• 11.09.2009 02:02

  • von Dieter Rencken

Sutil: "Wenn das Absicht war, war es professionell!"

Adrian Sutil über den Singapur-Crash, den er aus nächster Nähe sah, seinen Optimismus für Monza und die Vorteile von Jenson Button im Titelkampf

(Motorsport-Total.com) - Adrian Sutil hat den umstrittenen Crash von Nelson Piquet Jun. 2008 in Singapur quasi "aus der ersten Reihe" miterlebt, denn er fuhr damals direkt hinter dem Renault-Piloten. In Monza sprach Sutil ausführlich über dieses Thema. Außerdem erklärte er, warum Spa für ihn eine verpasste Gelegenheit war, die er in Monza wettmachen will, warum Jenson Button seiner Meinung nach Weltmeister wird und warum er gern noch ein Jahr bei Force India bleiben würde:

Titel-Bild zur News: Adrian Sutil

Adrian Sutil will in Monza das nachholen, was ihm in Spa verwehrt blieb

Frage: "Ich habe zwei 'philosophische' Fragen zu dieser ganzen Geschichte um Renault, Piquet und den Crash. Würdest du als Fahrer jemals in Betracht ziehen, mit Absicht einen Unfall herbeizuführen? Wenn ich in einem Auto sitzen würde - oder sogar ein einem Go Kart - dann würde ich auf keinen Fall daran denken, absichtlich einen Unfall zu bauen, weil man ja nie wissen kann, was passiert."
Adrian Sutil: "Ganz genau so ist es bei mir auch. Zum einen ist da die Angst, aber schon allein wegen meines Stolzes als Rennfahrer würde ich das niemals tun. Auf keinen Fall."#w1#

Frage: "Hättest du Angst, dich selbst in Gefahr zu bringen?"
Sutil: "Natürlich, ein Unfall ist immer gefährlich. Wenn man in die Mauer fährt, kann alles passieren. Ich weiß wie es sich an fühlt, wenn man in die Streckenbegrenzung kracht. Das tut wirklich weh und so etwas möchte man absichtlich nicht tun. Es wäre unglaublich, wenn an dieser Geschichte etwas Wahres dran wäre. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass jemand so etwas tut."

"Es wäre unglaublich, wenn an dieser Geschichte etwas Wahres dran wäre." Adrian Sutil

Frage: "Viele Leute sagen, dass vielleicht massiver Druck auf ihm gelastet hat, dass sein Job davon abhing und so weiter. Aber kann man als Fahrer dem Team gegenüber nicht mit moralischen oder ethischen Argumenten entgegnen, dass man zwar alles tun würde, aber sich gewiss nicht einer Gefahr aussetzen würde?"
Sutil: "Im Normalfall schon. Ich kann nur sagen, wie es bei uns ist. Ich habe meine eigene Meinung und ich kann sagen, was ich will. Das ist eine Diskussion, die das Team gemeinsam führt. Wir besprechen die Dinge, aber wenn ich etwas absolut nicht machen möchte, dann geht das in Ordnung. Denn ich fahre das Auto und ich entscheide, was ich tue."

¿pbvin|512|1935||0|1pb¿Frage: "Bei so etwas wird nicht nur der Fahrer selbst gefährdet. Wir haben in diesem Jahr gesehen, was ein fliegendes Rad oder sogar eine Feder anrichten können. Ist das vielleicht noch das größere Problem, dass ein Fahrer durch die Teile auf der Strecke andere gefährden könnte?"
Sutil: "Absolut. Es ist ja nicht nur sein eigenes Risiko. Ich war direkt hinter ihm, als er in Singapur in die Mauer gefahren ist. Ich habe gesehen, was passiert ist. Es hat ausgesehen wie ein normaler Rennunfall. Vielleicht ist er ein bisschen früh aufs Gas gegangen. Ich hatte ihn seit ein paar Runden unter Druck gesetzt und war recht dicht an ihm dran. Er ist ein bisschen früh aufs Gas gegangen, das Auto ist ausgebrochen und er ist in die Mauer gekracht. Wenn er das mit Absicht gemacht hat, dann war es wirklich professionell. Dann hat er einen wirklich guten Job gemacht."

"Wenn man weiß, wie man so etwas machen muss, dann kann man es auch." Adrian Sutil

Frage: "Wäre es schwierig, so ein Crash herbeizuführen?"
Sutil: "Es ist einfach, sich zu drehen und einem Crash zu haben. Man geht nur ein bisschen früher aufs Gas, fährt etwas aggressiver, dann beginnt das Auto zu übersteuern, man tut nichts dagegen und schon hängt man in der Mauer. Wie gesagt, wenn man weiß, wie man so etwas machen muss, dann kann man es auch."

Frage: ""Kann man anhand der Telemetriedaten nachweisen, dass das mit Absicht passiert ist?"
Sutil: "Nein, es wäre sehr schwierig, es anhand der Daten zu sehen. Man kann einfach nicht heranziehen, wie viel er durchschnittlich Gas gegeben hat, er kann ja machen was er will. Man kann nie sagen, ob ob er das mit Absicht gemacht hat oder nicht. Wenn er entscheidet, früher Gas zu geben, weil er denkt, dass der Grip dazu ausreicht, dann entscheidet er sich so. Man kann die Daten durchgehen und man kann darin Dinge erkennen, aber man kann damit nicht beweisen, ob etwas mit Absicht geschehen ist oder nicht."

Frage: "Aber Michael Schumacher hat man in Monaco auch anhand der Daten nachgewiesen, dass er absichtlich stehen geblieben ist."
Sutil: "Ja, aber das war etwas anderes. Er hat gebremst, ist dann wieder von der Bremse runtergegangen und hat wieder gebremst und dabei nicht wirklich gelenkt. Das war offensichtlich. Aber das hier war etwas anderes."

In Monza ist "alles möglich"

Frage: "Kann Force India die Performance von Spa hier wiederholen oder vielleicht sogar noch steigern?"
Sutil: "Alles ist möglich, aber Spa war eine ganz besondere Strecke und ein besonderes Rennwochenende für uns. Für Giancarlo ist alles absolut perfekt gelaufen, er ist ein großartiges Rennen gefahren und hat seine Chance genutzt. Es ist schwer, das noch zu überbieten. Aber es ist möglich, unser Auto ist im Moment sehr gut. Hoffentlich haben wir hier in Monza denselben Speed. Dann geht es nur noch darum, die richtige Strategie und im Qualifying das richtige Timing zu haben, um es möglich zu machen."

Adrian Sutil

Monza könnte der Aerodynamik des Force India entgegenkommen Zoom

Frage: "Die Charakteristik von Monza sollte eurem neuen Aerodynamikpaket entgegenkommen. Könnt ihr hier wieder ein starkes Rennen abliefern?"
Sutil: "Ja, ich denke schon. Wir können hier ein starkes Rennen haben. Es werden hier zwar ein paar Autos mehr mit KERS fahren, was ein großer Vorteil ist, deshalb könnte es für uns ein bisschen schwieriger werden als in Spa. Aber es geht im Qualifying so eng zu. Wenn man eine gute Runde hat, kann man gleich einen Sprung um mehrere Positionen nach vorn machen und es in Q3 schaffen. Und sobald einem das gelungen ist, kann man mit seiner Strategie variieren. Es ist also alles möglich und ich rechne uns hier gute Chancen aus. Unser Team ist stark und es weiß, wie es läuft. Schauen wir also, wie es funktioniert."

Frage: "Nachdem Giancarlo zu Ferrari gegangen ist, bist du jetzt der 'Senior' im Team. Setzt dich das mehr unter Druck oder denkst du, dass du damit in einer besseren Position bist und größere Chancen hast, ein Toppergebnis zu holen?"
Sutil: "Man steht immer unter einem gewissen Druck. Das brauche ich auch. Ich spüre einfach, dass wir die Chance auf Punkte haben und das macht die Sache für mich so aufregend. Ich spüre keinen negativen Druck und werde auch nicht nervös. Es ist alles positiv, ich spüre das Adrenalin und genieße die momentane Situation, in der ich sagen kann, dass wir ein großartiges Auto haben, dass wir gute Arbeit geleistet haben und es von hinten nach vorn geschafft haben. Und das will ich jetzt beweisen."


Fotos: Großer Preis von Italien


Frage: "Willst du nach Spa wieder etwas wettmachen? Denn du hattest dort nicht so ein gutes Wochenende wie Giancarlo. Du hattest in Q2 gewisse Probleme mit den Reifen. Siehst du in Spa eine verpasste Gelegenheit und denkst du, dass Monza jetzt die Chance ist, das nachzuholen?"
Sutil: "Ja, es war definitiv eine verpasste Gelegenheit. Der Speed war da, das haben wir schon im freien Training gesehen. In der Qualifikation haben wir dann die falsche Entscheidung getroffen. Das hat unser Wochenende ein bisschen kaputtgemacht, wenn man sieht, wo ich losgefahren bin. Ich war auf Startplatz elf - was immer noch okay war. Aber da ist man im Mittelfeld und dort passiert immer irgendetwas in der ersten Kurve. Ich wurde von irgendjemandem umgedreht und damit war mein Rennen so gut wie beendet."

"Es ist wichtig, einen sehr guten Startplatz zu haben und ich möchte sicherstellen, dass die Qualifikation jetzt für mich perfekt läuft. Wir wollen keine Fehler mehr mit den Reifen machen, wir haben hier dieselben Mischungen. Aber natürlich ist das Gefühl da, dass ich in Spa gewissermaßen eine Chance verpasst habe, was ein bisschen schade ist. Aber ich sehe hier eine ähnliche Chance, und die möchte ich diesmal nutzen."

Vijay Mallya (Teameigentümer), Giancarlo Fisichella

Pure Freude: In Spa konnte Force India den ersten Podiumsplatz feiern Zoom

Frage: "Habt ihr irgendwelche Verbesserungen am Auto?"
Sutil: "Nein, für dieses Rennen haben wir keine Neuerungen dabei. Wir hatten unser großes Update schon in Valencia, was uns in Spa sehr weitergeholfen hat und es hoffentlich auch hier tun wird. Wir haben nur ein spezielles Aerodynamikpaket für Monza dabei mit geringerer Downforce."

Frage: "War es für euch ein Problem, dass ihr diesmal in Monza vorher nicht testen durftet?"
Sutil: "Das macht die Sache für alle ein bisschen schwieriger, aber ich denke, dass es trotzdem kein allzu großes Problem sein sollte."

Frage: "Besprichst du mit Tonio strategische Dinge, hilfst du ihm als Teamkollege?"
Sutil: "Er kann mich jederzeit fragen. Vielleicht hat er Morgen ein paar Fragen und ich werde ihm gegenüber natürlich ganz offen sein. Aber er muss seinen Job machen und ich muss meinen Job machen. Ich bin nicht sein Lehrer, er weiß, wie man ein Auto fahren muss."

Frage: "Kannst du schon sagen, wie sich das Auto auf den Kerbs verhalten wird? Denn in diesem Jahr gab es ja kein Montreal, wo man das schon einmal sehen konnte?"
Sutil: "Wir haben hier neue Randsteine, deshalb sollte es kein Problem mehr sein. Es sind die gleichen Randsteine wie am Nürburgring, das wurde er vergangene Woche geändert. Ich bin darüber sehr froh, denn ich habe die Randsteine hier nicht besonders gemocht. Auf manchen ist das Auto ziemlich viel gesprungen, auf anderen weniger, es war schwierig daraus einen Vorteil zu ziehen."

Sutil tippt auf Button

Frage: "Fünf Rennen sind noch zu fahren, vier Piloten können noch Weltmeister werden, wer wird den Titel holen?"
Sutil: "Ich denke, dass Jenson ihn holen wird. Er hat auf die anderen immer noch einen recht großen Vorsprung und ich denke, dass er mental stark genug ist, es nach Hause zu fahren. Natürlich ist die Frage, ob er auch das Auto dazu hat. Er hatte Probleme, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Probleme bis zum Ende der Saison anhalten werden. Er wird sich bald zurückmelden. Ich denke, dass es hier ganz gut für sie laufen sollte, in Valencia waren sie auch ganz gut. Es ist eine Stop-and-Go-Strecke, deshalb sollte er hier recht gute Chancen haben."

"Ich denke, dass er mental stark genug ist, es nach Hause zu fahren." Adrian Sutil

Frage: "Du hast gesagt, dass er mental sehr stark ist. Denkst du nicht, dass er nun auch im Kopf Probleme bekommen könnte?"
Sutil: "Nein. Er ist zu Beginn der Saison unglaublich starke Rennen gefahren, er hat dabei keinen einzigen Fehler gemacht. Er hat aus allen seinen Möglichkeiten das Maximum gemacht. Mit seiner Erfahrung ist er jetzt auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Zwar erlebt er mit seinem Auto in dieser Saison Höhen und Tiefen, ich sehe aber keinen Grund, warum es verlieren sollte."

Frage: "Wie wichtig ist diese mentale Stärke? Du hast zwar hier nicht gewonnen, aber in anderen Serien den Titel geholt. Ich denke, dort wird es dasselbe sein, oder?"
Sutil: "Wenn man stark anfängt und das Auto dann plötzlich nicht mehr so gut ist und man keine Chance mehr hat, dann fängt man natürlich schon mit dem Nachdenken an. Man wird vielleicht ein bisschen nervös. Aber sein Vorsprung, den er jetzt noch hat, reicht vollkommen aus. Ich denke, dass er in einer komfortablen Ausgangslage ist. Ich würde auch nicht sagen, dass Red Bull im Moment besonders stark ist. Sie müssen wirklich hart arbeiten, um diese vielen Punkte noch aufzuholen. Es gibt jetzt mehrere andere Teams, die ihnen die Punkte wegnehmen und die auch recht konkurrenzfähig sind."

Erfolg macht Force India attraktiv

Frage: "Wie sieht es bei dir für nächstes Jahr aus? Hast du mit anderen Teams gesprochen?"
Sutil: "Dazu kann ich noch nichts sagen. Ich habe derzeit zu niemandem Kontakt, ich habe eine Option bei meinem Team hier, aber Konkretes gibt es noch nicht. Die Option besteht auf beiden Seiten."

"Ich hätte kein Problem damit, hier noch ein Jahr zu bleiben. " Adrian Sutil

Frage: "Die Performance, die Force India zeigt, dürfte einen Verbleib allerdings reizvoller machen?"
Sutil: "Ja, definitiv. Die Performance ist im Moment wirklich sehr gut. Es ist schwierig, eine Entscheidung zu treffen. Aber in der Formel 1 passiert im Moment so viel, keiner weiß, wie es im nächsten Jahr sein wird. Man kann nur abwarten. Ich bin recht froh, dass ich diese Option habe und das Team ist mit meiner Arbeit zufrieden. Ich habe hier zu allen ein sehr gutes Verhältnis, ich hätte also kein Problem damit, hier noch ein Jahr zu bleiben. Ich würde gern um ein Jahr verlängern."

Frage: "Dein Chef, Vijay Mallya, ist der erste Teambesitzer seit Eddie Jordan, der mit dem Team Erfolg hat. Denkst du, dass er diesen Weg fortführen kann?"
Sutil: "Ja. Er hatte klare Vorstellungen, wo er hin will. Es hat zwar eine Weile gedauert. Im ersten Jahr ging es darum zu analysieren, wo die Probleme lagen und das ist ihm sehr gut gelungen. Und in diesem Jahr haben wir alles geändert, was geändert werden musste. Wir haben in den ersten Rennen unsere Erfahrungen gesammelt und die Basis für das Auto erarbeitet. Er hat vor der Saison gesagt, dass er in der zweiten Saisonhälfte Erfolg haben möchte - und das hat wirklich funktioniert. Es ist beeindruckend, dass alles, was er sagt, auch so kommt. Als er das Team übernommen hat, hat er gesagt, dass er in zwei Jahren auf das Podium fahren will. Das ist am vergangenen Wochenende gelungen. Und es ist grundsätzlich schön, mit ihm zusammenzuarbeiten."