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Lotus & Renault: Scheitern wahrscheinlicher als eine Einigung

Die Zeit drängt: Warum Renault für ein Werksteam möglichst wenig eigenes Geld in die Hand nehmen möchte und wie dieses ungefähr aussehen könnte

(Motorsport-Total.com) - Am 28. September hat Renault hochoffiziell bekannt gegeben, einen sogenannten "Letter of Intent" (Absichtserklärung) unterschrieben zu haben, das Lotus-Team zu übernehmen. Auf diese Art und Weise konnte beim Termin vor dem Obersten Gerichtshof in London, der für den gleichen Tag angesetzt war, die drohende Insolvenz und damit möglicherweise die sofortige Einstellung des Rennbetriebs abgewendet werden.

Titel-Bild zur News: Cyril Abiteboul und Jerome Stoll

Cyril Abiteboul und Jerome Stoll auf dem Grid beim Saisonfinale in Abu Dhabi Zoom

Doch seither wartet man vergeblich auf eine finale Bestätigung der Übernahme, und die Informationen, die in Abu Dhabi rund um Lotus und Renault durchsickerten, machen wenig Mut. Laut Informationen von 'Motorsport-Total.com' aus zuverlässiger Quelle soll die Wahrscheinlichkeit für einen Einstieg des französischen Automobilherstellers als Werksteam bei unter 50 Prozent liegen - nicht zuletzt aufgrund wenig hilfreicher Entwicklungen in den vergangenen Wochen.

Während mit der aktuellen Lotus-Führung längst alles geklärt ist und sogar schon ein unterschriftsreifer Vertrag vorliegt, harkt es weiter an den Verhandlungen zwischen dem Renault-Konzern und Formel-1-Geschäftsführer Bernie Ecclestone. Renault möchte - ähnlich wie Ferrari, McLaren, Mercedes und Red Bull - einen Sonderstatus, was die finanzielle Vergütung aus dem Einnahmentopf der FOM angeht, und zwar ohne dafür erst zweimal Weltmeister werden zu müssen.

Ecclestone verärgert über Renault-Verhalten

Das Argument, das Konzernchef Carlos Ghosn dabei ins Spiel bringt, sind die beiden letzten Renault-WM-Titel mit Fernando Alonso in den Jahren 2005 und 2006. Die Verhandlungen schienen schon vor einem erfolgreichen Abschluss zu stehen: "Wir haben ihnen ein Angebot gemacht", wird Ecclestone von 'motorsport.com' zitiert. "Dann kamen sie zurück und sagten, sie seien happy, wenn wir noch dies und jenes ändern."

Doch in der Zwischenzeit verhandelte Renault auch mit Red Bull über die Motoren für 2016 - und erhöhte die Forderung von 24 Millionen Euro in dieser Saison auf 30 Millionen Euro für die nächste. Das wiederum stieß Ecclestone sauer auf, der Red-Bull-Chef Dietrich Mateschitz zugesagt hatte, bei der Suche nach einem zukunftsfähigen Antriebsplan zu helfen. "Wir haben versucht zu helfen, aber sie brauchen offenbar keine Hilfe", rümpft Ecclestone die Nase über Renault.

Christian Horner, Helmut Marko und Jerome Stoll

Christian Horner, Helmut Marko, Jerome Stoll bei Gesprächen in Abu Dhabi Zoom

In Abu Dhabi versuchte Renault zu retten, was noch zu retten ist. Renault-Sport-Präsident Jerome Stoll war persönlich vor Ort, um die Verhandlungen zu führen, traf sich sowohl mit Ecclestone als auch mit Lotus- und Red-Bull-Vertretern. Aus Formel-1-Sicht hatten diese Meetings allerhöchste Priorität, denn wenn Renault nicht bei Lotus einsteigen sollte, wäre ein Ausstieg wohl unvermeidlich - was wiederum die Situation um die Nissan-Motoren für Red Bull verkomplizieren würde.

Renault möchte kein finanzielles Risiko eingehen

Bekannt geworden sind inzwischen auch Details darüber, wie sich Renault das neue Werksteam grundsätzlich vorstellen könnte. Demnach würde der Konzern im Gegensatz zu etwa Daimler nicht voll in die Haftung gehen, sondern lediglich die Zusage geben, den Antriebsstrang und ein Marketingbudget kostenlos zur Verfügung zu stellen und dafür Namensrechte und Anteile zu erhalten - so, wie es früher schon mit Toro Rosso geplant war.

Zusätzlich soll ein externer Investor an Bord geholt werden. Das ist der Hintergrund für die Diskussionen mit Ecclestone um die FOM-Gelder, denn nur wenn Renault einen Sonderstatus zugestanden bekommt, ist das Team für einen Investor interessant. Ecclestone knüpft seine Zusage aber an konkrete Bedingungen. So gilt beispielsweise die Spekulation als Unfug, dass Alain Prost Teamchef werden könnte. Für diesen Posten hat Ecclestone vermutlich eigene Vorschläge.


Fotostrecke: Die Geschichte des Lotus-Teams

Die Konstellation mit einem Investor (wer auch immer das sein mag) ist für Renault notwendig, weil es aus Konzernsicht nicht in Frage kommt, ähnlich wie der Daimler-Konzern über 80 Millionen pro Jahr selbst zuzuschießen - zumal hinter den Kulissen in Paris ein Machtkampf zwischen Ghosn und dem französischen Wirtschaftsminister Emmanuel Macron tobt, seit die sozialistische Regierung von Francois Hollande ihre Anteile an Renault im April von 15 auf 19,7 Prozent erhöht hat.

Nächster Gerichtstermin am 7. Dezember

Aus Lotus-Sicht drängt jedenfalls die Zeit, den Deal endlich über die Bühne zu bringen. Für 7. Dezember ist der nächste Termin vor dem Obersten Gerichtshof angesetzt, und dabei wird der Richter sicher wissen wollen, was eigentlich aus dem verheißungsvollen "Letter of Intent" vom 28. September geworden ist. Aus diesem Grund hat Renault-Sportchef Cyril Abiteboul in Abu Dhabi eine Entscheidung noch in dieser Woche angekündigt.

Ecclestone hatte mit dieser schon gestern gerechnet: "Wir warten auf Herrn Ghosn, am Montag." Denn ohne Renault-Einstieg sei Lotus seiner Meinung nach nicht überlebensfähig: "Dann hören sie auf, da bin ich mir sicher. Sie führen ein erfolgloses Business, sie haben nicht genug Geld, um weiter Rennen zu fahren. Sie werden aufhören. Sie stecken in finanziellen Problemen. Da wird ein Mercedes-Vertrag nicht weiterhelfen."

"Sie haben nicht genug Geld, um weiter Rennen zu fahren. Sie werden aufhören." Bernie Ecclestone

Damit spricht Ecclestone die Behauptung von Lotus-Miteigentümer Gerard Lopez an, dass das Team auch ohne Renault auf jeden Fall weiter existieren werde, zur Not eben wie bisher mit Mercedes-Motoren. "Der Vertrag mit Mercedes wurde nicht aufgelöst", wird Lopez von 'Reuters' zitiert. "Das Team könnte auch ohne Renault-Vertrag existieren." Dann allerdings mit von 470 auf 300 Mitarbeiter reduzierter Belegschaft, um die Betriebskosten zu senken.

Verträge warten nur noch auf die Unterschrift

Lopez räumt ein, dass er seinen Teil in den Verhandlungen geleistet habe und er nun auf Ghosns Entscheidung wartet: "Die Verträge sind fertig", sagt er gegenüber 'motorsport.com'. Verärgert ist er über Medienberichte, wonach Ecclestone offene Lotus-Rechnungen bezahlt habe, damit das Team in Abu Dhabi überhaupt in die Box durfte. Nach Suzuka und Sao Paulo verwehrten dort erneut die Behörden den Zutritt zu den Lotus-Anlagen und beschlagnahmten Equipment.

"Ich lese, dass Bernie alles bezahlt hat, aber das stimmt nicht", beteuert Lopez. Ecclestone habe lediglich die ohnehin fällige FOM-Überweisung an Lotus um drei Tage früher als geplant angewiesen, Lotus habe aber noch keinen Vorschuss auf die 2016er-Zahlungen in Anspruch genommen. Zu den Zahlungsschwierigkeiten sei es gekommen, weil man den Personalstand von 470 für eine Renault-Übernahme aufrechterhalten möchte. Sonst hätte längst eine Verkleinerung stattgefunden.


Carlos Ghosn bei der IAA in Frankfurt 2015

Indes wartet der zum Haas-Team abwandernde Fahrer Romain Grosjean, der in Abu Dhabi sein letztes Rennen bestritten hat, laut unbestätigten Medienberichten immer noch auf vier Millionen Euro Gehalt aus der Saison 2015. "Ich bin nicht sicher, ob ich dazu etwas sagen kann", antwortet er auf Anfrage von 'Motorsport-Total.com', ehe er grinsend anfügt: "Wir mögen Entertainment! Es gibt ein paar geschäftliche Themen, die wir aussortieren müssen."