Jaguar: Solide Struktur soll zu solidem Auto führen
Die "Masterminds" hinter dem neuen Jaguar-Cosworth R4 sprechen ausführlich über ihre Schöpfung?
(Motorsport-Total.com) - Während fast alle Teams, die bisher ihre neuen Boliden präsentiert haben, auf völlig neue Konzepte setzen, lauteten die Zauberwörter beim gestrigen Launch des neuen Jaguar-Cosworth R4 "solide" und "zuverlässig". Die Technik hinter dem Renner für Mark Webber und Antonio Pizzonia basiert auf dem Vorjahreswagen und wurde nach dem Prinzip "weniger ist mehr" entwickelt.

© Jaguar
Konservativ: Optisch ähnelt der neue Jaguar stark seinem Vorgänger
An das Jaguar-Team aus dem Vorjahr erinnert nicht mehr viel: Neben Niki Lauda wurden noch rund 70 weitere Angestellte aus Kostengründen gekündigt, die Ford-Spitze in Detroit installierte ein neues Management mit mehr "Engineering Power", wie man in England zu sagen pflegt, sämtliche Strukturen wurden auf den Kopf gestellt und "Masterminds" aus den verschiedensten Bereichen von Fords Premier Performance Division speziell für das F1-Projekt zusammengetrommelt.
Dass "Jaguar neu" nicht von heute auf morgen reibungslos laufen wird, dürfte wohl allen klar sein, langfristig erwartet man sich jedoch den lange ersehnten Vorstoß an die Spitze der Königsklasse. Geheimrezept dazu: Chassisseitig eine im Detail verbesserte Aerodynamik, mechanisch mehr Effizienz, um die Michelin-Pneus optimal ausschöpfen zu können, und den stärksten Motor, den Cosworth je gebaut hat ? mit einem Zylinderöffnungswinkel von 90 statt bisher 72 Grad.
Pocock Chef eines neuen Ingenieursstabs
"Ich hoffe", erklärte Dr. Ian Pocock, der quasi als Technischer Direktor agieren wird, wenngleich man ihm offiziell einen anderen Titel verliehen hat, "dass wir durch die Anwendung guter Ingenieursarbeit viele der potenziellen Fehler ausmerzen werden, die Formel-1-Teams machen können. Wichtig ist mir auch, ein gutes und zuverlässiges Auto zu haben. Natürlich wäre es schön, wenn es auch schnell ist, aber mir kommt es mehr darauf an, das Potenzial unserer Aerodynamiker sowie der Michelin- und Cosworth-Techniker auf einer zuverlässigen Basis maximieren zu können."
Ziel sei außerdem eine Steigerung während der Saison ? und um das zu erreichen, bedarf es "Führungskraft", so Pocock. Genau die wird er für die ihm berichtenden Ingenieure Ben Agathangelou (Aerodynamik), Malcolm Oastler (Chefingenieur), Mark Gillan (Fahrwerksingenieur), Rob Taylor (Fahrzeugdesign) und Nick Hayes (Cosworth) auch benötigen?
Die neue Struktur bei Jaguar ? undurchsichtiges Chaos oder zukunftsweisend für die neue Generation der Formel 1? Die Geister scheiden sich an dieser Frage. Intern zweifelt jedenfalls niemand an der großen Revolution ? am allerwenigsten Aerodynamiker Agathangelou: "Ich glaube, dass man für ein gutes Team erst die richtigen Leute und danach die entsprechenden Titel suchen sollte. Meiner Ansicht nach ist die traditionelle Methode der Postenbesetzung ? wo Posten frei und anschließend die Leute dafür gesucht werden ? unlogisch."
"Bei uns wird sich jeder Abteilungsleiter um einen spezifischen Bereich des Fahrzeugs kümmern und wir alle berichten dann Ian Pocock, während Malcolm Oastler sich eher auf das pure Ingenieurswesen konzentriert", fuhr er fort. "Solide ist kein besonders aufregendes Wort, aber genau so sollte der R4 sein. Wir brauchen eine Basis, die wir 2003, 2004 und danach weiterentwickeln können. Es ist nicht drin, jedes Jahr wieder ganz von vorne zu beginnen."
Gillan: "Wir brauchen keine Superstars, keine Egos?"
Auch Mark Gillan, früher Renningenieur von David Coulthard und dem Stab von Stardesigner Adrian Newey zugehörig, der vor Ort das technische Geschehen überwachen wird, brach eine Lanze für den nun doch recht konservativen Kurs des Jaguar-Teams: "Wir brauchen keine Superstars, keine Egos. Wir alle sind gute, solide, kompetente und bodenständige Ingenieure und wir halten zusammen. Ich muss sagen, dass wir dadurch eine fantastische Atmosphäre geschaffen haben."
Einen Teamchef im klassischen Sinn kann die neu zusammengewürfelte Truppe aus Milton Keynes freilich nicht vorweisen. Martin Brundle hat den Job angeblich ausgeschlagen, Tony Purnell gilt eher als oberster Boss der Techniker. So kommt es, dass die Position von David Pitchford noch am ehesten jener Rolle entspricht, die bisher Niki Lauda auszufüllen hatte. Im Jahr eins nach dem Österreicher soll also eine komplett neue Führungsetage den lang ersehnten Erfolg einbringen.
Von einem radikalen Vorgehen will Pitchford dennoch nichts wissen: "Letztes Jahr haben wir schmerzlich viel durch den R3 gelernt. Obwohl wir die Saison mit einem nicht zufrieden stellenden Wagen begonnen haben, schufen wir dann doch noch ein Fundament, welches dem Design des R4 in manchen Bereichen zu Gute kam. Viele werden vielleicht sagen, dass wir zurück zu den Wurzeln gehen, aber die Wahrheit ist, dass wir lediglich ein konventionelles, risikoloses und robustes Design ausgetüftelt haben."
Neue Motorengeneration von Cosworth
Auf gänzlich neues Terrain hat man sich lediglich mit dem Motor vorgewagt: Der V10 mit der 90-Grad-Zylinderbank stellt den Beginn einer neuen Triebwerksgeneration dar, die die alte Tradition der 72 Grad endgültig ablöst ? nur noch Jordan und Minardi werden 2003 die alten Cosworths einsetzen. Im Vorjahr wurde sogar mit einem 120-Grad-Prototypen getestet, der dann aber wegen zu starker Vibrationen eingemottet wurde.
"Der CR-5 ist ein komplett neues Design", so Nick Hayes, Manager bei Cosworth, stolz. "Wir haben mit einem weißen Blatt Papier begonnen. Sicher, der CR-5 baut auf einige der Erkenntnisse auf, die wir mit den Aggregaten davor gewonnen haben, aber er ist im Wesentlichen fundamental neu und ganz anders." Die angestrebte Absenkung des Schwerpunkts sei "signifikant", so der Brite: "Das kommt aber nicht nur von der weiteren Zylinderöffnung. Unser Chefingenieur Rob White hat mit seinem Team generell gute Arbeit geleistet."
Bemerkenswert auch: "Es ist ein großer Schritt vorwärts", ergänzte Hayes. "Sehr oft, wenn man einen ganz neuen Motor baut, beginnt man die Saison ein wenig hinter dem Level, das der alte Motor vorweisen konnte. Als Ziel setzt man sich zunächst Leistungsgleichheit. Ich werde natürlich keine genauen Zahlen nennen, kann aber verraten, dass der CR-5 erfreulicherweise schon jetzt wesentlich besser ist als der CR-4."

