Märchen, Mythen, Monte Carlo...
Kein anderer Grand-Prix-Kurs übt eine so einzigartige Faszination aus wie das enge Kurvengeschlängel an der Cote d'Azur
(Motorsport-Total.com/sid) - Hüfthohe Leitplanken, weniger als fünf Meter Straßenbreite, ein Tunnel entlang des Hafens und Kanaldeckel, die alle Formel-1-Fahrer schmerzhaft in die Cockpits drücken ? das ist der unvergleichliche Reiz von Monte Carlo, dem langsamsten, aber zugleich verrücktesten Grand Prix der Welt. Auf die Piloten warten mehr als 3000 Schaltvorgänge, wenn sie am Sonntag bei der 61. Auflage zwischen 32 Kilometer Leitplanken durch den Zwergstaat rasen.

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Das Rennen in Monaco ist für die Fahrer eine einzigartige Herausforderung
Kein anderes Motorsportereignis versprüht nur annähernd einen ähnlichen Zauber. Monaco ist die Krone im PS-Zirkus, das Wimbledon der Formel 1. Wenn die Motoren in dem kleinen Fürstentum aufheulen, sitzen knapp eine Milliarde Menschen vor den Fernsehschirmen. Mehr TV-Zuschauer haben nur das Finale einer Fußball-WM oder der 100-Meter-Endlauf bei Olympischen Spielen.
"Mit einem 800-PS-Auto über einen Stadtkurs zu fahren, ist so, als würde man mit einem Hubschrauber durchs Wohnzimmer fliegen. Das ist pervers", sagte einst der dreimalige Weltmeister Nelson Piquet, der selbst nie in Monaco gewann. Für den ehemaligen Formel-1-Piloten Hans-Joachim Stuck ist Monte Carlo wie die Fahrt "eines Ozeandampfers in einer Badewanne".
Bereits hinter der ersten Kurve nach Start und Ziel müssen die Piloten sämtlichen Mut zusammennehmen: Mit Tempo 280 fährt man rund 600 Meter bergauf. Danach geht es mit 110 km/h am berühmten Spielcasino vorbei, bis in der Loews-Kurve vor dem Foyer eines Nobel-Hotels der langsamste Streckenabschnitt kommt (erster Gang, Tempo 40). Kurz darauf rasen die Autos mit 300 Stundenkilometern und ohrenbetäubendem Lärm durch den Hafentunnel. Wenn man danach vom Tageslicht geblendet wird, bleibt nicht der Bruchteil einer Sekunde, um einen flüchtigen Blick auf den Hafen mit seinen Luxusyachten zu werfen.
Die folgende Passage rund um das Schwimmbad wird zurzeit in zwei Abschnitten umgebaut, die erste Änderung an der Strecke seit Jahren. 5.000 Quadratmeter Land wurden im Hafenbecken aufgeschüttet, die Strecke verbreitert und die Anfahrt zur Rascasse-Kurve entschärft, in der die Autos fast über die Terrasse eines Restaurants fahren. Bis 2005 soll auch der enge Boxenbereich verlegt und vergrößert werden.
Trotz der Umbauten ? für Gerhard Berger, Ex-Formel-1-Fahrer und Noch-Motorsportdirektor bei BMW, haben die heutigen Rennautos "zu viel Power für viel zu wenig Straße". Beim ersten Grand Prix am 14. April 1929 lag der Schnitt des Siegers bei rund 80 km/h, vor einem Jahr triumphierte Silberpfeil-Pilot David Coulthard mit 149,280 km/h.
Der Österreicher Niki Lauda, der im Ferrari zweimal in Monaco gewann (1975 und 1976), bezeichnete das Billardspiel zwischen den Leitplanken als "völlig bekloppt. Nachdenken darfst du hier nie, aber wir müssen fahren, weil es das wichtigste Rennen ist." Der folgenschwerste Unfall ereignete sich 1967: Damals überschlug sich Ferrari-Fahrer Lorenzo Bandini und erlag drei Tage später seinen Verbrennungen. Unvergessen ist der spektakuläre Abflug von Alberto Ascari 1955 ins Hafenbecken. Der Italiener tauchte sofort wieder auf, kam mit einem Nasenbeinbruch und Prellungen davon.
Ein ganz besonderes Verhältnis zu Monte Carlo hatte Ex-Weltmeister James Hunt, der 1993 im Alter von 45 Jahren einem Herzinfarkt erlag: "Das Rennen habe ich gehasst, aber die Partys waren geil. In Monaco kotzt man den besten Champagner." Wenn der Grand-Prix-Zirkus an die Cote d'Azur kommt, tummeln sich Reiche, Schöne und Wichtige im Fahrerlager ? sehen und gesehen werden.
Weltmeister Michael Schumacher hat dem Wohnort Monaco im Gegensatz zu zahlreichen Formel-1-Kollegen schon vor Jahren den Rücken gekehrt. Auch sein WM-Rivale Kimi Räikkönen lebt wie der Kerpener in der Schweiz und würde nie auf die Idee kommen, nach Monte Carlo zu ziehen. "Die meisten Appartements sind so klein, dass ich mich eingeengt fühlen würde", so der Silberpfeil-Pilot. "Ein Blick aus dem Fenster ? und du schaust auf eine Betonwand."

