• 22.03.2017 05:54

  • von Dominik Sharaf

Rennvorschau Melbourne: Warum ein Knüllerrennen winkt

Spannung beim Formel-1-Saisonauftakt in Australien: Mercedes und Ferrari im Duell - Aerodynamik, Sprit und Fitness sorgen für Unbekannte - Droht ein Protest-Eklat?

(Motorsport-Total.com) - Viermal werden wir noch wach. Dann wissen wir, wer in der Formel-1-Saison 2017 die Hosen an hat. Und wir erfahren, wer sich mit seinem neuen Auto einen Fehlgriff geleistet hat. Das erste Rennen des Jahres, der Australien-Grand-Prix in Melbourne, wird am kommenden Wochenende nicht alle Fragen restlos beantworten, aber die Teams erstmals ihr wahres Tempo offenbaren lassen. Wer die Favoritenrolle innehat und was die neuen Technikregeln bewirken, klärt unsere große Vorschau.

Titel-Bild zur News: Albert Park in Melbourne, Australien

Im Albert Park in Melbourne ist alles angerichtet für den ersten Showdown 2017 Zoom

Nicht nur die Mitglieder unserer Redaktion, auch viele Experten sind sich einig, dass der Topfavorit Mercedes heißt - obwohl das Werksteam bei den Qualifyingsimulationen im Rahmen der zwei Testwochen in Barcelona im Vergleich mit Ferrari den Kürzeren zog. Die Silberpfeile scheinen mit dem Potenzial des W08 hinter dem Berg gehalten zu haben. "Sandbagging" heißt das im Fachjargon und soll die Konkurrenz im Dunkeln tappen lassen. Klar wurde aber anhand der überragenden Topspeed-Werte: Mercedes scheint weiter den leistungsstärksten V6-Hybridantrieb im Heck zu haben.

Auch die Zuverlässigkeit - 2016 das einzige Manko - wurde im Winter verbessert. Kein Team spulte in Katalonien mehr Kilometer ab, in keiner Box musste weniger repariert werden. Während der Ferrari SF70H mit einigen Kinderkrankheiten zu kämpfen hatte. Doch wird Neuzugang Bottas in der Lage sein, das Tempo Hamiltons mitzugehen? "Was ich bis jetzt gesehen habe, ist Valtteri bis auf zwei Zehntel an Lewis' Qualifying-Performance herangekommen", sagt Teamaufsichtsrat Niki Lauda 'RTL'. Umkehrschluss: Bottas fährt im Normalfall nicht um Pole-Position und Rennsieg mit.

Mercedes und Ferrari schieben sich Favoritenrolle zu

Ferrari hat Lauda auf der Rechnung. "Nur naive Menschen" würden glauben, dass seine Jungs wieder spielerisch siegen würden, mahnt der Österreicher. Auch Hamilton rechnet mit Rot: "Sie sind sehr nahe dran, wenn nicht sogar schneller." Selbst bei Kimi Räikkönens Bestzeit in Barcelona hatte der rote Renner mit Spritreserven im Tank und mit härteren Reifen nicht alles zeigen dürfen. Sebastian Vettel weißt die Favoritenrolle von sich: "Mercedes ist das Team, das es zu schlagen gilt."

Speziell in Melbourne könnte das der Fall sein sein: Der 5,303 Kilometer lange Albert Park Circuit wird bestimmt durch zwei schnelle Geraden, harte Bremsstellen und langsame Kurven, in denen mechanischer Grip zählt. Sie machen dem Ferrari laut Vettel noch Probleme und lagen in den vergangenen Jahren den Silberpfeilen, die in Australien seit 2014 ungeschlagen sind. In Sachen Reifen- und Bremsenverschleiß gilt der Straßenkurs quer durch ein Naherholungsgebiet im Süden der Metropole als moderat, womit es noch mehr auf die echte Performance der Boliden ankommen dürfte.


Fotostrecke: GP Australien, Highlights 2016

Werden die "Wunderaufhängungen" ein Fall für die Kommissare?

Alles läuft auf ein Duell zwischen Mercedes und Ferrari hinaus. Red Bull scheint derzeit die Nummer drei. Weil es dem Renault-Antrieb an "Power und Zuverlässigkeit" mangele, moniert Motorsportberater Helmut Marko im Gespräch mit 'Formula1.com' und erkennt in Adrian Neweys RB13 ein aerodynamisches Aushängeschild, das wegen seiner simplen Bauweise weniger anfällig für Luftverwirbelungen sei und besser überhole als seine Konkurrenten. Stimmt das, könnte das auf den Longruns schon in Barcelona starke Team Defizite im Qualifying möglicherweise kompensieren.

Ein ERS-Update von Renault soll rasche Besserung bringen, damit Daniel Ricciardo es beim Heimspiel im sechsten Anlauf zum ersten Mal auf das Podium schafft. "Die Leute sagen: 'Vielleicht bist du der erste Australier, der dort gewinnt.' Das setzt einen schon ein wenig unter Druck", meint der Mann aus Perth. Eine hohe Erwartungshaltung kennt Max Verstappen nur allzu gut. Abwarten, ob der 19-Jährige in seiner ersten vollen Red-Bull-Saison wieder so unbekümmert aggressiv auftritt.

Lewis Hamilton

Der neue Dienstwagen von Lewis Hamilton: schnell, aber auch legal? Zoom

Apropos Red Bull: Die Österreicher könnten von der Konkurrenz vor die Sportkommissare gezerrt werden, weil sie genau wie Mercedes auf eine angebliche Wunderaufhängung setzen, die ihr Auto aerodynamisch beeinflusst - was verboten ist. Ein namentlich nicht genanntes Team musste deshalb bereits umbauen. Gut möglich, dass Ferrari protestiert und damit eine Regelfarce heraufbeschwört.

Nico Hülkenberg und Pascal Wehrlein in neuen Teams Außenseiter

Im dichten Mittelfeld scheint Williams die Nase vorne zu haben. Rückkehrer Felipe Massa liegt das neue Reglement, weil es wieder mehr Grip gibt. Er wolle "wieder um die Podestplätze kämpfen", bekennt der Brasilianer. Rookie Lance Stroll hat sich nach anfänglichen Problemen offenbar gefangen. Eine zu harte Nuss für Nico Hülkenberg in seinem ersten Rennen für Renault? Der Emmericher sieht die vier genannten Teams "klar in Front". Deshalb seien WM-Punkte für ihn "schwierig".

Zur Wehr setzen müssen sich die Franzosen auch gegen Haas, Toro Rosso und Force India - und gegen Sauber-Neuzugang Pascal Wehrlein? Nach erfolgreichen Tests ist die Rückenverletzung des Ex-DTM-Champions abgeklungen, der C36 erwies sich als zuverlässig. Jedoch fehlt es mit dem Ferrari-Vorjahresmotor an PS, was die Schweizer in Barcelona zum langsamsten Team machte. Dennoch sei er "beeindruckt, dass es so gut lief", staunt Wehrlein. McLaren dürfte nach dem Honda-Debakel trotz des versprochenen Updates aus Japan nur darauf hoffen, überhaupt das Ziel zu erreichen.


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Reifen haltbarer, aber wird der Spritverbrauch wieder zum Thema?

Das Wetter gehört zu den großen Unbekannten in Melbourne - nicht nur, weil der australische Spätsommer launenhaft sein kann, sondern weil die Teams mit den neuen Reifen keine Erfahrung bei höheren Temperaturen gesammelt haben. Ersten Prognosen zufolge soll die große Hitze ausbleiben und der Saisonauftakt bei sonnigen 25 Grad Celsius steigen. Regen wird gar nicht erwartet. Mit den weichsten Mischungen Ultrasoft, Supersoft und Soft hat Pirelli eine offensive Auswahl getroffen.

Kimi Räikkönen

Sind die neuen Autos wirklich so konditionsraubend wie angekündigt? Zoom

Bewahrheiten sich die Eindrücke aus Barcelona, könnten Strategien mit nur einem Boxenstopp dennoch möglich sein. Wenn die langlebigeren Reifen die Piloten nicht einbremsen, dann vielleicht erhöhter Spritverbrauch? Breitere Reifen, mehr Luftwiderstand und mehr Vollgas auf der Runde deuten darauf hin, dass die Fahrer trotz des neuen 105-Kilogramm-Benzinlimits vom Gas gehen müssen, zumal der Albert Park als verbrauchsintensive Strecke gilt. "Es wird ein großes Thema werden", bestätigt Red-Bull-Berater Helmut Marko bei 'ServusTV' und bezweifelt, dass die größeren Tanks Abhilfe schaffen würden: "Es reicht nicht, um mit der Leistungssteigerung, die bei den Motoren erzielt wurde, ein Rennen mit Vollgas durchzufahren." Mercedes war in dieser Hinsicht in den vergangenen Jahren führend und könnte einen ungeahnten Joker auf der Hand haben.

Eine weitere Unbekannte ist die physische Belastung für die Piloten. Zwar absolvierten alle ihre Rennsimulationen im Rahmen der Tests ohne körperliche Probleme und scheinen durch neue Fitnessprogramme muskulöser und perfekt vorbereitet, die erhöhten G-Kräfte aber könnten bei Hitze für eine Zerreißprobe im Cockpit sorgen. Verschwitzte Fahrer auf dem Podium dürften zur Gewohnheit werden, doch bewirkt Ermüdung Fahrfehler oder einbrechende Rundenzeiten?

"Die Unterschiede in der Qualität der Fahrer werden deutlicher." Toro-Rosso-Technikchef James Key

Gemessen an dem, was auf dem Circuit de Catalunya zu beobachten war, fallen sie um mindestens dreieinhalb Sekunden pro Runde. Möglicherweise sind bei voller Power sogar fünf Sekunden drin, was im Albert Park 1:18er-Werte in Aussicht stellt. Zum Vergleich: Hamiltons Pole-Position-Zeit 2016 betrug 1:23.837 Minuten. Fraglich ist, wie gut sich mit den neuen Autos noch überholen lässt. Sie sind erstens breiter und verursachen zweitens durch mehr Abtrieb mehr Luftverwirbelungen für den Hintehrerfahrenden. Dafür könnte das DRS wirkungsvoller sein. Weitere Hürde für die Piloten: Das neue Startprozedere mit nur einem Kupplungshebel, das für mehr Streuung sorgen könnte.