• 22.06.2004 17:01

Interview: Renault zieht zur Halbzeit Bilanz

Die Technischen Direktoren für Chassis und Motor analysieren nach neun von 18 Rennen die Saison 2004 und blicken voraus

(Motorsport-Total.com) - Bob Bell, Renaults Verantwortlicher für das Chassis, und Rob White, sein Gegenstück in der Motorenabteilung, lassen die erste Saisonhälfte 2004 aus technischer Sicht noch einmal Revue passieren und blicken gleichzeitig in die Zukunft.

Titel-Bild zur News: Bob Bell

Bob Bell als Zuschauer beim Grand Prix der USA in Indianapolis

Frage: "Ihr seid nach Indianapolis, also zu Halbzeit der Saison, Zweiter in der Konstrukteurswertung. Ist das eine Überraschung?"#w1#
Bob Bell: "Ja. Unser Ziel war eigentlich der dritte Platz, aber wir haben sehr früh realisiert, dass eine Steigerung um eine Position möglich sein könnte. Jetzt wissen wir, wie es sich anfühlt, Zweiter zu sein, und wir wollen sicherstellen, dort auch bleiben zu können, aber es ist ganz wichtig, dass wir den Abstand zu BAR im Auge behalten. Unser Team ist dazu in der Lage, aber wir müssen hart arbeiten. Entwicklungsprogramme, die uns den zweiten Platz ermöglichen sollten, sind schon angelaufen."
Rob White: "Dass wir um den zweiten Platz in der Meisterschaft kämpfen, ist der beste Beweis für die gute Arbeit, die das Team geleistet hat. Bei manchen Rennen hätten wir besser abschneiden können und der Abstand zu unseren Konkurrenten könnte auch größer sein. Ich rechne damit, dass es zwischen Renault und BAR bis Saisonende sehr knapp hergehen wird. Natürlich kann man auch nie ausschließen, dass uns vielleicht McLaren oder Williams Punkte wegnehmen, daher bin ich sicher, dass der Kampf bis ins letzte Rennen gehen wird. Was den RS24-Motor betrifft, hat Viry die richtige Entscheidung getroffen. Wir sind zufrieden mit den Fortschritten seit Melbourne und man muss wohl auch zugeben, dass die Befürchtungen, wonach die Motoren unter dem neuen Reglement extrem zu leiden hätten, auch unbegründet waren."

Standfestigkeit "nur eine der Stärken" von Renault

Frage: "Abgesehen vom Doppelausfall in Montreal war bisher die Zuverlässigkeit eine eurer Stärken. Ist das einer der Schlüssel zum Erfolg?"
Bell: "Die Standfestigkeit ist nur eine der Stärken des Teams, aber wir müssen das unbedingt bis Saisonende beibehalten. Wenn unsere beiden Autos ins Ziel kommen, sind sie unweigerlich auch in den Punkten und kämpfen um Podestplätze. Ich denke aber, dass die Zuverlässigkeit für die Motorenabteilung sicher ein größeres Thema war. Chassisseitig arbeiten wir natürlich hart daran, dass die Autos die Zielflagge sehen, aber es gibt Teile des Chassis', die können brechen und das Auto kann trotzdem noch weiterfahren. Das trifft beim Motor nicht zu, daher kann man beim Chassis eher auf die Jagd nach Performance gehen."
White: "Wir streben immer nach der hundertprozentigen Zuverlässigkeit und danach haben wir uns beim Entwickeln des Motors auch ausgerichtet. Wir haben versucht, alle denkbaren Unzulänglichkeiten schon in der Designphase auszusortieren und gleichzeitig bei den Freigabe- und Testprozeduren sehr rigoros vorzugehen. Zuallererst ist das eine Frage der Disziplin. Jeder Performance-Schritt wird begleitet von eingehenden Studien über die Auswirkungen auf die Zuverlässigkeit."

Frage: "Ihr habt die Motorenarchitektur verändert, trotzdem funktioniert der Motor schon nach einigen Monaten problemlos."
White: "Das ist ein weiterer Beweis, wenn der überhaupt noch nötig ist, dass man Chassis und Motor nicht trennen kann. Selbst wenn du den besten Motor der Welt hast, nützt es dir gar nichts, denn unterm Strich muss das Paket konkurrenzfähig sein. Viry und Enstone arbeiten sehr eng zusammen und die Resultate der ersten Saisonhälfte belegen das. Das ist sicherlich der am meisten befriedigende Aspekt unserer bisherigen Leistungen."
Bell: "Es war eine mutige Entscheidung, die Architektur des Motors zu verändern, aber alle haben einen guten Job gemacht. Viry hat die vorgegebenen Ziele erfüllt, der Motor hält ein ganzes Wochenende und ist gut ins Chassis integriert. Viele im Fahrerlager hatten nicht geglaubt, dass wir es so gut hinkriegen würden, als wir bekannt gegeben haben, dass wir auf 72 Grad umstellen."

Bell: "Man kann Zuverlässigkeit nie als gegeben betrachten"

Frage: "In Montreal gab es einen Doppelausfall, was beweist, dass man selbst mitten in der Saison noch auf die Zuverlässigkeit achten muss, nicht wahr?"
Bell: "Man kann die Zuverlässigkeit nie als gegeben betrachten. Ein Teil mag vielleicht für sieben Rennen perfekt gewesen sein, aber man muss ständig fragen, ob dieses Teil auch das achte Rennen überstehen kann. Die Performance steigt konstant an und das bedeutet, dass die Toleranzen für die mechanischen Teile immer kleiner werden. Da überschreitet man schnell einmal die Grenze. Zum Beispiel kann es passieren, dass das Auto einfacher fahrbar wird, was den Fahrern erlaubt, härter über die Randsteine zu fahren, aber daraus ergeben sich wieder neue Belastungen für die Standfestigkeit und ein Teil könnte unerwartet kaputt gehen. Es ist nicht eine Frage, Probleme zu lösen, sondern eher, sie zu erahnen, sich alles vorzustellen, was möglicherweise passieren könnte. Man muss andauernd alles in Frage stellen."
White: "Wir sind ständig daran, unsere Freigabeprozesse beim Motor abzustimmen. Wenn wir etwas verändern, stellen wir immer sicher, dass jedes einzelne Teil des Motors mit der verbesserten Performance auch zurechtkommt. Das kann schwierig sein, aber nur so erzielt man Fortschritte."

Neun verschiedene Renault-Pakete in neun Rennen

Frage: "Stimmt es, dass das Auto von einem Rennen zum nächsten nie identisch war?"
Bell: "Wäre es einmal gleich geblieben, würde das bedeuten, dass wir entwicklungsseitig zu langsam arbeiten. Die gute Nachricht ist, dass sich das Auto ständig verändert. Auch das ist im Chassisbereich einfacher, denn eine simple aerodynamische Änderung hat keinen unmittelbaren Einfluss auf die Zuverlässigkeit. Dadurch können wir mehr Risiken eingehen und nach Leistung suchen. Außerdem können wir Änderungen schneller durchführen als am Motor. Das Design, die Produktion und das Anbringen der Teile am Auto kann ein Prozess von ein paar Tagen sein."
White: "Wir stecken große Bemühungen in die Analyse der Motorenleistungen in jedem Rennen, was uns ermöglicht, ständig Detailänderungen anzubringen. Erfahrung und Prüfstandstests ermöglichen es uns, den Motor ständig weiterzuentwickeln. Obwohl die Ausbaustufe vielleicht dieselbe bleiben mag, gibt es doch bei jedem Rennen neue Teile."

Frage: "Ihr seid der Ansicht, dass noch mehr Potenzial im Auto steckt. Wie geht es diesbezüglich mit der Weiterentwicklung voran?"
Bell: "Die Fahrer fühlen sich im diesjährigen Auto noch nicht so wohl wie letztes Jahr im R23. Wir haben zwar schon signifikante Fortschritte in diesem Bereich gemacht, aber das Problem ist noch nicht komplett gelöst und ein Entwicklungsprogramm ist gerade in der Pipeline. Wir müssen verstehen, warum die Fahrer nicht 100 Prozent aus dem Auto herausholen können. Das ist wichtig für die Zukunft. Davon wird aber das normale Entwicklungsprogramm nicht beeinflusst. Für Budapest ist eine gravierende Chassis-Evolutionsstufe geplant, auch wenn wir diese nicht als 'B'-Spezifikation bezeichnen werden. Andere Änderungen kommen schon früher, zum Beispiel eine verbesserte Radaufhängung für Magny-Cours. Natürlich werden wir auch ein spezielles Low-Downforce-Paket in Monza verwenden."
White: "Auch motorenseitig haben wir Verbesserungen geplant. Zwischen jetzt und Sao Paulo sind sowohl größere als auch kleinere Schritte vorgesehen. Zum Beispiel werden wir die Zylinderköpfe zwischen jetzt und dem Saisonende umgestalten. Wir wollen das Entwicklungspotenzial des RS24 unbedingt voll ausschöpfen."