Ralf Schumacher-Ersatz Marc Gené im Portrait
BMW-Williams-Testfahrer Marc Gené springt in Monza kurzfristig für Ralf Schumacher ein ? ein Portrait des Spaniers
(Motorsport-Total.com) - Erst am Samstagmorgen entschied sich Ralf Schumacher gemeinsam mit Formel-1-Arzt Prof. Dr. Sid Watkins und dem Williams-Team dazu, dass es besser ist, eine längere Auszeit nach dem heftigen Testunfall vor anderthalb Wochen zu nehmen. Über Nacht waren die Kopfschmerzen beim Kerpener zurückgekommen, was laut Watkins nichts Ungewöhnliches nach einer so hohen Belastung ist, die der Kopf des Deutschen bei dem mehrfachen Überschlag ausgesetzt war.

© BMW AG
Marc Gené vertritt in Monza nun kurzfristig Ralf Schumacher
Das Team nominierte deshalb kurzfristig Testfahrer Marc Gené nach, der im Freien Training auf Anhieb gute Zeiten fahren konnte. Das ist auch kein Wunder, denn Gené kennt den FW25 in- und auswendig, in der vergangenen Saison spulte der Spanier an rund 100 Testtagen beispielsweise 17.426 Kilometer ab.
Dennoch lastete auf Gené großer Druck, ging doch alles zum Schluss rasend schnell. In Windeseile musste das Auto umgebaut werden, heute Nachmittag wird Gené zum ersten Mal dem Druck des Einzelzeitfahrens ausgesetzt sein, bei dem er auch noch als Erster auf die Strecke gehen muss.
Rennfahrer mit großem Sympathiebonus
Neben seiner Rolle als Testfahrer erlernte der 29-Jährige bei einem Intensivkurs in München die deutsche Sprache und kann sich mittlerweile problemlos fließend mit den Kollegen von BMW unterhalten. Außerdem beherrscht Gené neben seinen Muttersprachen Spanisch und Katalanisch Englisch, Italienisch und Französisch. Lernen ist seine Passion. Sein unstillbarer Wissensdurst, Akribie und rasches Aufnahmevermögen machen ihn als Testfahrer so wertvoll.
Kein Rennfahrer fühlt sich zum Testfahrer geboren - Gené kam gleich als Stammpilot in die Formel 1. 1999 und 2000 startete er für das Minardi-Team und erzielte einen WM-Punkt. Angesichts des ihm zur Verfügung stehenden Materials eine sehr beachtliche Leistung. Den "Racing Spirit" hat er keineswegs verloren. Für diese Saison hat er die Freigabe erhalten, so oft es seine Zeit zulässt, in der "Telefonica World Series by Nissan" zu starten. Das sind etwa 450 PS starke Monoposto, die etwas schneller sind als die Formel-3000-Fahrzeuge.
"Ich bin froh, dass ich das darf", betont der Mann aus Barcelona. "Die Testarbeit für das BMW-Williams-Team wird weiterhin ganz klar Priorität haben, aber frische Rennerfahrung kann dabei nur nützlich sein." Und genau auf diese Erfahrung kann der 1 Meter 73 große Rennfahrer nun zurückgreifen. Ihm werden Überholmanöver, Überrundungsvorgänge und Zweikämpfe im Rennen nicht fremd sein.
Auf dem Boden geblieben
Marc Gené hat keine Starallüren, kein Machogehabe. Er strahlt Offenheit aus, hört seinen Mitmenschen interessiert und konzentriert zu ? ob Fahrerkollege, Techniker oder Paddock-Club-Gast. Besuche im Areal dieser Gäste gehören im BMW-Williams-Team ebenso zu seinen Aufgaben wie zahlreiche andere Marketing-Auftritte. Und jedes Mal erobert er die Herzen im Sturm.
Nicht zuletzt, weil seine Interessen so vielfältig sind. Er verschlingt Bücher regaleweise, bevorzugt Biografien und Fachliteratur aus den Bereichen Geschichte und Psychologie. In der Tageszeitung genießt der Wirtschaftsteil seine besondere Aufmerksamkeit. Der Spanier ist studierter Ökonom, hat 1995 seinen Abschluss an der University of Buckingham gemacht.
Das erste Kart für gute Schulnoten
Akademiker sind rar unter Spitzensportlern, meist lässt das Training für die Profilaufbahn keine weitere Berufsausbildung zu, schon die Schule wird leicht zum ungeliebten Zeitaufwand. Marc dagegen war ein Musterschüler. Gute Noten waren der Grundstein für seine Rennfahrerkarriere. "Mit zehn Jahren hatte ich wirklich sehr gute Zensuren", erzählt er, "ich durfte mir zur Belohnung etwas wünschen." Er musste nicht lang überlegen: Für sein Hobby, das er mit Jordi, einem seiner zwei älteren Brüder, betrieb, bekam er sein erstes eigenes Kart.
Mit zwölf Jahren fuhr Marc die ersten Rennen. Mit 14 war er katalanischer und spanischer Kartmeister. 1993, mittlerweile 19-jährig, fiel er erstmals im internationalen Formelsport auf. Wer beim Formel-Ford-Festival im englischen Brands Hatch aufscheinen will, muss sich Rennen für Rennen im K.O.-System gegen die besten Nachwuchsfahrer aus aller Welt durchsetzen. Gené wurde in diesem Welt-Cup Zweiter und erzielte den gleichen Platz auch in der Formel-Ford-Europameisterschaft.
Nach zwei Jahren in der britischen Formel-3-Meisterschaft folgten 1996 der Gewinn der Fisa Golden Cup Superformula in Italien und 1997 der Aufstieg in die internationale Formel-3000-Meisterschaft. Dort fiel er Giancarlo Minardi auf. Der Italiener gab ihm die Chance zum Formel-1-Test und verpflichtete ihn prompt für 1999 und 2000. "Damals fuhr ich rund 12.000 Kilometer im Jahr ? Rennen und Tests zusammen genommen. In den Jahren von 2001 und 2002 als Testfahrer im BMW-Williams-Team waren es jeweils anderthalb mal so viele. Dabei habe ich viel gelernt, und ich will noch viel mehr lernen."
Eine zweite Chance in der Formel 1?
Als Ersatzfahrer für Ralf Schumacher kann der Rennfahrer aus Bellaterra nun beweisen, dass er in einem Top-Auto ein gutes Ergebnis herausfahren kann. Ein Platz auf dem Podium würde den Marktwert des Spaniers rapide steigen lassen. Allerdings sind die Chancen auf ein Cockpit für die Saison 2004 sehr gering ? zu weit ist die Saison schon fortgeschritten. Aber für Gené wird es schon viel wert sein, ein Formel-1-Rennen bestreiten zu dürfen. Er ist eben ein echter Racer.

