Stewart erinnert sich an den Nürburgring 1968

Jackie Stewart hat 1968 auf dem Nürburgring eines seiner größten Rennen gewonnen - Mit einem Vorsprung von vier Minuten dominierte der Schotte die Regenschlacht

(Motorsport-Total.com) - Jackie Stewart hat dreimal die Weltmeisterschaft gewonnen und viel für die Formel 1 und den Motorsport getan. Speziell seine Sicherheitsbestrebungen Ende der Sechziger und Anfang der Siebzigerjahre haben den Sport verändert. Unvergessen ist sein Rennen auf dem Nürburgring 1968, wo der Schotte bei starkem Regen der Konkurrenz auf der schwierigen Strecke über vier Minuten aufgebrummt hat. Heute würde ein Rennen unter diesen Bedingungen gar nicht gestartet werden, wie man beispielsweise auf der neuen Strecke in Südkorea gesehen hat.

Titel-Bild zur News: Jackie Stewart

Jackie Stewart ist auf dem Nürburgring 1968 in einer eigenen Liga gefahren

Einen wichtigen Anteil an dem legendären Sieg auf der Nordschleife hatte sein damaliger Teamchef Ken Tyrrell, der Stewart im Training auf eine Besichtigungsrunde geschickt hat, damit er Bedingungen lernt. "Ich habe viele Regenrennen gewonnen, aber das heißt nicht, dass mir die Bedingungen gefallen haben. Vielleicht war ich manchmal im Regen etwas konkurrenzfähiger, aber es waren keine angenehmen Erfahrungen", wird Stewart von 'F1fanatic.com' zitiert.

"Ich wollte das Auto nicht riskieren, deshalb war ich so dagegen. Es kam selten vor, dass Ken und ich groß anderer Meinung waren, aber das war so ein Fall. Ich wollte keinen großen Unfall haben und ich meine damit, dass ich das Auto beschädigen hätte können, wenn ich mich auf einem Fluss aus Wasser gedreht hätte. Der Regen war so extrem, dass alle Kanaldeckel übergegangen sind. Auf dem Nürburgring gab es neben der Strecke nur Grashügel. Der Schmutz wurde auf die Strecke gewaschen und hat Abflüsse verstopft."

"Natürlich hatte Ken recht. Es stellte sich heraus, dass ich in dieser einen Runde die Stellen, an denen sich viel Wasser sammelte, finden konnte. Es ist nicht nur die Frage, wo man abfliegt, sonder was passiert, wenn man auf Wassermassen trifft. Man muss sofort vom Gas gehen und versuchen, das Auto zu kontrollieren. Manchmal braucht man bis zu 200 Meter, bis einem das wieder gelingt", beschreibt Stewart.

Zuletzt hat es in Südkorea ebenfalls stark geregnet, weshalb das Rennen verschoben werden musste. "Das Design einer Strecke sollte so aussehen, dass nie Wasser auf der Piste stehen kann. Ich möchte jetzt neue Kurse nicht kritisieren, obwohl ich das wahrscheinlich tue. Man kann die Überhöhungen so machen, dass das Wasser immer in ein durchdachtes Kanalsystem abfließt."

"Kann man sich vorstellen, dass der Nürburgring das 1968 gehabt hat? Es ist unmöglich. Es war einfach ein Bestandteil vom Nürburgring. Es hat so stark geregnet, dass praktisch jede Runde eine neue Erfahrung war", erinnert sich der dreifache Weltmeister zurück. "Ich hatte Glück, denn obwohl ich Legastheniker bin, hat mir Gott die Gabe gegeben, dass ich mich an jede Kurve, jeden Gangwechsel und jeden Bremspunkt des Nürburgrings merken konnte. 187 Kilometer und viele Jahre später ist es immer noch so."

Kaum Informationen von der Box

"Diese Vertrautheit mit der Strecke hat es mir ermöglicht mit einem Vorsprung von vier Minuten zu gewinnen. Ich habe mit vier Minuten gewonnen, obwohl ich langsamer gefahren bin. Man hat damals nur zweimal pro Runde eine Information bekommen. Einerseits, wenn man an den Boxen vorbeigekommen ist und dann wenn man hinter den Boxen war. Die Boxen hatten zwei Seiten, also hat man mehr Informationen bekommen, wenn man durch die Südkurve gefahren ist."

"Ich habe diese Informationen aber nicht bekommen, denn mein Vorsprung war so groß, dass niemand hinter mir aufgetaucht ist, als ich durch die Südkurve gefahren bin", spricht Stewart die Zeit an, in der Boxenfunk ein Fremdwort war. "Ich wusste also, dass ich nach der ersten Runde 30 Sekunden Vorsprung hatte und nach der zweiten eine Minute. Wenn man zwei oder drei Minuten vorne ist, dann fährt man natürlich nicht mehr absolut am Limit."

"Beim Argument im Training lag Ken also richtig und ich falsch. Trotzdem hat mir die Idee nicht gefallen, denn ich hatte Angst, das Auto zu beschädigen, wenn wir ein gutes Rennen hätten haben können. Wenn ich das Auto zerstört hätte, dann hättest du das Auto erst nach vier Stunden zurückbekommen."

Die Sicherheit wurde immer wichtiger

In den folgenden Jahren setzte sich Stewart vehement für die Verbesserung der Sicherheit ein. Was heute selbstverständlich ist, stieß damals auch auf viel Kritik, denn es war etwas Neues, dass sich die Fahrer um diese Belange kümmerten und sich einmischten.

"Ich war damals Teil einer neuen Generation. Ich hatte lange Haare, es waren einfach die Sechziger und Siebziger, eine ganz andere Ära. Sie hatten damals eine andere Einstellung zur Sicherheit. Ein Fahrer hatte das nie zur Sprache gebracht, schon gar nicht ein Toppilot, der Weltmeister war."

"Es war also eine kulturelle Veränderung. Ich bereue absolut nichts. Zu dieser Zeit war das sicher in vielen Bereichen unpopulär", sagt Stewart. "Ich war das perfekte Ziel, denn sie meinten, 'Nimm dein Geld und fahr heim in die Schweiz'. Meiner Ansicht nach war das eine ganz miese Einstellung."

"Einige dieser Leute leben noch, aber sie haben nicht den Hauch einer Ahnung, wie wir die Menschen streben gesehen haben. 1968 ist in vier aufeinander folgenden Monaten jemand gestorben. Jim Clark im April, Mike Spence im Mai, Ludovico Scarfiotti im Juni und Jo Schlesser im Juli. Das Rennen auf dem Nürburgring fand im August statt. Als ich aus dem Auto ausgestiegen bin, habe ich zuerst Ken gefragt, ob alle in Ordnung sind."

"Aber die Leute, die ständig Kritik geübt haben, waren nicht auf den vielen Beerdigungen. Ich glaube nicht, dass ein anderer Sport in der Geschichte regelmäßig diese hohe Sterberate in so einem engen Personenkreis hatte", schätzt Stewart. "Wir waren eine kleine Gruppe, manchmal gab es nur 16 Formel-1-Fahrer. Immer hat es einen von uns erwischt. Piers Courage, Bruce McLaren und Jochen Rindt hat es 1970 erwischt."

Jackie Stewart

Jarama 1970: Streckenposten versuchen zu löschen, während das Rennen weiterlief Zoom

"Kann sich jemand vorstellen, wie es für die Ehefrauen, die Kinder, die Freundinnen, die Schwestern und Brüder war, ständig zu diesen Beerdigungen zu gehen? Sie haben es nie verstanden. Sie würden nicht wissen, was sie tun sollen, wenn das heute wieder passiert. Ich bete zu Gott, dass es nie wieder passiert."

Neben den Autos haben sich auch die Rennstrecken stark geändert. Es gibt große Auslaufzonen, die von Kritikern auch "Tilke-Autobahnen" genannt werden. Die Piloten gehen bei diesen Sicherheitsstandards auch anders zu Werke, wie Stewart vergleicht. "Die Strecken waren damals extrem gefährlich. Selbst Michael Schumacher kommt fast jedes Wochenende von der Strecke ab."

"Das sind kleine Einschätzungsfehler, denn es gibt so große Auslaufzonen, Kiesbetten und verformbare Strukturen. Damals hatte man nicht dieses Privileg, dass man es etwas zu hart probiert und von der Strecke fliegt. Das konnte man einfach nicht tun." Auf vielen Strecken gab es damals keine Leitplanken, die wurden erste gegen Ende der Sechziger Jahre bei allen Rennen aufgebaut.

"Es gab damals auch nicht die medizinischen Einrichtungen wie heute. Es gab kein Equipment, um die Leute aus den Autos zu holen. Ich war eben die Person, die darüber sprechen wollte und war damit unpopulär. Aber ich dachte, dass das ein großes Versehen war und kategorisch nicht in Ordnung war."

Nürburgring-Boykott im Hotelzimmer entschieden

Dann wurde der Nürburgring 1970 boykottiert und der Hockenheimring feierte seine Premiere im Formel-1-Kalender. "Die Entscheidung wurde nach dem Begräbnis von McLaren getroffen", schildert Stewart. "Wir sind im Zimmer von Louis Stanley im Dorchester Hotel gesessen und ich dachte, dass ich verlieren würde. Dann ist Jack Brabham aufgestanden und hat gemeint, dass wir zu Jackie halten müssen, denn er liegt richtig."

"Also haben wir Jochen zum Nürburgring geschickt, denn er sprach Deutsch. Sie wollten keinen seiner Vorschläge umsetzen. Es war nämlich ein Sakrileg - der Nürburgring ist wie er ist, nehmt ihn oder verlasst ihn. Also haben wir ihn verlassen. Niemand dachte, dass wir dazu den Mut hätten."

"Ich war damals Teil einer neuen Generation. Ich hatte lange Haare, es waren einfach die Sechziger und Siebziger, eine ganz andere Ära." Jackie Stewart

Deshalb ging es nach Hockenheim, wo Rindt seinen letzten Grand-Prix-Sieg feiern konnte und im Anschluss den Lorbeerkranz an die Unfallstelle von Jim Clark legte. "Wir sind also nach Hockenheim gegangen, aber wir haben ihn nicht ausgesucht", sagt Stewart. "Sie mussten Hockenheim auswählen. Wir wollten nicht den Grand Prix von Deutschland wegnehmen, sondern nur den Nürburgring."

"Es war einfach lächerlich. Es gab keine Strecke auf dieser Welt, die so viele Menschenleben gekostet hat. Es gab keine Barrieren. Es gibt da ein fantastisches Bild von mir in der Luft, ich glaube das war im Matra 1969. Auf der Seite steht ein verunfallter Tourenwagen, der vom vorangegangenen Rennen nicht einmal weggeräumt worden war."

"Sieht man so etwas heute noch? Was ist so unlogisch daran, dass wir das ändern wollten?"