Newey exklusiv: Ressourcenschlacht und Jonglage
Red-Bull-Design-Guru Adrian Newey spricht im Exklusiv-Interview über Sorgen der kleinen Teams, KERS und Wettrüsten: "Sind auf einem gefährlichen Weg"
(Motorsport-Total.com) - Er gilt als der Technik-Guru der Formel 1 schlechthin und hat in der Vergangenheit mit seinen kühnen Designs immer wieder Maßstäbe gesetzt: Adrian Newey. Der britische Red-Bull-Techniker hat auch im Jahr 2008 mit einer neuen Überraschung für Staunen gesorgt. Der RB4 sorgte mit seiner langgezogenen Motorabdeckung, "Haifischflosse" genannt, für hoch gezogene Augenbrauen beim fachkundigen Beobachter - und für viele Nachahmer. Im Exklusiv-Interview mit 'Motorsport-Total.com' sprach Newey über die geplante technische Neuordnung der Formel 1.

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Technik-Guru Adrian Newey ist mit den neuen Regeln nicht komplett einverstanden
Frage: "Adrian, wie fällt deine Halbzeitbilanz für Red Bull und Toro Rosso aus?"
Adrian Newey: "Ich denke, dass wir in diesem Jahr aufholen. Wenn man sich die Rundenzeiten der schnellsten und unserer Autos ansieht, dann sind wir näher an der Spitze dran als im vergangenen Jahr. Leider sind alle anderen ebenfalls näher herangerückt. Aber das ist normal, da sich beim Reglement in den vergangen drei oder vier Jahren nicht viel verändert hat. So hat jeder aufgeholt. Wir sind immer noch ein wesentlich kleineres Team als die Teams der Hersteller und haben vielleicht nur die Hälfte des Budgets und weniger Ressourcen. Deshalb sind wir recht zufrieden mit dem, was wir bisher erreicht haben."#w1#
Kundenteam als Kostenfaktor
Frage: "Rechnet es sich wirtschaftlich, dass ihr bei Chassis und Aerodynamik mit zwei Teams arbeitet?"
Newey: "Nein, weil Toro Rosso, was die Fertigung angeht, von Red Bull unabhängig ist."
Frage: "Aber beim Design sind sie es nicht - damit müsste man doch eigentlich etwas einsparen, oder nicht?"
Newey: "Nein, nicht unbedingt, also nicht was Red Bull Technology und Red Bull Racing angeht."
Frage: "2009 gibt es massive Änderungen im Reglement - KERS wird kommen. Viele Teams deuten inzwischen an, dass sie KERS nicht oder nur optional einsetzen wollen. Wie siehst du das?"
Newey: "KERS ist eine große Herausforderung. Und es verbraucht mehr Ressourcen als alles andere. Ich weiß, dass manche großen Herstellerteams in diesem Jahr bis zu 60 Millionen Euro allein in die Forschung investieren. Unser Forschungsbudget in diesem Jahr beträgt nicht einmal zwei Millionen Euro. Wenn man diese Unterschiede bedenkt, dann sieht man, wie schwierig es für kleine Teams wie uns ist, solche großen Projekte zu stemmen. Wir arbeiten in diesem Bereich mit Renault und Magneti Marelli zusammen und versuchen so auch, unsere Forschungsmittel gemeinsam zu nutzen, aber es ist immer noch ein großes Projekt."
"Alles in allem denke ich, dass KERS für die Formel 1 sehr gut ist. Die FIA hatte absolut Recht, es einzuführen. Das einzige, was ich bemängeln würde ist, dass nicht darauf bestanden wurde, dass Hersteller ihre Systeme den Privatteams zur Verfügung stellen. Denn für die Privaten ist die Finanzierung sehr schwierig."
Drei unterschiedliche KERS-Lösungen möglich
Frage: "Es gibt drei völlig unterschiedliche Konzepte - das voll mechanische System, das Hybrid-System und das elektronische System. Ist das Feld da nicht ein bisschen zu weit und treibt das nicht die Kosten in die Höhe, denn man muss ja jeden einzelnen Weg genau erforschen?"
Newey: "Das kann man tun und ich weiß, dass manche Teams mechanische Schwungräder, elektrisch betriebene Schwungräder und das Batterie-System erforscht haben. Wir haben auch unsere Untersuchungen angestellt und haben nun damit begonnen, das Batterie-System ernsthaft zu erforschen und zu fertigen. Das wird glaube ich die allgemein beliebteste Lösung sein. Der Nachteil daran ist, dass es davon abhängt, welchen Zugang zu Batterie-Zulieferern und deren Technologien man hat."
Frage: "Ein Problem könnte auch der Transport und das Handling sein - habt ihr in diese Richtung schon gearbeitet?"
Newey: "Ein bisschen und es wird schwierig. Die Realität wird so sein, dass wir unsere Batterien eigentlich im Januar nach Melbourne verschiffen sollten - das werden wir aber nicht schaffen. Die Logistik ist ein Problem."
Frage: "Und die Entsorgung? Ihr könnt ja nicht irgendwo ein großes Loch graben, die Batterien in Australien lassen oder sie in die Atmosphäre schießen..."
Newey: "Nein, wirklich nicht. Ich bin mir sicher, dass wir recht bald ein Reglement haben werden, dass ein KERS-System bei einer Mindestanzahl von Rennen eingesetzt werden muss. Das muss aber sinnvoll sein. Es wird auch darüber diskutiert, ob es nächstes Jahr schon beim ersten Rennen eingesetzt werden soll oder nicht. Prinzipiell schon, aber die Wahrheit ist, dass die Teams dafür noch nicht bereit sind."
Teams brauchen mehr Entwicklungszeit
Frage: "Aber greifen wir hier nicht eigentlich vor? So weit ich weiß, wurde das 2009er-Reglement vom World Motor Sport Council noch gar nicht beschlossen. Es stand zwar bei der letzten Sitzung auf der Tagesordnung, bekam aber kein grünes Licht."
Newey: "So etwas kommt von Zeit zu Zeit vor. Es würde mich sehr verwundern, wenn es nicht noch beschlossen wird."

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Die "Haifischflosse" wurde mittlerweile von anderen Teams kopiert Zoom
Frage: "Im nächsten Jahr soll auch die Downforce deutlich reduziert werden. Was denkst du darüber?"
Newey: "Ich sehe das mit gemischten Gefühlen. Grundsätzlich mag ich kurzfristige Reglementänderungen, wie zum Beispiel die recht umfassenden Änderungen für 2005, die erst im Juli 2004 bekannt wurden. Das Tolle daran war, dass wir mit der Entwicklung unseres 04er-Autos weitgehend fertig waren und uns auf 2005 konzentrieren konnten. Aber da die Änderungen für 2009 schon im November vergangenen Jahres bekanntgegeben wurden, 14 Monate vorher, wurde es wieder eine Ressourcen-Schlacht. Honda setzt glaube ich vier Windkanäle ein, zwei für das aktuelle und zwei für das nächstjährige Auto. So etwas können wir nicht tun. Deshalb müssen wir zwischen der Entwicklung des aktuellen Fahrzeugs und der Forschung für das nächstjährige Auto hin- und her jonglieren. Das ist eine recht schwierige Aufgabe."
Frage: "Wird man eine Reduktion der Downforce um 50 Prozent erreichen?"
Newey: "Es ist das Übliche. Ich bin mir sicher, dass jeder mit den ersten Modellen eine Reduktion von 50 Prozent haben wird. Glaube ich, dass wir beim ersten Rennen in Melbourne eine Reduktion von 50 Prozent sehen werden? Nein, das glaube ich nicht."
Frage: "Es wurde auch viel über die Budgetobergrenze gesprochen, von der Red Bull profitiert. Max Mosley hat nun aber auch den Teams angeboten, Möglichkeiten zur Reduzierung der Budgets aufzuzeigen. Er spricht auch von einer Kraftstoffeinsparung von 50 Prozent und variabler Aerodynamik. Wie realistisch ist es, dass das für 2011 umgesetzt wird?"
Newey: "Ich denke nicht, dass die Teams selbst untereinander Regeln für 2011 ausmachen werden. Wenn man das FIA-Dokument genau durchliest, dann ist es das normale Verfahren, dass die Teams drei Monate Zeit haben, sich zu einigen und danach macht die FIA die Regeln. Und das wird auch so passieren."
Droht der Formel 1 ein Wettrüsten?
Frage: "Aber es ist doch das Ziel des Dokuments, den Teams mehr Mitsprache zu geben und für mehr Transparenz zu sorgen. Scheitert dieses Ziel?"
Newey: "Nein, ich denke nicht dass es scheitert. Tatsache ist aber: Damit Teams ihre eigenen umfassenden Reglementänderungen bringen können, brauchen sie untereinander große Einigkeit - und ich denke, dass das nicht der Fall sein wird. Ich stimme Max in einem vollkommen zu: Wir brauchen dringend Kosteneinsparungen. Man unterschätzt, wie viele Leute nötig sind, um zwei Autos an den Start zu bringen. Große Teams haben glaube ich bis zu 1.300 Leute, inklusive der Motorenabteilung. Man kann in Frage stellen, ob das so gut ist. Natürlich ist es deshalb gut, weil man Arbeitsplätze schafft und es ist auch für uns Ingenieure toll. Aber die große Frage ist, ob das auch tragbar ist."
"Wir sind auf einem gefährlichen Weg. Wir sind in einer Situation, in der ein halbes Dutzend Teams mehr als 1.200 Mitarbeiter beschäftigen. Wenn dann drei der Hersteller beschließen, dass sie genug haben und ihr Geld woanders ausgeben wollen, dann sieht die Formel 1 alt aus. Das ist für mich der springende Punkt. Nicht, dass so viele Leute beschäftigt sind, das ist toll auch für das Ingenieurswesen - es ist besser, als wenn die Hersteller ihr Geld für Werbung oder so etwas ausgeben. Aber ich denke, dass wir uns Sorgen darüber machen sollten, ob das langfristig so aufrechterhalten bleiben kann. Deshalb müssen wir uns in eine Situation bringen, in der es keinen Vorteil bringt, so große Teams zu haben. Das wäre die ideale Lösung - wenn man es irgendwie schaffen könnte, dass 600 Leute reichen, um die maximale Performance zu bringen."
Frage: "Denkst du, dass es bis 2015 gelingt, den Kraftstoffverbrauch um die Hälfte zu reduzieren?"
Newey: "Aus Motorensicht muss ich sagen - keine Ahnung. Denn ich bin kein Motorendesigner. Aus der Sicht eines Chassis-Designers wurde das bedeuten: leichtere Autos mit geringerem Luftwiderstand wären die Lösung. Die aerodynamische Effizienz müsste gesteigert, der Widerstand und das Gewicht reduziert werden. Aber das Reglement geht gerade in die entgegen gesetzte Richtung."
Frage: "Variable Aerodynamikteile - kann man das einsetzen, ohne eine Sicherheitsproblem zu bekommen?"
Newey: "Ja, natürlich. Sie wurden Mitte der 60er-Jahre verboten. Ich sehe keinen Grund, warum man bewegliche Aero-Teile nicht einsetzen könnte. Technisch ist das kein Problem."

