• 29.05.2005 21:08

Interview mit Red-Bull-Sportchef Helmut Marko

Helmut Marko über das Rennen am Nürburgring, die Stärken und Schwächen der Fahrer und die Perspektiven für nächstes Jahr

(Motorsport-Total.com) - Wenige Stunden nach dem vierten Platz von David Coulthard am Nürburgring nahm Helmut Marko, Motorsportbeauftragter von Red Bull und somit einer der Masterminds des österreichisch-britischen Formel-1-Teams, im Studio von 'Sport am Sonntag' Platz, wo er Fragen zu aktuellen Themen mit Red-Bull-Bezug beantwortete. Dank der freundlichen Genehmigung des 'ORF' kann das Interview auch bei 'F1Total.com' nachgelesen werden.

Titel-Bild zur News: Helmut Marko

Helmut Marko sprach heute bei 'Sport am Sonntag' über das Red-Bull-Team

Frage: "Herr Marko, David Coulthard wurde heute Vierter, Vitantonio Liuzzi Neunter. Sind Sie zufrieden mit dem Ergebnis?"
Helmut Marko: "Generell ja, aber: Coulthard war auf sicherem Podestkurs. Dann kam die Durchfahrstrafe. Wir sind uns nicht sicher, ob es sein Fehler war oder ob mit einer technischen Programmierung etwas nicht gestimmt hat, aber er war mit einem Minardi in der Boxenausfahrt, und er wurde vorher schon von einem Minardi - ich glaube, es war Albers - aufgehalten. Albers hat daraufhin eine Durchfahrstrafe erhalten. Das hat ihn etwa fünf Sekunden gekostet. Deswegen wollte Coulthard vor dem Minardi bleiben, und deshalb drückte er den Knopf für die Freigabe des Geschwindigkeitsbegrenzers zu früh. Dadurch war er um eineinhalb km/h zu schnell."#w1#

Podium wäre für Coulthard locker möglich gewesen

"So eine Durchfahrt dauert zwischen 18 und 20 Sekunden, aber er war am Ende nur zwölf Sekunden hinter Barrichello. Bei Liuzzi ist es ähnlich: Die Boxenstopps haben nicht ganz hingehauen. Einmal ist er nicht auf der Linie stehen geblieben. Jedenfalls hat er bei seinen zwei Boxenstopps drei Plätze verloren. Mit dem neunten Platz hat man natürlich keine Freude."

Frage: "Warum passiert das einem Routinier wie David Coulthard, den Knopf zu früh auszulassen?"
Marko: "Ich glaube, das ist aus der Situation heraus, dass er von einem Minardi aufgehalten wurde, entstanden, denn wenn der Minardi vor ihm hinausgegangen wäre, hätte er im Kurvengeschlängel in der Mercedes-Arena wieder drei bis vier Sekunden verloren. Da ist er halt noch genug Racer, da geht dann die Emotion mit einem durch."

Frage: "Was war schlussendlich ausschlaggebend dafür, dass heute noch einmal Vitantonio Liuzzi anstelle von Christian Klien gefahren ist?"
Marko: "Dafür gibt es mehrere Gründe. Wir wollen diesen Rhythmus, in dem wir die Fahrerwechsel durchführen, etwas länger gestalten. Das ist für die Fahrer besser und auch für das Team, denn gleichzeitig mit dem Fahrer wechselt auch eine komplette Ingenieurscrew - der Fahrwerksingenieur, der Dateningenieur, drei oder vier Leute insgesamt. Das sind genau wie die Fahrer junge Leute, die auch Routine sammeln sollen. Da haben wir schon gesehen, dass drei Rennen schon zu wenig sind - vor allem im Fall Liuzzi, der ja das erste Jahr fährt und nicht wie Klien, der schon ein Jahr fährt, alle Strecken kennt. Klien kennt das ganze Prozedere einfach besser."

Qualifying einer der Gründe für verspäteten Fahrerwechsel

"Außerdem muss der Fahrer, der neu kommt, als Erster ins Qualifying. In Europa gibt es mehr Rahmenrennen - am Nürburgring zum Beispiel die GP2, den Porsche-Supercup und die Formel BMW. All die fahren vor dem Qualifying, nehmen den griffigen Gummi weg und bringen jede Menge Dreck auf die Strecke. Das lässt sich schwer quantifizieren, ist aber Minimum eine Sekunde bis maximal zwei Sekunden Nachteil, wenn du als Erster hinausgehst."

"Das Qualifying ist leider noch eine unserer Schwächen. Wir kommen im Rennen ganz gut mit, aber im Qualifying sind wir in der Relation zu weit hinten. Daran müssen wir arbeiten. Wenn wir uns aber mit zu häufigen Wechseln selbst einen Nachteil schaffen, macht das nicht viel Sinn."

Frage: "Wie waren Sie mit der Performance von Vitantonio Liuzzi in seinen vier Rennen zufrieden?"
Marko: "Die Leistungen waren unterschiedlich. Imola war für sein erstes Rennen sehr gut. Er ist dort die siebentschnellste Rundenzeit gefahren. Die letzten zwei Rennen, Barcelona und Monte Carlo, waren eher schwach, und am Nürburgring war er eigentlich gut. Im Qualifying machte er einen Fehler, aber bis dahin lag er fünf Zehntel vor Coulthard, und im Rennen verlor er im ersten Stint zu viel Zeit."

Liuzzi war nach Monaco laut Marko "komplett down"

"Er hat noch Schwächen, wenn er viel Benzin im Tank hat, aber das sind eben solche Sachen, wenn man im ersten Jahr ist. So kristallisiert sich heraus, wo seine Schwächen sind, aber wir geben ihm auch die Chance, diese Schwächen auszumerzen. Er war nach Monte Carlo wirklich komplett down, und jetzt am Nürburgring hat er sich erfangen. Das ist für ihn und für das gesamte Team angesichts des Wechsels eine wesentlich bessere Situation."

Frage: "Stimmt es, dass Sie im Management von Vitantonio Liuzzi tätig sind und deshalb ein bisschen mehr auf ihn schauen als auf die anderen Fahrer?"
Marko: "Ich bin für Liuzzi genauso tätig wie für ungefähr 20 andere Fahrer auch. Das wird nur geredet, weil Klien ein Österreicher ist und Liuzzi ein Italiener. Ich will Chancengleichheit für alle haben, und der große Zusammenhang wird oft übersehen, denn es kommt ja schon der Nächste daher aus dem Juniorteam, nämlich Scott Speed. Alle werden gleich behandelt. Wir haben ein wahnsinnig starkes Juniorteam. Die Aufgabe ist, diese Fahrer an die Formel 1 heranzuführen. Wer von diesen Leuten die beste Performance bringt, wird gefördert."

"Klien hatte in seinem ersten Jahr auch Probleme"

"Ein Klien hatte in seinem ersten Formel-1-Jahr aber auch Probleme, das muss man berücksichtigen. Gerade der Nürburgring war eines seiner weniger guten Rennen. Wir sind eigentlich davon ausgegangen, dass die Jungen viel schneller an Coulthard dran sein würden, aber das ist leider nicht der Fall. Coulthard ist derjenige, der für uns die Kastanien herausholt. Es gibt ein Aufflackern, aber im Rennen ist Coulthard besser. Liuzzi hat ihn zwar in Imola geschlagen, aber da war an Coulthards Auto nicht alles okay. Sonst ist leider keiner von den Jungen im Rennspeed mit Coulthard mitgekommen."

Frage: "Wie lange wird Christian Klien ab Kanada im Auto sitzen?"
Marko: "Zumindest vier Rennen, würde ich sagen."

Frage: "Könnten es auch mehr werden?"
Marko: "Es könnten auch mehr werden. Wir haben am Mittwoch in Silverstone Scott Speed im Auto, und danach werden wir uns entscheiden, ob Speed die zwei Überseerennen in Indianapolis und Montreal als dritter Fahrer fährt. Bei uns herrscht generell eine Fahrerrochade, denn wir wollen die Fahrer einfach im Auto sehen. Da sehen wir, wo ihre Qualitäten liegen."

Fahrer für 2006 sollen im August präsentiert werden

Frage: "Stimmt es, dass man überlegt, den Vertrag mit David Coulthard schon bald für ein weiteres Jahr zu verlängern?"
Marko: "Wir haben einen Zeitplan. Bis April sollten die Motoren festgelegt werden, was passiert ist. Wir wollen bis Ende Juni die Reifenfrage geklärt haben und bis spätestens Ende August die Fahrerfrage."

Frage: "Wohin tendieren Sie denn in der Reifenfrage im Moment?"
Marko: "Wir schauen uns natürlich genau die Performance von Bridgestone an. Es würde Sinn machen, mit ihnen zusammenzuarbeiten, denn wir wollen mit Ferrari eine enge Partnerschaft und Kooperation haben, und der Reifen spielt da eine entscheidende Rolle. Wenn wir auf einem anderen Reifenfabrikat sind, sind die Daten nur bedingt austauschbar und verwertbar. Das würde für Bridgestone sprechen. Normalerweise haben sie sich immer wieder erholt, aber wir würden nur wechseln, wenn ein deutlicher Aufwärtstrend gegeben sein sollte. Die Variante Michelin ist aber genauso offen."