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Nach der Besichtigung: Was die Fahrer von Sotschi halten

Kein Fahrer hat es sich nehmen lassen, den brandneuen Kurs von Sotschi zu erkunden: Vor allem Kurve drei und die Boxeneinfahrt sorgen für Gesprächsstoff

(Motorsport-Total.com) - Das Simulatorerlebnis ist nur die halbe Wahrheit. Erst, wenn die Piloten eine Runde um den Kurs spazieren, haben sie wirklich eine Ahnung, was sie auf einer neuen Strecke erwartet, schließlich wird vor einer Premiere bis zum Schluss gearbeitet - und die ganze Wahrheit gibt es dann sowieso erst, wenn das Grünlicht am Ende der Boxengasse erscheint.

Titel-Bild zur News: Sotschi

Karawane im Anmarsch: Auf dem neuen Kurs in Sotschi herrschte reges Treiben Zoom

Das gilt auch für den neuen Formel-1-Kurs im Olympiapark in Sotschi. Kein Pilot ließ es sich heute nehmen, den Kurs zu Fuß zu umrunden - das tun bei bekannten Strecken oft nur noch die akribischsten Piloten. Allgemeiner Tenor nach dem ersten Check: Die Anlage bietet alles, was das Herz begehrt, das Layout, das viele an Valencia, Südkorea oder Singapur erinnert, besitzt interessante Passagen, hätte aber spektakulärer sein können.

Sotschi keine Mutstrecke wie Suzuka oder Spa

Mit heroischen Kursen wie Suzuka oder Spa-Francorchamps kann man das neue Werk von Hermann Tilke nicht vergleichen, meint Force-India-Pilot Nico Hülkenberg: "Es ist auch relativ flach, topfeben. Die Strecke sieht okay aus, da kann man nichts Negatives sagen. Wie sie dann vom Fluss her beim Fahren wirkt, ist immer noch eine andere Geschichte." Wahre Begeisterung sieht anders aus. Lotus-Pilot Romain Grosjean ist zuversichtlicher: "Die Skizze hat mir nicht gefallen, aber dann bin ich die Strecke im Simulator gefahren und liebte sie."

Markant ist, dass die Piloten von der letzten Kurve bis zum ersten Bremspunkt in der zweiten Kurve über einen Kilometer zurücklegen. "Es ist der längste Run in die erste Kurve vom ganzen Kalender - sogar noch länger als Monza", weiß Hülkenberg.

Ihm sind auch die nach außen hängenden Kurven aufgefallen, wie es sie zum Beispiel in Schanghai gibt. Einzigartig ist diesbezüglich Kurve drei - eine 180-Grad-Linkskurve, die den Medals Plaza umrundet. Bei Sebastian Vettel, der den Kurs anhand der vielen 90-Grad-Kurven als "relativ simpel" bezeichnet, ist ebenfalls Kurve drei hängengeblieben: "Das ist noch die größte Besonderheit."

Das Highlight: Geht Kurve drei voll?

Diese Passage wirft bei Williams-Pilot Valtteri Bottas einige Fragen auf: "Sie ist so lang. Was wird das mit den Reifentemperaturen machen? Vor allem, wenn man sie nicht mit Vollgas nehmen kann, wird das sehr hart für die Reifen. Auch das Bremsen wird schwierig. Man muss aufpassen, dass man die richtige Linie für diese Kurve findet um dann den richtigen Ausgang zu finden."

Ob die Kurve mit Vollgas durchfahren werden kann, hängt vermutlich auch mit dem Boliden zusammen, in dem man gerade sitzt. Lewis Hamilton berichtet grinsend von seinen Simulatorerfahrungen: "Dort kann man jede Kurve voll fahren, im wahren Leben wäre ich mir da nicht so sicher. Aber die Strecke sollte sich im Verlauf des Wochenendes enorm weiterentwickeln. Wir haben ein großartiges Auto, von dem her könnte es klappen."


Fotostrecke: Fahrer über Sotschi: Russisches Neuland

Olympiapark: Tilke waren die Hände gebunden

Doch was glaubt der Mann, der die spektakuläre Passage gezeichnet hat? Architekt Tilke ist im Exklusivinterview mit 'Motorsport-Total.com' überzeugt: "Die wird voll gehen, aber heikel könnte es werden, wenn es Probleme mit den Reifen gibt. Die Reifenbelastung wird dort absolut hoch sein. In der Kurve wird von 120 bis 280 km/h hochbeschleunigt, und das stresst die Reifen schon ganz ordentlich."

Hülkenberg zweifelt daran, dass die Reifen diesen Belastungen nicht standhalten: "Schauen wir mal, ob der Hermann Recht hat. Wir werden herausfinden, ob die Reifen so abbauen." Noch herausfordernder wäre die Passage gewesen, wenn die Eingangsgeschwindigkeit höher wäre. Dafür fehlte Tilke allerdings der Platz, weil die Passage genau zwischen dem Medals Plaza und dem Eislaufpalast verläuft.

"In Kurve drei wird von 120 bis 280 km/h hochbeschleunigt, und das stresst die Reifen schon ganz ordentlich." Hermann Tilke

"Wir waren hier überhaupt vom Platz her sehr limitiert", verrät er. "Damit meine ich nicht nur das, was man heute hier sieht, sondern auch die Olympia-Infrastruktur und das, was unterirdisch gebaut wurde."

Rosberg rechnet mit Überholaction

Positiv fällt vielen Piloten auf, dass es Überholmöglichkeiten geben sollte. "Dafür sollten die langen Geraden sorgen", hofft Nico Rosberg. "Dadurch sollte auch das Rennen gut werden." Grosjean ist etwas skeptischer: "Überholen ist nicht so einfach, wie ich es mir wünsche: Mit DRS wird es gehen, aber auf der Bremse wird es schwierig."

Bottas glaubt währenddessen, dass sogar ausgangs Kurve drei Rad-an-Rad-Duelle möglich sein könnten: "Wenn man nah genug herankommt und es nicht schon in Kurve zwei schafft, könnte es interessant werden, dort nebeneinander reinzufahren. Wir werden sehen."


Rosberg freut sich auf Sotschi

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Boxengasse in der Kritik

Kritik gab es währenddessen für die schmale Boxengasse. "Sie ist recht eng, vor allem beim Boxeneingang", urteilt Vettel - und wundert sich: "Sie hatten ja hier eigentlich viel Platz, um die Strecke zu bauen - da fragt man sich manchmal, warum das dann nicht größer geworden ist."

Boxengasse

Hätte breiter sein können: die Boxengasse der neuen Anlage in Sotschi Zoom

McLaren-Pilot Jenson Button, der bereits seit dem Jahr 2000 mit dem Formel-1-Zirkus unterwegs ist und schon viel erlebt hat, nimmt es eher sarkastisch: "Ein Auto wird da schon irgendwie passen. Werden sie wohl hoffentlich versucht haben..." Und Rosberg wird hellhörig: "Beim Rumlaufen habe ich mir die Einfahrt nicht angeschaut. Es ist gut, dass ich jetzt weiß, dass ich mir die angucken muss."