• 25.04.2016 15:56

  • von Dominik Sharaf

Mercedes' Defektdetektive klären Hamiltons China-Defekt auf

Wie akribisch Mercedes bei einem Antriebsdefekt vorgeht und die Ursache für den Ausfall der MGU-H in Schanghai fand: Teilchen der Isolierung im Öl identifiziert

(Motorsport-Total.com) - Mercedes hat bei der Untersuchung des Antriebsstrangs, der Lewis Hamilton im Qualifying zum China-Grand-Prix einen Strich durch die Rechnung machte, eine Defektursache ausgemacht. Die MGU-H - das Hybridelement zur Rückgewinnung von Wärmeenergie - wird seit Donnerstag in der Fabrik in Brixworth analysiert und es wird vermutet, dass das Problem in Zusammenhang mit der Isolierung steht. Der Antriebsstrang wurde gerettet und bleibt nach dem Abschluss der Reparaturen im Fahrerpool.

Titel-Bild zur News: Mercedes-Box

Bei Mercedes wurde intensiv nach der Schadensursache gesucht Zoom

Nachdem Teilchen im Ölsystem gefunden wurden, werden Turbolader und Ölpumpen ersetzt. Das wieder funktionstüchtige Triebwerk wird am kommenden Wochenende als Ersatz im russischen Sotschi zur Verfügung stehen. Dennoch hat Hamilton - im Gegensatz zu Nico Rosberg - sein vor Schanghai noch jungfräuliches Komponentenkontingent geschröpft und weicht vom Plan ab.

Dass der Champion weich fällt, hat auch mit den von Mercedes genutzten Mechanismen bei einem Antriebsdefekt zu tun. Es arbeiten sich eine Gruppe von Ingenieuren an der Rennstrecke sowie eine noch viel größere Gruppe in Brixworth durch die aufgezeichneten Daten. Sie stellen fest, was jeder Sensor festgehalten hat. Dieser Schnell-Check stellt rasch fest, wie schwerwiegend das Problem ist.

Wenn dabei entdeckt wird, dass ein Problem nicht an der Strecke behoben werden kann und Teile entfernt werden müssen, bereiten die Ingenieure an der Strecke die Komponenten so schnell wie möglich für den Transport nach Brixworth vor. Während sich die Komponenten auf dem Rückweg befinden, verfasst der zuständige Ingenieur des vermutlich betroffenen Systems eine Anleitung für das Vorgehen. Sie ist eine detaillierte Abfolge an Anweisungen für Techniker in der Montage.

Dazu gehört auch, wer welchem Abschnitt des Prozesses zugeteilt wird, welche Spezialausrüstung oder Untersuchungsmethoden benötigt werden und welche Schritte durchgeführt werden müssen. Die Liste wird in chronologischer Reihenfolge verfasst und jedem Schritt ein geschätztes Zeitfenster zugewiesen. Auf diese Weise wird ein gründlich abgewogener Zeitplan erstellt.

In den meisten Fällen beginnen die Techniker damit, Öl durch die Leitungen und Filter des Öl- und Kühlsystems zurück zu spülen. So sammeln sie alle Kleinstteilchen. Während größere Fragmente von Hand entfernt werden können, können sich kleinere Teilchen - die oft auf den Ursprungspunkt des Problems hindeuten - am Ende von Leitungen oder Filtern des defekten Teils ansammeln.

Es folgen mikroskopische Analysen der Feinteilchen. Dabei werden die verschiedenen Formen und Größen begutachtet, um festzulegen, ob es sich um Abrieb handelt oder ob eine Komponente in kleine Teile zerschmettert wurde. Die Teilchen werden mit einem Elektronenmikroskop gescannt, um ihre chemische Zusammensetzung zu überprüfen. Es hilft dabei, den Materialtyp festzulegen.


Fotos: Rosberg/Hamilton im Mercedes-Werk


Er wiederum liefert einen Anhaltspunkt für jene Komponente, von der die Teile möglicherweise stammen. Sobald die Teilchenanalyse komplett ist und die Komponenten, die an dem Defekt beteiligt waren, alle isoliert wurden, wird die installierte Konfiguration damit genau nachgestellt. Indem sie die Reihe an vorliegenden Komponenten, die gefundenen Teilchen und wo sie entdeckt wurden ansehen, können die Ingenieure einen möglichen Ablauf der Ereignisse entwickeln.

Dann sehen sich die Ingenieure erneut die aufgezeichneten Daten von der Strecke an, um Sprünge in den Aufzeichnungen jedes Sensors im Antrieb zu finden, die vielleicht zu einer der vorhandenen Theorien passen. Virtuelle Simulationswerkzeuge geben einen guten Einblick, was innerhalb eines Systems abläuft. Sie werden während der gesamten Entwicklungsphase intensiv genutzt. Wenn eine Komponente versagt, kann man erneut auf diese Modelle zurückgreifen und Veränderungen vornehmen, um dem zu entsprechen, was das Team als Fehlerursache vermutet.

Es ist möglich, absichtlich Fehler in die Teile einzubauen, die dann auf dem Prüfstand getestet werden können, um den Defekt zu reproduzieren. Es könnte als ein teurer Weg angesehen werden, aber es ist preiswerter, als wenn sich das Problem an der Strecke wiederholen würde. Die Motoren können mit veränderten Freigaben eingesetzt werden, die entweder geringer oder größer als die typischerweise eingebauten Standardtoleranzen ausfallen. So lässt sich beispielsweise ein Szenario nachstellen, bei dem sich eine Oberfläche abgenutzt hat.


Mercedes-Motorenfabrik in Brixworth

Jedes Element im Antriebsstrang wird wenn notwendig analysiert. Eine elektronische Komponente wie beispielsweise eine Leiterplatte kann bei steigenden Temperaturen in einem Ofen betrieben werden. So lässt sich feststellen, ab welchem Punkt die Halbleiter aufhören zu funktionieren. Die Erkenntnis lässt sich mit dem Wissen über die Temperaturen der Leiterplatte im ERS-Modul verbinden, um festzustellen, ob Überhitzung als Ursache des Defekts diagnostiziert werden kann.

In erster Instanz wird der Untersuchung exklusiv ein Ingenieur mit Fachwissen über das betroffene System zugeteilt. Er oder sie soll das Problem bis zu dessen Lösung begleiten und beruft mindestens alle 24 Stunden ein Meeting mit vier oder fünf Personen ein, um über die Theorien nachzudenken. Erfahrung und die Fähigkeit, quer zu denken, sind in diesen Fällen gefragt.