Renault-Technikchef warnt: Entwicklungstempo am Limit
Technikchef Allison verrät, warum Renault gezwungen ist, vier Mal so schnell wie früher zu entwickeln und wie sich die Arbeitsbedingungen verändert haben
(Motorsport-Total.com) - Es ist ein Widerspruch: Das Personal der Formel-1-Teams wird reduziert, Testfahrten sind so gut wie verboten - und dennoch ist das Entwicklungstempo so hoch wie nie zuvor. Während die Teams vor einigen Jahren in regelmäßigen Abständen größere Aerodynamikpakete zu den Grands Prix brachten, gibt es dieses Jahr bei jedem Rennen neue Teile an den Boliden. Das bestätigt Renault-Technikchef James Allison: "Wir bringen eigentlich bei jedem Rennen ein neues Paket, das in seiner Größe den Neuerungen gleicht, die wir früher alle drei oder vier Rennen gebracht haben."

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Renault hat bei der Entwicklung des RB30 alle Hände voll zu tun
Dabei unterscheidet sich Renault keineswegs von anderen Rennställen - vielmehr sieht sich das im englischen Enstone ansässige Team gezwungen, das hohe Entwicklungstempo der Konkurrenz mitzugehen, um den Anschluss nicht zu verlieren. "Das bedeutet, dass die Leute härter arbeiten und Dienstzeiten haben, die wir früher nie in Erwägung gezogen hätten", sagt Allison. Das Resultat zeigt sich am eindrucksvollsten beim Frontflügel: In Valencia setzt Renault bereits die achte Variante ein, und das im erst neunten Rennen. Adrian Newey designte im Vorjahr bei Red Bull über 50 unterschiedliche Frontflügel. Im Vergleich zum Saisonstart fand die Entwicklungsabteilung von Renault beim RB30 bereits eine ganze Sekunde - stagniert man bei der Entwicklung, droht der Absturz an das Ende der Startaufstellung.#w1#
Warum Renault bei jedem Rennen ein Update bringt
Bleibt die Frage, warum man nicht wie früher Entwicklungspakete in größeren Abständen bringt und damit zwar nicht von Rennen zu Rennen Fortschritte macht, dafür aber die Neuerungen besser aufeinander abstimmen kann. Der Grund ist klar: Durch die Reglementrevolution 2009 mussten alle Teams mit der Entwicklung quasi bei Null beginnen. Während man früher nur noch im Windkanal an Details feilte, um ein paar Hundertstelsekunden zu finden, bedeutet nun jede Verbesserung am Auto einen großen Fortschritt in der Rundenzeit.
Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass das Reglement im Vergleich zum Vorjahr relativ stabil geblieben ist. Auch das "Einfrieren" der Motoren trug zu dieser Veränderung der Entwicklungsstrategie bei: Im Bereich der Motoren sind Leistungszugewinne kaum noch möglich, lediglich in der Peripherie der Aggregate darf noch Entwicklung betrieben werden. Dadurch lastet der gesamte Druck auf den Chassis-Abteilungen der Teams.
Druck auf Team-Mitarbeiter wird immer größer
James Allison drückt aus, wie groß dieser Druck wirklich ist: "Ab dem Moment, wo wir eine Verbesserung finden, ist jede Sekunde, die wir dabei verlieren, die Entwicklung auch auf das Auto zu bringen, eine verlorene Sekunde auf der Rennstrecke. Wir mussten unsere komplette Philosophie daran anpassen." Bei der Optimierung wandelt man auf einem schmalen Grat, "denn es gibt Limits, was den von den Mitarbeitern erwarteten Arbeitsaufwand angeht. Man muss also die richtige Balance finden, um das Entwicklungstempo zwar hochzuhalten, die Mitarbeiter aber nicht zu überlasten."
Das Renault-Team verlässt sich bei der Entwicklung auf die Hilfe von Hochleistungscomputern mit der passenden Simulations-Software, auch der Windkanal ist nach wie vor ein wichtiges "Tool". Allison behauptet, dass man mit diesen Hilfsmitteln "die Zugewinne auf der Rennstrecke mit einer Fehlerquote von lediglich 0,5 Prozent des gesamten Abtriebs" berechnen könne. Im Laufe der Saison steigt die Belastung auf die Renault-Mannschaft weiter an: Bereits seit Jänner arbeitet das Team am 2011er Auto. "Die Ressourcen konzentrieren sich aber zunehmend auf das neue Auto", bestätigt Allison. Durch den beachtlichen Saisonstart steht das Team nun vor der Qual der Wahl. "Es ist eine schwierige Entscheidung, wie viel man in die Zukunft investieren soll", so der Brite.

