'Red Bull' und der letzte Gentleman der Formel 1

David Coulthard im Gespräch mit 'F1Total.com': Wie er sich in seinem neuen Team eingelebt hat und warum 'Red Bull' auf den Haferbrei muss

(Motorsport-Total.com) - 'Red Bull' verleiht Flügel, wissen Österreicher schon lange, doch nun scheint sich dieser Slogan auch im Formel-1-Paddock zu verbreiten. Während noch immer nicht feststeht, ob Christian Klien oder Vitantonio Liuzzi in Melbourne das zweite Auto fahren darf, bereitet sich einer in aller Ruhe auf einen echten Neuanfang vor: David Coulthard.

Titel-Bild zur News: David Coulthard

David Coulthard steht bei Red Bull Racing vor einem kompletten Neuanfang

Der Schotte hat in seiner Karriere vor der Formel 1 nie eine bedeutende Nachwuchskategorie gewonnen, sieht man einmal von zwei Formel-Ford-Titeln im Jahr 1989 ab. Dennoch stieg er gleich bei einem Top-Team in die Formel 1 ein, als Williams-Renault nach der Senna-Tragödie in Imola 1994 einen neuen Teamkollegen für Damon Hill suchte. Coulthard debütierte beim Grand Prix von Spanien in Barcelona, qualifizierte sich als Neunter und wurde im Rennen immerhin Fünfter.#w1#

Mehrere Anfängerfehler in den Jahren bei Williams-Renault

Es folgten anderthalb Jahre, in denen er zwar sein fahrerisches Talent aufzeigen, es jedoch nur selten optimal umsetzen konnte. In Erinnerung geblieben ist vor allem sein Missgeschick in Monza 1995, als er sich nach einer grandiosen Pole Position in der Aufwärmrunde von der Strecke drehte, und ein ähnlich dummer Fehler in Adelaide, als er sein Auto in der Boxengasse wegschmiss. Dem steht ein souveräner erster Grand-Prix-Sieg in Estoril gegenüber.

Der Rest der Geschichte - wie er in Melbourne 1997 den ersten Grand Prix für Mercedes seit dem Formel-1-Comeback gewann und anschließend im Schatten seiner finnischen Teamkollegen Häkkinen und später Räikkönen stand - ist hinlänglich bekannt. Viele sind noch heute der Meinung, dass der inzwischen 33-Jährige Weltmeister geworden wäre, wenn er nicht in Jerez 1997 und Melbourne 1998 für Häkkinen hätte Platz machen müssen, doch solche Spekulationen bringen ihn nicht weiter.

Fest steht, dass Coulthards Wechsel von McLaren-Mercedes zu Red Bull Racing sportlich einen Abstieg bedeutet. "DC", wie er in der Szene genannt wird, bot sich bei mehreren Teams an, letztlich blieb ihm aber der neue österreichisch-britische Rennstall als einzige Alternative. Nun beginnt also eine neue Ära für ihn, denn nach elf Jahren mit siegfähigem Material muss er erstmals überhaupt mit einem mittelständischen Team Vorlieb nehmen.

"Phase der Umstellung" für Coulthard und Red Bull Racing

Es sei vieles neu, verriet er im exklusiven Interview mit 'F1Total.com', doch als Profi ist er in der Lage, so eine Veränderung wegzustecken: "Da ist offensichtlich eine neue Gruppe an Leuten, von denen ich einige schon kenne. Es gibt verschiedene Wege, verschiedene Dinge zu erledigen, und für Red Bull Racing ist es ebenso eine Phase der Umstellung wie für mich. Grundsätzlich ist es aber ein Formel-1-Team, daher komme ich mir nicht vor wie an meinem ersten Schultag", gab er zu Protokoll.

Red Bull Racing sah für Coulthard lange nicht nach einer Option aus, zumal ihm Dietrich Mateschitz unmittelbar nach der Übernahme des Jaguar-Teams bestimmt eine Absage erteilt hatte. Schlussendlich setzte sich jedoch die - inzwischen entlassene - britische Achse mit Tony Purnell und David Pitchforth durch, die für den Schotten plädierte. Bereits im Sommer hatten die beiden Jaguar-Granden unter Ford-Regie ja mit dem McLaren-Mercedes-Piloten verhandelt.

Coulthard selbst wusste lange nicht, in welche Richtung es für ihn gehen würde: "Es hat für mich immer eine Chance gegeben, zu einem der Teams zu wechseln, das die Fahrerpaarung für 2005 noch nicht bekannt gegeben hatte. Wir haben im November die Gespräche mit Red Bull Racing aufgenommen und ich habe dann das Auto ausprobiert, um zu sehen, was für ein Auto und was für ein Paket vorhanden ist. Was ich gesehen habe, hat mir gefallen, und wenig später haben wir den Vertrag gemacht."

Chemie zwischen Coulthard und Mateschitz stimmt

Bei Testfahrten in Spanien traf sich der Red-Bull-Pilot erstmals mit Mateschitz, der seinerseits so angetan von Coulthard war, dass er ihn prompt unter Vertrag nahm. "DC" erinnerte sich: "Ich habe ihn ein paar Mal getroffen und halte ihn für recht freundlich, einsatzfreudig und professionell. Ganz klar hat er eine gewaltige Vision, was dadurch untermauert wird, was er in relativ kurzer Zeit mit der Marke 'Red Bull' aufgebaut hat. Ich freue mich darauf, mit ihm zu arbeiten."

Gerüchten zufolge hat er sich Red Bull Racing sogar gratis angeboten, um in der Formel 1 bleiben zu können, doch im 'F1Total.com'-Interview räumte der Schotte mit diesen Gerüchten ein für alle Mal auf: "Was ich bezahlt bekomme, geht niemanden etwas an, aber ich selbst und mein Buchhalter können versichern, dass ich nie angeboten habe, gratis zu fahren. Ich habe mich leistungsgebunden einem Team angeboten, aber das war ein Team, mit dem es möglich gewesen wäre, sehr viele Punkte zu holen."

"Ich habe zehn Jahre an Erfahrung in der Formel 1 und bin der sechstbeste Punktesammler in der Grand-Prix-Geschichte. Das ist etwas wert und ich würde sicher nie umsonst fahren. Man kann diesen Job nicht machen, wenn man nicht hundertprozentig motiviert ist, daher steht meine Motivation außer Frage. Wenn du jemanden fragst, der mit mir arbeitet, wird er dir das sicher bestätigen", ergänzte er, der bei McLaren-Mercedes geschätzte zehn Millionen Dollar jährlich kassiert hat.

Passt der seriöse Coulthard zur dynamischen Marke 'Red Bull'?

In Fachkreisen hat Coulthards Engagement bei Red Bull Racing insofern für Verwunderung gesorgt, als der Routinier als letzter Gentleman der Formel 1 gilt, als perfekte Stilisierung des seriösen und manchmal konservativ wirkenden Mercedes-Images. Die dynamische und junge Marke 'Red Bull' steht dazu im krassen Gegensatz. Doch "DC" scheint sich anzupassen - kürzlich tauchte er bei Testfahrten sogar mit einem frechen Ziegenbart auf...

Passt du also zum 'Red-Bull'-Image, David? "Wenn du auf der Start- und Zielgerade in Monza bei mehr als 300 km/h neben mir fahren würdest, würdest du dann erwarten, dass ich lupfe und dir die nächste Kurve schenke, oder hättest du den notwendigen Mut, um abzuwarten, wann ich bremse, und es drauf ankommen zu lassen? Könntest du Michael Schumachers Räder berühren, ihn dann überholen, einhändig durch eine Kurve fahren und gleichzeitig den Mittelfinger rausstrecken, das Rennen auch noch gewinnen? Ich kann diese beiden Fragen mit Ja beantworten. Das - kombiniert mit 13 Grand-Prix-Siegen, 60 Podiums und 475 WM-Punkten - bedeutet, dass ich sehr gut ins Marketinggefüge von 'Red Bull' passe", entgegnete er bestimmt.

Neuerdings isst Coulthard seinen Haferbrei mit 'Red Bull'...

Und auch sonst scheint er das lockere Auftreten des österreichischen Energydrink-Herstellers zu übernehmen. Auf die Frage, ob er 'Red Bull' schon vor seinem Wechsel zu Red Bull Racing getrunken hat und ob es ihm schmeckt, antwortete "DC" mit betont trockenem Humor: "Ja, ich habe schon einmal 'Red Bull' getrunken - und ich mag es. Aber jetzt, wo ich beim Team bin, kommt es morgens sogar auf meinen Haferbrei..."

Sollten ihm vom skurrilen Haferbrei-Gemisch tatsächlich Flügel wachsen, könnte Coulthard theoretisch sogar die Formel-1-Spitze aufmischen, doch damit rechnet er nicht: "Es gibt keine Gewissheit im Motorsport, aber du hast Recht", nahm er Stellung zur Spekulation über mögliche oder unmögliche Ziele. "Im normalen Lauf der Dinge werden wir dieses Jahr nicht um Grand-Prix-Siege fahren. Es ist aber sicherlich möglich, wider aller Erwartungen eine bessere Leistung zu bringen. Das muss unser Ziel sein."

Die goldenen Jahre, in denen der mit dem brasilianischen Model Simone Abdelnour liierte Formel-1-Pilot jeden Winter angekündigt hat, dass er Weltmeister wird, gehören also endgültig der Vergangenheit an. Möglich aber, dass Coulthard im neuen Umfeld mit seiner neuen Aufgabe wächst und alle Skeptiker eines Besseren belehrt. Die Alternative dazu: Er kassiert ein Jahr ab, geht sang- und klanglos unter und verabschiedet sich in die Rente.

Für den letzten Gentleman der Formel 1 wäre dies aber ein äußerst unwürdiges Ende.