Spionage: Was bisher geschah
Kaum jemand hat in der Spionageaffäre noch den Durchblick, was wann passiert ist - Chronologie der bisher bekannten Ereignisse
(Motorsport-Total.com) - Fast täglich kommen in der Spionageaffäre um Nigel Stepney (Ferrari) und Mike Coughlan (McLaren) neue Tatsachen ans Tageslicht. Zwar lässt sich der Fall noch immer nicht genau rekonstruieren, anhand aller bisher bekannten Aussagen, Berichte, Briefe und Erklärungen hat 'Motorsport-Total.com' aber eine umfassende Chronologie zusammengestellt. Diese stellt keinen hundertprozentigen Anspruch auf Vollständig- und Richtigkeit, da es ungemein schwierig ist, die Fakten zusammenzutragen, doch sie gibt zumindest eine grobe Idee dessen, was bisher vorgefallen ist.

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Nigel Stepney ist der Mann, durch den die Affäre überhaupt erst ins Rollen kam
Ende Oktober 2006:
Stepney erklärt nach dem Saisonfinale in Brasilien, dass er definitiv weiterhin bei Ferrari bleiben möchte. Man habe sich bereits über seine neue Position innerhalb des Teams unterhalten. Insgeheim spekuliert der Chefmechaniker mit der Nachfolge von Ross Brawn als Chefstratege am Kommandostand - und teilt dem Team auch mit, dass er ansonsten nicht mehr in Maranello bleiben möchte. Gleichzeitig liebäugelt Coughlan trotz seines eben unterschriebenen Vertrags bis 2009 damit, McLaren in Richtung Ferrari zu verlassen.#w1#
Ende Januar 2007:
Stepney gibt dem britischen Fachmagazin 'Autosport' ein aufsehenerregendes Interview, nachdem ihm von Ferrari mitgeteilt wurde, dass er doch nicht Brawns Nachfolge antreten darf. Der Brite erklärt, er sei enttäuscht von der Teamführung, werde 2007 eine Auszeit nehmen und sich dann einen neuen Arbeitgeber suchen.
23. Februar 2007:
Ferrari - nach dem Verdauen des ersten Ärgers über das 'Autosport'-Interview, über das Stepney die Presseabteilung des Teams nicht informiert hatte, wie es sonst in der Formel 1 Usus ist - versöhnt sich mit Stepney und schafft für ihn eine neue Position innerhalb des Teams, nämlich die des Leistungsentwicklungschefs. Vorteil: Weniger Präsenz bei den Rennen und damit weniger Reisestress.
Anfang März 2007:
Nach dem Sieg von Kimi Räikkönen beim Grand Prix von Australien weist Stepney Coughlan auf angebliche Irregularitäten am Ferrari F2007 hin. Coughlan informiert sein Team darüber, McLaren-Mercedes wiederum informiert die FIA. Diese befindet einen Heckflügelseparator am F2007 für legal, den flexiblen Unterboden, der daraufhin verboten wird, aber nicht.
März 2007:
Von den Kontakten zwischen Stepney und Coughlan beunruhigt bittet McLaren-Teammanager Jonathan Neale Coughlan, den Kontakt zu Stepney abzubrechen. In der McLaren-Fabrik in Woking wird eine Firewall installiert, damit keine E-Mails von Stepney mehr zu Coughlan gelangen können. Privat können Stepney und Coughlan aber weiterhin miteinander kommunizieren.
28. April 2007:
Coughlan kommt der Bitte von Neale nach, Stepney im persönlichen Gespräch am Rande von Testfahrten in Barcelona mitzuteilen, er habe jedwede Kontaktaufnahme zu unterlassen. Coughlan informiert Neale anschließend, dies sei erledigt. Tatsächlich bricht der Kontakt aber offenbar nicht ab. Stepney übergibt Coughlan bei dem Treffen stattdessen ein 780 Seiten starkes Dossier mit Informationen und Skizzen über den F2007, das Setup, die Rennstrategie, die Organisation in Maranello und vieles mehr.
Anfang Mai 2007:
Stepney gibt Gerüchten zufolge geheime Handynummern von Ferrari-Kollegen an einen Honda-Headhunter weiter.
2. Mai 2007:
Stepney und Coughlan treffen sich am Londoner Flughafen Heathrow mit Honda-Teamchef Nick Fry - in der Hoffnung auf einen Job bei den Japanern. Fry lehnt jedoch ab. Die Ferrari-Dokumente sollen dabei laut Honda-Aussage nicht im Spiel gewesen sein.
21. Mai 2007:
Sechs Tage vor dem Grand Prix von Monaco wird in den Ferrari-Tanks ein halbes Kilogramm von einem mysteriösen weißes Pulver, wahrscheinlich Düngemittel, gefunden. Verdacht: Sabotage!
25. Mai 2007:
Coughlan bittet Neale bei einem Abendessen in einem Golfclub um die Freigabe für einen Wechsel zu einem anderen Team und zeigt Neale dabei zwei Bilder, ohne deren Ursprung zu nennen. Neale rät Coughlan, diese sofort zu vernichten. Auch McLaren-Ingenieur Graham Taylor wird eine Seite der Dokumente gezeigt - ebenfalls ohne dass dabei der Ursprung der Dokumente von Coughlan verraten wird.
Mitte Juni 2007:
Coughlans Ehefrau Trudy kopiert die Ferrari-Dokumente in einem Copyshop in der Nähe der McLaren-Fabrik in Woking auf zwei CD-Roms. Der Verkäufer wird wegen der Geheimvermerke und wegen des Ferrari-Logos stutzig. Auf diese Weise erfährt Ferrari erstmals von der Spionageachse zwischen Stepney und Coughlan. Die Coughlans vernichten die ausgedruckten Dokumente anschließend in einem Schredder und verbrennen die Überreste in ihrem Garten.
18. Juni 2007:
Ferrari erstattet bei der Staatsanwaltschaft in Modena Anzeige gegen Stepney.
22. Juni 2007
Stepneys Haus in Serramazzoni wird von den italienischen Behörden durchsucht. Dabei wird belastendes Material sichergestellt - unbestätigten Gerüchten zufolge auch einige Ferrari-Lenkräder, die er eigentlich nicht hätte aufbewahren dürfen.
23. Juni 2007:
Stepney lässt aus dem Urlaub auf den Philippinen verkünden, er sei sich keiner Schuld bewusst: "Das ist eine Verleumdungskampagne!"
3. Juli 2007:
Ferrari entlässt den bisher nur beurlaubten Stepney. Fast gleichzeitig erklärt McLaren via Presseaussendung, man habe davon erfahren, dass ein "hochrangiger Mitarbeiter des technischen Stabs" Ferrari-Informationen erhalten hat. Dieser wird sofort beurlaubt. Wenig später stellt sich heraus, dass damit Coughlan gemeint ist, bei dem daraufhin ebenfalls eine Hausdurchsuchung durchgeführt wird. Dabei werden belastende Unterlagen und Computerdaten auf zwei CD-Roms sichergestellt. McLaren erklärt "volle Kooperationsbereitschaft" mit den Ermittlern, der FIA und Ferrari und betont, Coughlan habe auf eigene Faust gehandelt. Eine Hausdurchsuchung bei McLaren in Woking verläuft ergebnislos.
4. Juli 2007:
Bei Stepney, der inzwischen aus dem Urlaub zurückgekehrt ist und von den italienischen Behörden drei Stunden lang vernommen wird, wird eine zweite Hausdurchsuchung durchgeführt. Wieder stellen die Behörden belastendes Material sicher, diesmal Dokumentenordner und Computerdaten. Am Nachmittag erklärt McLaren-Teamchef Ron Dennis bei der Einweihung seines neuen Motorhomes in Silverstone, den Tränen nahe: "Meine Integrität ist mir wichtig - und die des Teams noch wichtiger!" Es habe sich nie geistiges Ferrari-Eigentum auf einem Silberpfeil befunden.
5. Juli 2007:
Stepney lässt via 'ANSA' ausrichten, er sei "überrascht" über die Anschuldigungen gegen ihn, pocht weiterhin auf seine Unschuld.
6. Juli 2007:
Honda teilt in einer Pressemitteilung mit, dass Stepney und Coughlan für ein Bewerbungsgespräch auf das Team zugegangen sind. Informationen seien jedoch in keiner Weise geflossen oder angeboten worden.
7. Juli 2007:
Nach einem Meeting aller Teamchefs am Rande des Rennwochenendes in Silverstone treffen sich Jean Todt (Ferrari), Ron Dennis (McLaren) und Fry, um ihre Informationen auszutauschen. Sie versichern sich gegenseitig volle Kooperationsbereitschaft. Todt stellt dabei gegenüber Dennis klar, dass er keine Zweifel an der Integrität von McLaren habe.
8. Juli 2007
Stepney bringt via 'Times' seine Sicht der Dinge an die Öffentlichkeit. Er beteuert neuerlich seine Unschuld, behauptet unter anderem, Ferrari habe ihm brisante Dokumente und das mysteriöse weiße Pulver beim Duschen untergejubelt. Außerdem sei er sogar einmal verfolgt und bedroht worden. Todt kann über diese Gegenvorwürfe nur lachen: "Die Situation ist leider ganz eindeutig."
10. Juli 2007:
Vor dem Obersten Gericht in London findet in Saal 59 die erste Anhörung zur Spionageaffäre statt. Diese wird jedoch schon nach wenigen Aussagen von Richter John Briggs auf den 11. Juli vertagt, weil Coughlan, der durch Rechtsanwalt Martin Palmer vertreten wird und in der letzten Reihe sitzt, sich erst über den Stand eines möglichen Verfahrens in Italien beraten lassen möchte, bevor er eine eidesstattliche Erklärung abgibt. Ferrari wird in London übrigens durch Rechtsanwalt Nigel Tozzi repräsentiert, der am ersten Verhandlungstag unter anderem erreicht, dass Coughlan einen Teil der Kosten der bei ihm durchgeführten Hausdurchsuchung (umgerechnet rund 74.000 Euro) selbst übernehmen muss. Um das Verfahren in Italien kümmert sich Staatsanwalt Giuseppe Tibis, Stepney wird in Modena durch seine Rechtsanwältin Barbara Pini vertreten. Allerdings wird Ferrari vom Richter klargemacht, dass keinerlei Informationen des Londoner Verfahrens für strafrechtliche Prozesse in einem anderen Land verwendet werden dürfen.
11. Juli 2007:
Die erwartete eidesstattliche Erklärung von Coughlan vor dem Obersten Gericht in London fällt aus, weil sich der Brite am Vorabend außergerichtlich mit Ferrari darauf geeinigt hat, dem Team aus Maranello gemeinsam mit Ehefrau Trudy unter Eid all seine relevanten Informationen in der Spionageaffäre offen zu legen. Ferrari verzichtet im Gegenzug auf eine Anzeige in Italien. Gleichzeitig berichtet die Staatsanwaltschaft von Modena, die gegen Stepney ermittelt, nach einer weiteren Hausdurchsuchung, bei der ein Computer beschlagnahmt wird, von "guten Fortschritten" in den Ermittlungen um das mysteriöse weiße Pulver in den Ferrari-Tanks. Die Schlinge um Stepney wird immer enger.
12. Juli 2007:
Die FIA kündigt für den 26. Juli eine Anhörung von Vertretern von McLaren-Mercedes und Ferrari vor dem World Council in Paris an. Es habe Verstöße gegen Artikel 151c des International Sporting Codes gegeben, die man aufklären müsse. Durch die Intervention des Automobilweltverbandes stehen plötzlich auch mögliche Konsequenzen für die Silberpfeile im Raum - bis hin zum Ausschluss aus der Weltmeisterschaft.
14. Juli 2007:
Erste Details von Coughlans vereidigter Erklärung dringen über eine italienische Zeitung an die Öffentlichkeit. Der Brite behauptet, bei McLaren hätten nicht nur Neale, sondern auch andere hochrangige Mitarbeiter von den Ferrari-Dokumenten gewusst, ihm sei aber von allen geraten worden, diese zu vernichten.
16. Juli 2007:
Stepney kündigt an, rechtliche Schritte gegen Ferrari einzuleiten, falls sich sein Verdacht bestätigen sollte, dass er vom Team beschattet und sogar im Auto verfolgt wurde. Gleichzeitig zeigt sich McLaren-Mercedes in einer Aussendung "besorgt" über Medienberichte, wonach Mitarbeiter des Teams über Coughlans Aktivitäten Bescheid gewusst haben sollen. Man habe erst am 3. Juli 2007 von der Angelegenheit erfahren und es habe sich nie geistiges Ferrari-Eigentum im Besitz von anderen McLaren-Mitarbeitern als Coughlan befunden.
18. Juli 2007:
Stepney kündigt über seine Rechtsanwältin an, dass er selbst Verdächtige nennen werde, die die Dokumente an Coughlan übergeben haben soll. Zudem habe er Beweise, die seine Unschuld erklären. Diese möchte er Todt bei einem persönlichen Treffen vorlegen.
20. Juli 2007:
McLaren-Mercedes übermittelt vor der Anhörung vor dem World Council ein Dossier an die FIA.
25. Juli 2007:
Ferrari verpflichtet den früheren Londoner Polizeikommissar Lord Stevens aus Kirkwhelpington, der untersuchen soll, wie Ferrari-Interna an Coughlan gelangen konnten.
26. Juli 2007:
Die Sondersitzung des World Councils der FIA findet in Paris statt. McLaren-Mercedes wird vom Verdacht freigesprochen, vertrauliche Ferrari-Informationen zum eigenen Vorteil verwendet zu haben. Dass das Team jedoch diese Informationen besessen habe, wird eindeutig festgehalten. Sollte sich diesbezüglich doch noch ein Verstoß feststellen lassen, droht den Silberpfeilen sogar die Disqualifikation von der Weltmeisterschaft 2007 und ein Ausschluss für 2008.
27. Juli 2007:
Ferrari kündigt einen Einspruch gegen die Entscheidung des World Councils an.
31. Juli 2007:
Der Präsident des italienischen Automobilverbandes ACI-CSAI, Luigi Macaluso, wendet sich brieflich an FIA-Präsident Max Mosley und fordert eine Strafe für McLaren-Mercedes sowie ein Hearing in zweiter Instanz vor dem internationalen Berufungsgericht der FIA. Mosley kommt Macalusos Bitte nach und stimmt einem Hearing vor dem Berufungsgericht zu. McLaren-Mercedes reagiert daraufhin in einer Presseaussendung mit Entrüstung.
1. August 2007:
In einem offenen Brief an Macaluso stellt Dennis die Sicht der Dinge aus McLaren-Mercedes-Perspektive dar und kritisiert Ferraris "ungerechtfertigte" Anschuldigungen in der Öffentlichkeit. Ferrari habe über die italienischen Medien eine geplante Schmutzkübelkampagne angezettelt. Dem Hearing vor dem Berufungsgericht blickt er zuversichtlich entgegen: "Die Gerechtigkeit wird sich durchsetzen!"

