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Kolumne: Der merkwürdige Auftritt des Gangsta-Rappers

Meinung zum Mercedes-Kick-off in Fellbach: Warum man Weltmeister Lewis Hamilton nicht mögen muss, sein Gehabe aber trotzdem gut für die Formel 1 ist

Liebe Leser,

es war schon ein merkwürdiger Auftritt, den Lewis Hamilton gestern beim Mercedes-Motorsport-Kick-off 2016 in Fellbach abgeliefert hat. Dass der amtierende Formel-1-Weltmeister bei seiner Ankunft im Mittelpunkt steht, liegt erstens nicht in seiner Hand und zweitens in der Natur der Sache. Aber er genießt es sichtlich. Und auch an seinen mit Tätowierungen übersäten Körper, die ausgefallenen Accessoires und das irgendwie so gar nicht zum Formel-1-Business passende Gefolge kann man mögen oder eben auch nicht. Das zu bewerten, steht mir nicht zu, schließlich kann jeder sein Leben so leben, wie er es gerne möchte. Tun wir schließlich alle.

Trotzdem haben viele Hamiltons Selbstdarstellung in den "Heiligen Hallen" in Fellbach, wo historische Mercedes-Rennautos im Wert von hunderten Millionen Euro stehen, als merkwürdig empfunden. Das beginnt schon beim Betreten der Bühne: Während Nico Rosberg ohne großes Brimborium zur Tat schreitet und sich davor noch einen kurzen Moment die Zeit nimmt, einem Journalisten bei der ersten Begegnung nach der Winterpause die Hand zu schütteln, tritt Hamilton ganz anders vor die Menge.

Es ist die Selbstverständlichkeit eines Gangsta-Rappers, der auf der Bühne davon überzeugt ist, dass alle Frauen mit ihm schlafen wollen, mit der sich Hamilton seinem Publikum (mehrheitlich Journalisten, die sich von diesem Gehabe weniger beeindrucken lassen als seine Fans) präsentiert. Und während Rosberg den höflichen Applaus kommentarlos zur Kenntnis nimmt, grinst Hamilton nach unten: "Don't get too excited, guys - ich bin ja hier!" Als wäre er der Messias, auf den alle gewartet haben.

Das ist er zumindest für Daniel Johnson vom Telegraph nicht. Als der Journalist eine Frage stellt, versucht Hamilton witzig zu sein: "Wo bist du? Ah, da. Fast so, als würde man Wez Wally suchen", macht er eine Anspielung auf eine in Deutschland weniger bekannte Comicfigur, die oft in Suchbildern auftaucht. Das Markenzeichen von Wez Wally ist ein rot-weißes Streifenhemd. Also sagt Hamilton in Richtung des Journalisten: "Muss wohl das Hemd sein..."

Das findet der Telegraph-Kollege (der extra aus London angereist ist, um an der halbstündigen Pressekonferenz teilnehmen zu können) wenig witzig und bittet den Herrn Weltmeister, er möge doch bitte die Frage beantworten. Woraufhin sich Hamilton, zum Rest des Publikums gewandt, lustig macht: "Ich habe gar nicht gehört, was er gesagt hat." Kann man witzig finden, muss man aber nicht. Immerhin versucht er die Situation noch zu retten, indem er anfügt: "Ist doch nur Spaß!"

Merkwürdig finden einige auch, dass sich Hamilton mit einer Sehschärfe brüstet, die doppelt so gut wie bei "durchschnittlichen" Menschen ist (aber trotzdem Brille trägt); und wenn er sagt, dass sein einst "langweiliges" Leben außerhalb der Formel 1 jetzt endlich genauso spannend sei wie sein Leben in der Formel 1, ist das eigentlich ein Schlag ins Gesicht all seiner Fans, die nicht den Luxus genießen können, einen millionenschweren Sportwagen nach einer durchzechten Partynacht in Monte Carlo gegen andere Autos zu fahren und sich deswegen keine Sorgen machen zu müssen.

Und auch wenn es niemand bei Mercedes jemals öffentlich zugeben würde: An den spontanen Blicken der Entscheidungsträger und des Teamkollegen bei so mancher Aussage kann man viel besser als an jeder wohlüberlegten Aussage ablesen, dass auch sie ihre ganz eigene Meinung über Hamiltons Auftreten haben. Toto Wolff lügt nicht, wenn er sagt, das sei ihm alles egal, solange der Erfolg stimmt. Aber so mancher im Mercedes-Team hat wahrscheinlich nur begrenztes Interesse daran, sich privat mit Hamilton anzufreunden.

Lewis Hamilton ist mir nicht sympathisch. Muss er auch nicht sein. Das ist eine rein subjektive Meinung eines bedeutungslosen Journalisten. Jeder kann sich seine eigene Meinung bilden. Und etwas Positives hat das alles ja: Genau wie früher Michael Schumacher lässt unser aktueller Weltmeister niemanden kalt. Er polarisiert. Er provoziert, dass Kolumnen wie diese geschrieben werden. Das ist gut für den Sport.


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Und, übrigens, fast immer schlecht für den Journalisten, der mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von seinen Lesern verbal dafür geprügelt wird, seine subjektive Meinung abzubilden, selbst wenn es in der Darstellungsform einer Kolumne passiert. Aber wenn eben diese eine Diskussion über die Formel 1 und ihre Protagonisten entfacht, ist ein Teil unseres Auftrags erfüllt: nämlich die Formel 1 zum Diskussionsthema zu machen.

Ihr

Christian Nimmervoll

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