Michael ab März 2012 bei neuem Team?
Technikchef Sam Michael spricht ausführlich über seinen Abschied von Williams und bestätigt, dass er auch 2012 in der Formel 1 arbeiten wird
(Motorsport-Total.com) - Erst am Dienstag hat Williams bekannt gegeben, dass Sam Michael seinen Posten als Technischer Direktor am Jahresende räumen wird, doch in Wahrheit stand die Entscheidung schon seit Wochen fest: "Es war meine Entscheidung, Williams zu verlassen. Ich habe nach dem Malaysia-Grand-Prix meine Kündigung eingereicht", bestätigt der Australier.

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Sam Michael wird wohl keine Mühe haben, einen neuen Job zu finden
"Der Vorstand wollte die Technikabteilung unter die Lupe nehmen. Ich empfand es nur als korrekt, Gegenstand dieser Untersuchung zu sein", berichtet er. "Ich habe die Ingenieure eingestellt, die Gegenstand der Untersuchung waren. Wenn es also Änderungen geben sollte, dann war mir ziemlich klar, dass ich Verantwortung für das Auto übernehmen muss. Ich bin für das Auto verantwortlich, das ist meine Aufgabe."
"Ich hätte nie gedacht, dass ich elf Jahre lang für eine Firma arbeiten würde, aber eigentlich ist die Zeit sehr schnell vergangen", zieht Michael Bilanz. "Es gab Zeiten, da war ich sicher, dass ich mein ganzes Leben lang für Williams arbeiten würde. Es war fantastisch, für Frank und Patrick zu arbeiten, und wir haben auch viel Schönes miteinander erlebt. Aber die Dinge ändern sich, das Leben geht weiter und man sucht nach neuen Herausforderungen."
Baldigen Abschied schon verarbeitet
Er sei aber ein "emotionsloser Mensch" und habe die Entscheidung daher gut verkraftet: "Eine meiner Stärken ist, dass ich diese Dinge gut trennen kann. Wenn du in Boxengassen gearbeitet hast, ist eine der wichtigsten Qualitäten, Emotionen aus Entscheidungen rauszunehmen. Ich schätze, es ist das Gleiche, wenn man eine Firma verlässt. Für mich ist es aber schon wieder einen Monat her, insofern habe ich das schon lange überwunden."

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Montoya feierte 2004 in Sao Paulo einen Sieg mit einem Michael-Williams Zoom
Michael wird Williams gemeinsam mit Chefaerodynamiker Jon Tomlinson verlassen. Als neuer Chefingenieur kommt Mike Coughlan an Bord, spätestens seit seiner Verwicklung in den McLaren/Ferrari-Spionageskandal im Jahr 2007 auch einem breiteren Publikum bekannt. Coughlan kommt aber erst im Juni. "Im Moment arbeite ich auch für 2012 und 2013, denn die Struktur wurde noch nicht verändert", sagt Michael.
Der 40-Jährige wird diese Doppelrolle noch bis Juni ausfüllen und seinen Fokus dann ausschließlich auf die Weiterentwicklung des aktuellen FW33 richten. Um den FW34 soll sich von Anfang an Coughlan kümmern. Daher versteht Michael auch, dass Williams schon nach dem ersten Rennen eine interne Untersuchung eingeleitet hat: "Die Zeit, noch vier oder fünf Rennen zu warten, war einfach nicht da, denn sonst hätte es sich auch auf nächste Saison ausgewirkt."
"Ich möchte mich auf das diesjährige Auto konzentrieren, denn das ist für mich am wichtigsten", hält der scheidende Williams-Technikchef fest. "Jeder, der neu reinkommt, wird sich also klarerweise nicht damit befassen, sondern das neue Auto für 2012 bauen. So gesehen passt es ganz gut, sobald es einmal passiert, aber ich kann das 2012-Zeugs nicht einfach liegen lassen, denn ich stehe bei Williams unter Vertrag und das ist meine Aufgabe."
Voller Einsatz bis zum letzten Tag
Am liebsten würde er sich ab sofort nur noch "auf 2011 konzentrieren", aber "so ist das Leben. Ich werde dafür bezahlt und es ist selbstverständlich für mich, dass ich mich in der Zeit bemühe, das Auto so schnell und zuverlässig wie möglich zu machen. Dass er doch früher abgelöst wird als derzeit geplant, will der scheidende Technikchef nicht ausschließen, aber: "Das ist Williams-Angelegenheit. Ich halte meinen Vertrag ein."
"Ich habe einen Vertrag bis 31. Dezember und dann ein zweimonatiges Arbeitsverbot. Das bedeutet, ich kann vor 1. März für kein anderes Team arbeiten. Das ist kein Geheimnis. Die meisten Verträge von Ingenieuren sind so formuliert", verrät Michael und stellt klar: "Ich werde ohne jeden Zweifel nächstes Jahr in der Formel 1 sein. Ich vernehme schon Interesse, was ermutigend ist. Ich weiß aber noch nicht, wo ich landen werde."
Wohin es ihn ziehen könnte, will er allerdings partout nicht verraten. Doch auch wenn er unter anderen Umständen Williams treu geblieben wäre, sieht er die Kündigung inzwischen als Chance: "Wenn der Erfolg da gewesen wäre, wäre ich vielleicht bei Williams geblieben, aber im Nachhinein betrachtet kann ich mir gut vorstellen, dass es für mich selbst und für Williams eine gute Sache ist. Das Wichtigste an einer Veränderung ist, dass es nachher besser wird."
Rubens Barrichello hat sich in Istanbul sehr positiv über Michael geäußert und den Verdacht geäußert, der Australier sei überlastet gewesen. "Das ist eine Frage, die man eher Williams als mir stellen sollte", weicht der Australier aus und gibt zu: "Wenn ich gefunden hätte, dass ich zu viel arbeite und überlastet bin, dann hätte ich jederzeit entscheiden können, es nicht mehr so zu machen. Aber ich habe mich dazu entschieden, in diesem Job zu bleiben und ihn so fortzuführen."
Leise Kritik an der Williams-Struktur
Michael wechselte 1999 von Jordan zu Williams und übernahm 2004 den Posten des Technischen Direktors von seinem Vorgänger Patrick Head. Seither ist es dem einstigen Erfolgsteam offenbar nicht gelungen, die Strukturen zu modernisieren: "Früher hat es einen Technischen Direktor gegeben, für den ein paar Leute gearbeitet haben", sagt er. "Ich glaube, diese Veränderung stellt auch für Williams eine Chance dar, die Führungsgruppe zu stärken."
Ein bisschen Kritik an seinem Noch-Arbeitgeber kann er sich dann aber doch nicht verkneifen: "Ist doch klar, dass man ein Formel-1-Team nicht mehr wie vor 20 Jahren führen kann", kritisiert Michael. "In 20 Jahren wird man es nicht mehr führen können wie heute. Aber das ist eine subjektive Meinung, schätze ich. Letzten Endes hast du eben den Job, den du hast, und du hast die Leute, die dir zur Verfügung stehen. Daraus musst du das Beste machen."

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Sam Michael wird naturgemäß auch aus dem Williams-Vorstand ausscheiden Zoom
Trotzdem kann er sich theoretisch vorstellen, eines Tages zu Williams zurückzukehren: "Das Wichtigste ist mir, professionell und mit Respekt wegzugehen. Es wäre sehr leicht, die Beherrschung zu verlieren oder etwas Dummes zu sagen. Aber das ist es nicht wert, denn so etwas würdest du ewig bereuen. Du meisterst das Leben viel besser, wenn du dir solche Dinge verkneifst - wie schwierig es auch sein mag", philosophiert der 40-Jährige.
Dass ihn Barrichello derzeit massiv in Schutz nimmt, ist ihm nicht entgangen: "Es ist immer schön, solche Kommentare zu haben. Auch einige andere Fahrer haben mir sehr geschmeichelt, auch andere Leute. Das hat mich sehr berührt. Viele Leute sind persönlich an mich herangetreten und haben Unterstützung angeboten. Das war mehr als erwartet. So gesehen war es sogar eine schöne Erfahrung", gibt Michael zu Protokoll.
Kreatives Potenzial war vorhanden
Außerdem bestätigt er die Aussage des zweitgrößten Williams-Teilhabers Toto Wolff, wonach die derzeitige Krise sicher nicht am Budget und auch nicht an den technischen Möglichkeiten liege: "Wir haben einen guten Windkanal, wir haben gutes CFD-Equipment, gute Produktionsausstattung", stimmt Michael zu. "Es gibt nichts, was Williams in Sachen Fabrik nicht hat. Wir haben auch - von oben bis unten - sehr gute Aerodynamiker, die sehr gute Konzepte entwickelt haben."
"Wir hatten den auspuffangeströmten Diffusor vier Monate, bevor Red Bull im Vorjahr in Australien damit aufgekreuzt ist, im Windkanal", nennt er ein Beispiel. "Dass wir es nicht geschafft haben, das Konzept mechanisch auf die Strecke zu bringen, ist unser eigener Fehler, aber die Idee war im Windkanal." Der Übertrag auf die Strecke hat wegen Problemen mit Cosworth nicht funktioniert: "Es gab praktische Probleme mit dem Auspuff und Überhitzungen."
"Das bedeutet, dass wir als Team nicht gut genug sind, denn Red Bull hat es hinbekommen und wir nicht. Aber es bedeutet nicht, dass wir an das Konzept nicht gedacht haben", lobt Michael das Kreativitätspotenzial des von ihm aufgebauten Designteams. "An den F-Schacht hatten wir zum Beispiel überhaupt nicht gedacht, als er rauskam. Red Bull auch nicht. Das ging allen außer McLaren so. Dafür hat McLaren nicht an den Doppeldiffusor gedacht."
"Wenn man sich hinsetzt, welche fünf großen Konzepte in den vergangenen Jahren entwickelt wurden, dann war Williams bei zwei davon federführend. Das ist eine gute Trefferquote", sagt er. "Ich rede nicht von einer kleinen Änderung an der Frontflügel-Endplatte oder am Barge-Board - das sind normale Weiterentwicklungen. Ich rede von der Bewertung des kreativen Potenzials einer Firma. Wenn das vorhanden ist, dann musst du dich fragen, wie du das Produkt auf die Strecke bekommst."

