicht die erwarteten Ergebnisse gebracht. Das kann passieren, wenn man sich für ein solches Konzept entscheidet. Natürlich würden wir es in dieser Form nicht noch einmal machen."

Frage: "Hat sich das Team von den viel versprechenden Ergebnissen im Winter täuschen lassen?"
Theissen: "Die Testergebnisse und vor allem die Rückmeldungen der Fahrer waren gut. Den Vergleichsmaßstab hatten wir aber tatsächlich erst im ersten Rennen. Dort konnten wir sehen, wo wir im Vergleich zur Konkurrenz stehen. Dann war die Erkenntnis da, dass wir aufholen mussten."

Juristische Schritte für Theissen vorstellbar

Frage: "BMW hat sich ganz klar gegen die für 2006 geplante Einführung von 2,4-Liter-V8-Motoren ausgesprochen. Wie weit werden Sie mit Ihrem Widerstand gehen?"
Theissen: "Wir sind momentan dabei, gemeinsam mit Mercedes und Honda beziehungsweise den jeweiligen Teams genau diese Frage zu erörtern und die nächsten Schritte festzulegen. Im Detail kann ich dazu noch nichts sagen. Nur so viel: Selbstverständlich ist vorstellbar, dass wir juristische Schritte einleiten."

Frage: "Sollte der Widerstand erfolglos sein, kommt für BMW ein Ausstieg aus der Formel 1 in Frage?"
Theissen: "Wir sind in der Formel 1, um die Technologie-Kompetenz von BMW zu demonstrieren. Das bedeutet, jede Maßnahme, die uns technologisch einschränkt, ist unter diesem Aspekt kritisch zu sehen. Auf der anderen Seite unterstützen wir uneingeschränkt das Ziel der FIA, die Kosten zu senken und einige Maßnahmen, die in diese Richtung gehen. Es ist deshalb schwierig, so eine Frage, bildlich gesprochen schwarz oder weiß zu beantworten. Als wir in die Formel 1 gekommen sind, war dies ganz klar als langfristiges Engagement gedacht. Ich hoffe sehr, dass die neuen Regeln so ausfallen, dass sie den Charakter der Formel 1 nicht zerstören und wir daraufhin erkennen können, dass die Formel 1 weiter die Top-Kategorie im Motorsport ist."

Frage: "Ausschließen können Sie ein vorzeitiges Ende des Engagements demnach nicht?"
Theissen: "Wie gesagt, es handelt sich um ein langfristiges Commitment. Man muss aber in jedem Unternehmen bei einem derart langfristigen Projekt regelmäßig prüfen, ob die Rahmenbedingungen noch so sind, wie man sie vorgefunden hat und ob die Attraktivität nach wie vor vorhanden ist."

Lieferung von Kundenmotoren für BMW kein Tabu mehr

Frage: "Toyota beliefert Jordan 2005 mit Kundenmotoren. Hat es zuvor auch eine Anfrage an BMW gegeben?"
Theissen: "Es gab natürlich immer wieder Anfragen. Wir haben von Anfang an gesagt, dass wir es vorziehen, mit unserem Partner Williams exklusiv zusammenzuarbeiten, um uns voll auf dieses Team zu konzentrieren. Wir wären in der Vergangenheit auch nicht in der Lage gewesen, weitere Rennställe zu beliefern. Einerseits, weil wir selbst noch Newcomer in der Formel 1 waren und uns erst etablieren mussten. Andererseits war unsere Produktionskapazität begrenzt. Mit dem Übergang zu langlebigen Motoren sinkt nun aber die Zahl der Aggregate, die man im Verlauf der Saison benötigt. Damit kann ich mir vorstellen, dass auch wir in Zukunft die Kapazität haben werden, um ein weiteres Team auszustatten."

Frage: "Nick Heidfeld testet Anfang Dezember für BMW-Williams. Ist sein Name nicht zu sehr mit Ihrem Erzrivalen Mercedes verbunden?"
Theissen: "Nein, das sehe ich nicht so. Wir haben immer gesagt, dass für uns die Leistung eines Fahrers zählt. Demnach sind sowohl die Nationalität eines Fahrers als auch die Namen der Teams, für die er früher aktiv war, zweitrangig. Im Fall von Nick liegen bereits einige Jahre dazwischen, und er ist ja in der Formel 1 nie für Mercedes gefahren. Das ist für uns also kein Kriterium."

Frage: "Zum Abschluss noch ein Ausblick in die kommende Saison. Sollte Michael Schumacher 2005 seinen achten WM-Titel gewinnen, wäre dies nicht ein Armutszeugnis für alle Konkurrenten, Ihr Team eingeschlossen?"
Theissen: "Es wäre für mich vor allen Dingen der Nachweis für die außergewöhnliche Leistung von Ferrari und den beteiligten Schlüsselpersonen sowie der Beleg dafür, wie nachhaltig es sich auswirkt, wenn man ein Team sauber aufstellt, gut organisiert und reifen lässt. Dann ist es in der Lage, nach einem sehr langen Anlauf, den Ferrari ja hatte, langfristig den Ton anzugeben. Das wollen wir jedoch nach aller Möglichkeit verhindern."