• 04.09.2017 14:10

  • von Dieter Rencken, Dominik Sharaf & Jonathan Noble

Strafversetzungen auf dem Prüfstand: Pest oder Cholera

Große Teams als Nutznießer oder Langeweile auf der Strecke: Eine Abschaffung der Strafversetzungen ist nicht so einfach wie es scheint - Und es gibt viele Befürworter

(Motorsport-Total.com) - Nach dem Strafenwahnsinn beim Italien-Grand-Prix in Monza am vergangenen Wochenende diskutiert die Formel 1 über eine Novelle ihres Reglements für Rückversetzungen in der Startaufstellung nach Antriebswechseln. In einem Interview mit 'Motorsport-Total.com' von Sportchef Ross Brawn angestoßen, sind Änderungen bei allen Teams ein Thema. Auch bei der FIA. "Wir wissen, dass wir uns dem widmen müssen", sagt Präsident Jean Todt, "aber wir wollen es auch ordentlich machen."

Titel-Bild zur News: Nico Hülkenberg

Nicht nur Renault-Mechaniker wundern sich, wo sie mit dem Auto teils parken Zoom

Heißt: Schnellschüsse sind ein Tabu. Rasche Lösungen liegen wohl gar nicht auf dem Tisch. "Wenn wir die Situation verbessern können, werden wir es tun", verspricht Todt. "Wir sind offen für alle guten Vorschläge. Nur sind die Auswege nicht immer eindeutig." Schließlich ist das Paddock gespalten. Es gibt diejenigen, die sofort etwas unternehmen wollen, weil sie sportlich im Moment die Gelackmeierten sind. Logisch, dass das McLaren-Team am heftigsten in dieses Horn bläst.

Rennleiter Eric Boullier: "Das Qualifying sollte eine Tombola sein!" Ihm und Partner Honda wäre es wohl am liebsten, würde jegliche Begrenzung des Saison-Antriebskontingentes abgeschafft - und damit auch die Strafen. Doch das ist keine Option, schließlich handelt es sich um eine der zentralen Maßnahmen zur Kostenreduktion, die in den vergangenen Jahren in der Formel 1 eingeführt wurde.


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Die Diskussion dreht sich darum, wie eine Überschreitung der erlaubten Komponentenzahl geahndet werden sollte. Hart, meint Red-Bull-Teamchef Christian Horner, obwohl seine Renault-befeuerte Truppe ebenfalls regelmäßig von weit hinten startet. "Es muss eine deutliche Abschreckung sein", unterstreicht der Brite, "denn es geht um Kostensenkung." Das Klassenziel würde aber verfehlt.

"Leider sparen wir kein Geld, weil die Antriebe trotzdem auf Weltreise gehen und eingesetzt werden", meint Horner vor dem Hintergrund der andauernden Strafversetzungen. Ohne Power kann kein Formel-1-Auto fahren. Wer von Antriebsschäden betroffenen ist, dem bleibt keine Alternative als in den saueren Apfel zu beißen. Am Ende wird es teuer, obwohl sportlich auch nichts läuft.

Christian Horner

Christian Horner warnt vor zu laschen Strafen, weil er Geld sparen will Zoom

Bei Red Bull warnt man vor einer weiteren Reduzierung des Kontingents, wie sie für die Saison 2018 geplant ist: "Vielleicht sind fünf Antriebsstränge die richtige Zahl - eher, als von vier auf drei zu gehen", so Horner. Und bei den Startplatzstrafen bleiben? Renault-Fahrer Jolyon Palmer würde es nicht schmecken: "Ich denke, es ist ziemlich lächerlich. Wir wussten vor Beginn des Wochenendes, dass wir hinten stehen würden, aber je länger es gedauert hat, umso weiter ging es nach vorne."

Kuriosestes Beispiel in Monza war Force-India-Fahrer Sergio Perez. Der Mexikaner beendete das Qualifying als Elfter, wechselte das Getriebe, bekam fünf Startplätze Rückversetzung und fuhr als Zehnter los - weil seine Konkurrenten noch heftigere Sanktionen aufgebrummt bekamen. "Sogar für uns ist es kaum noch zu verstehen", winkt Horner ab. "Es ist viel zu verwirrend. Es ist besser, ein Team oder einen Hersteller zu bestrafen, als in der Startaufstellung herumzupfuschen."

Bedeutet im Umkehrschluss, dass Punkteabzug in der Konstrukteurs-WM oder Geldbußen das bessere Mittel wären. Mitnichten, sagen Befürworter des aktuellen Reglements. Es gibt sie durchaus. Es handelt sich um die Privatiers die darauf erpicht sind, so wenig Geld wie möglich auszugeben.


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Bloß keine Milde walten zu lassen, fordert Haas-Teamchef Günther Steiner: "Große Teams würden noch weiter wegziehen. Sie würden ständig und überall wechseln. Sie wären schneller und würden kleine Strafen locker wettmachen." In Italien wurde das Problem deutlich: Daniel Ricciardo landete nach einer Rückversetzung um 25 Positionen auf Starplatz 16, fuhr mit frischer Hybridpower aber locker durch das Feld und wurde Vierter. Es war eine Folge des überholfreundlichen Streckenlayouts in Monza, aber auch Zeugnis des gewaltigen Leistungsvorsprungs der Top-3-Mannschaften.

Romain Grosjean

Die Strafversetzungen sind eine Chance für die Kleinen - so wie die Haas-Mannschaft Zoom

Steiner versteht die Aufregung nicht: "Die Strafen haben einen Grund: Es wurde schlecht gearbeitet", kreidet er der Konkurrenz mangelnde Zuverlässigkeit an. Force India sieht es ähnlich: "Als die Regeln verfasst wurden, war es der beste Weg. Es ist nur ein wenig kompliziert, wenn es sich aufsummiert", relativiert Betriebsdirektor Otmar Szafnauer. Viel schlimmer fände es Steiner, Zähler in der Konstrukteurs-Wertung abzuziehen, um die Piloten zu verschonen - weil Teams dann ihre Bemühungen auf die in den Medien viel stärker akzentuierte Fahrer-WM konzentrieren würden: "Dann konzentriert man sich darauf und baut ständig einen neuen Antrieb ein", warnt Steiner.

Für Force Indias Technikchef Andy Green kommt hinzu, dass das Durcheinanderwürfeln der Startaufstellung für Spannung sorgt: "Was ist daran falsch?", zuckt er mit den Schultern. "Es wird immer darüber gesprochen, die Show zu verbessern. Das ist passiert. Jetzt beschweren sich alle darüber." Denn niemand kann leugnen, dass Ricciardos Überholmanöver einer größten Spannungsfaktoren in Monza waren. "Wer ist denn bitte zum Fahrer des Tages gewählt worden?!", fragt Green.

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