• 16.01.2009 19:44

Interview: Dennis über Sparzwang und Simulation

McLaren-Chef Ron Dennis gab nicht nur seinen Rücktritt bekannt, sondern schilderte interessante Aspekte der Arbeit von FOTA und Simulationscomputern

(Motorsport-Total.com) - Ron Dennis hat Woking heute gleich zweifach erschüttern lassen. Zunächst präsentierte seine McLaren-Mercedes-Mannschaft mit viel Optimismus den neuen MP4-24, mit welchem man in der neuen Saison beide Titel anstrebt. Nur wenige Minuten später enthüllte der 61-Jährige, dass er nur noch bis Ende Februar als Motor des Formel-1-Teams agiert. Martin Whitmarsh wird ab März neuer Teamchef des britischen Rennstalls. Im Rahmen der Präsentation in Woking stellte sich Dennis den Fragen der Journalisten.

Titel-Bild zur News: Ron Dennis (Teamchef)

Ron Dennis wird Ende Februar für Martin Whitmarsh Platz machen

Frage: "Ron, die Beziehung zu Mercedes-Benz hat mit drei Fahretiteln und einem Konstrukteurstitel bereits viele Früchte getragen. Wo liegen die Stärken dieser Beziehung?"
Ron Dennis: "Ich glaube, man kann die Stärke am besten beschreiben, wenn man sich die Tatsache ansieht, dass wir immer die gleichen Partner auf unseren Autos haben. Die meisten sind seit vielen, vielen Jahren dabei. Wir sind ganz nah daran, unsere Partnerschaft mit 'Hugo Boss' zu verlängern. Wir werden dann 32 Jahre lang ein Sponsoring-Abkommen haben. Ich glaube, dass ist ein Weltrekord im Sport, nicht nur allein in der Formel 1 oder in unserem Team."#w1#

"Es ist nicht selten, dass gewisse Marken für zehn Jahre oder mehr auf den Autos bleiben. Relevant wird es dann, wenn die wirtschaftlichen Umstände die Firmen dazu bringe, über ihr Engagement in der Formel 1 nachzudenken. Dann braucht es Langlebigkeit, Durchhaltevermögen und das Verständnis dafür, sich heil durch schwierige Zeiten zu bringen. Gerade jetzt haben wir solch schwierige Zeiten. Wir haben aber das Glück, dass wir von sehr starken Firmen unterstützt werden. Wir wollen ihnen im kommenden Jahr noch mehr Gegenleistung dafür bieten."

Hamilton als Dominator der kommenden Jahre?

Ron Dennis und Lewis Hamilton

Mission erfüllt: Lewis Hamilton holte sich den Titel im McLaren-Mercedes Zoom

Frage: "Sie wissen wie kaum ein anderer, wie man Champion wird und wie sich diese Jungs dadurch verändern. Wie schätzen sie dies bei einem Charakter wie Lewis Hamilton ein? Wird er den Titel als Grundlage für eine Zeit der Dominanz nutzen können?"
Dennis: "Ich möchte da mit einem Bild antworten: Wenn du Bergsteiger bist und den Mount Everest bezwungen hast, dann hast du anschließend keine Angst mehr davor, es noch einmal zu tun. So etwas kannst du dann. Aber du suchst dir andere Wege zum Ziel. Die Regeländerungen in diesem Jahr könnten so etwas ähnliches sein, wie bei einem Bergsteiger eine andere Route für den Aufstieg. So muss man Lewis betrachten. Er wird sich auf Bereiche konzentrieren, wo er sich noch verbessern kann."

"Die mögliche Überforderung der Fahrer könnte in diesem Jahr ein Thema sein. Es gibt unglaublich viele Funktionen, die unter der Kontrolle des Fahrers sind. Das wird eine riesige Herausforderung für die Piloten, mit all dem klarzukommen, und gleichzeitig aus diesen Möglichkeiten auch noch das Beste zu machen. Bei KERS muss man eigentlich nur einen simplen Knopf betätigen, aber es wird derjenige am meisten profitieren, der das am besten einsetzt - nicht nur auf der Geraden."

"Das muss man dann in Zusammenhang mit vielen anderen Kontrollmöglichkeiten sehen, wie zum Beispiel der Bremsbalance, die von den neuen Regeln betroffen ist. Darauf wird sich Lewis konzentrieren. Er ist ebenso ein Typ wie Heikki, der die Vorgänge versteht. Die Ingenieure erklären es ihm und er profitiert davon, dass er der absolut Beste in diesem Bereich ist. Gleichzeitig behält er natürlich das Talent, die Entschlossenheit und all das, was ihn im vergangenen Jahr zum Champion gemacht hat. Er wird in diesem Jahr noch mehr Rüstzeug für Siege haben und er hat einen erstklassigen Teamkollegen. Man sollte Heikki nicht unterschätzen."

FOTA als Denkfabrik für neue Lösungen

"Die Kosten in der Formel 1 zu senken, ist nicht ganz einfach." Ron Dennis

Frage: "Es gibt derzeit eine spürbare Rezession, vor allem in der Automobilindustrie. Der FIA-Präsident Max Mosley will weitere Sparmaßnahmen verabschieden. Was haben sie im Bereich Kostensenkung bisher getan?"
Dennis: "Es gibt drei wichtige Gruppen in der Formel 1: Die FIA, die FOM als Rechteinhaber und die Teams. Die Teams sind nun in der FOTA organisiert. Erstmals in der Geschichte der Formel 1 sprechen die Teams in dieser Form mit einer Stimme. Die Ziele der FOTA sind ganz klar: Sie soll die Interessen der Teams vertreten und die Herausforderungen der aktuellen Situation im Grand-Prix-Sport meistern."

"Die Teams haben es begrüßt, dass das Thema Kostensenkung in Angriff genommen wurde. Die Kosten in der Formel 1 zu senken, ist nicht ganz einfach, denn es ist ein harter Sport. Man muss also Maßnahmen finden, die sich nicht auf ein Team mehr auswirken als auf andere. Es müssen Dinge sein, die bei allen Teams gleichermaßen kontrolliert werden können. Ein Beispiel: Das Testverbot ist recht einfach zu kontrollieren. Die Änderungen im Bereich Aerodynamik sind da schon schwieriger, aber es ist machbar."

"Die teifgreifenden Änderungen der Kosten bei Motor und Getriebe haben wir durch verlängerte Laufzeiten geregelt. Außerdem haben wir verstanden, dass wir kleine Teams mit einem kosteneffizienten Programm in diesen Bereichen helfen müssen. Die Kosten für die Renneinsätze zum Beispiel bei McLaren und Mercedes-Benz liegen im Bereich Motor und Getriebe inklusive KERS, trotz der Sparmaßnahmen bei über 100 Millionen Euro."

"Ein kleines Team kann diesen Aufwand jetzt mit rund 6,5 Millionen Euro bezahlen. Man kann also sehen, dass die Hersteller erkannt haben, dass wir die Formel 1 bezahlbar machen müssen. Aus meiner Sicht muss man aber unterscheiden zwischen teilnehmen und siegen wollen. Wichtig ist, dass die Teams teilnehmen können. Wenn wir denen nun die gleichen Motoren und Getriebe für 6,5 Millionen Euro geben, bei all dem Aufwand, den wir bei Entwicklung betrieben haben, dann kann man deutlich erkennen, dass die großen Teams den kleinen Teams sehr zur Seite stehen. Und das ist nur ein Beispiel."


Fotos: Launch des McLaren-Mercedes MP4-24


"Es herrscht breite Einigkeit. Jeder Schritt der FOTA ist wohlüberlegt und dokumentiert, abschließend als einzelne Entscheidung unterzeichnet. Wir sammeln eine ganze Reihe von Maßnahmen, dokumentieren sie präszise, durchdenken sie noch einmal und führen sie dann sauber durch - als FOTA. Als nächsten Schritt schauen wir uns die Ergebnisse der Marktforschung an, die von den Teams finanziert und in Auftrag gegeben wurde. Wir werden uns ganz genau anschauen, wie wir die Formel 1 besser machen können. Es gibt nichts, was wir uns nicht anschauen."

"Wir sehen uns das Qualifying an, das Format der Rennen - einfach alles. Aber wir tun das auf Grundlage sauberer Marktforschung und nicht auf Grundlage irgendeines intuitiven Gefühls. So haben wir auch die Sparmaßnahmen zusammengetragen. Sie sind das Ergebnis eine zielgerichteten Programmes, wobei viele Mitglieder aller Teams daran beteiligt waren. Wenn man zehn Teams hat, muss man mit 100 Leuten sprechen, die in irgendeiner Weise mit Kosten oder Kostenkontrolle zu tun haben, um die Sparpotenziale zu finden."

"Ich verstehe, dass die FIA immer mehr, mehr und mehr will - egal, um was es gerade geht. Wir bewegen uns aber in einem Umfeld, wo alle Veränderungen wohlüberlegt und durchdacht sein sollten. Man kann nicht einfach mit einer tollen Idee daherkommen und sie spontan umsetzen. Es muss wissenschaftlich und wirtschaftlich überlegt werden. Genau dies haben wir getan. Ich muss sagen, dass einige Leute, die als Leiter von Gruppen fungiert haben, einen hervorragenden Job gemacht haben."

Die Entwicklung eines neuen Boliden

McLaren-Mercedes MP4-24

Der neue Entwurf aus der McLaren-Hightech-Schmiede in Woking: MP4-24 Zoom

Frage: "Beschreiben sie uns die Herausforderungen, die das neue Regelwerk für ihr Unternehmen gebracht hat."
Dennis: "Wie finde ich eine kurze Antwort? (lacht) Das größte Problem ist das Grundkonzept des Autos. Wenn du ein falsches Konzept verfolgst, bist du in deinem nicht konkurrenzfähigen Auto gefangen. Man muss eine ganze Reihe von Faktoren bedenken: Radstand, Gewichtsverteilung, fundamentale Aerodynamikwirkung, wie hoch muss das Fahrzeug in Höhe der Vorderräder sein, wo trifft das Verbot von aerodynamischen Elementen. Man muss sich so viele Gedanken darüber machen und alles muss innerhalb des erlaubten Rahmens überprüft werden."

"Das ist ein riesiges Programm. Wie umfangreich ein solches Programm ist, belegt die Tatsache, dass wir jetzt schon seit zwei Monaten am Auto für 2010 arbeiten. Das könnte ihnen als Anhaltspunkt dienen. Die Regeln für 2010 sind ganz ähnlich wie in diesem Jahr. Man kann sich also vorstellen, dass wir vor rund 18 Monaten mit der Arbeit an der grundsätzlichen Fahrzeugphilosophie und dem Konzept des Wagens beginnen mussten."

"Wir arbeiten nach einem Matrix-System bei uns im Unternehmen, welches der Strategie von Martin Whitmarsh entsprungen ist. Es wurde vor gut fünf Jahren bei uns eingeführt und brauchte eine Zeit lang, bis es sich innerhalb des Unternehmens durchgesetzt hatte. Nun arbeitet das System aber effizient und das erlaubt uns eine frühe Sicht auf die Richtung, in welche sich das Unternehmen technoloigisch in Zukunft bewegen sollte."

Arbeitsplatzabbau bei McLaren-Mercedes?

"Bernie war aber beim letzten Mal in Stuttgart dabei, also würde ich jetzt nicht allzu viel dort hinein interpretieren." Ron Dennis

Frage: "Die Kostensenkung hat zur Konsequenz, dass man weniger Motoren und weniger Tests haben wird. Bedeutet dies gleichzeitig, dass sie auch weniger Personal benötigen? Und was halten sie von dem heutigen Treffen von Bernie Ecclestone und Luca di Montezemolo?"
Dennis: "Zunächst zur zweiten Frage: Bernie kann nicht an zwei Orten gleichzeitig sein. Er hatte die Einladung aus Italien eher als unsere aus Woking. Bernie war aber beim letzten Mal in Stuttgart dabei, also würde ich jetzt nicht allzu viel dort hinein interpretieren."

"Bernie hat sich seine Medaillen-Idee fest in den Kopf gesetzt und hat diese Idee lautstark propagiert. Der Kern seiner Idee ist ja eigentlich, dass der Pilot mit den meisten Siegen auch den Titel gewinnen sollte. Wir weisen diesen Ansatz nicht von der Hand. Falls es soweit kommt, dann werden wir eben dafür sorgen, dass wir genug Rennen für den Titel gewinnen. Unser Ziel war es, auf Grundlage des Punktesystems von 2008 möglichst viele Zähler und somit den Titel zu holen. Und genau das haben wir geschafft."

"Bezüglich der Frage zu Sparmaßnahmen und den damit verbundenen Veränderungen beim Personal lautet die Antwort eindeutig: Ja. Aber ich werde mir gemeinsam mit Martin darüber noch Gedanken machen, wenn wir alle Auswirkungen auf die gesamte Gruppe einschätzen können. Wir hatten immer schon die Philosophie, die Leute innerhalb der Gruppe auf neue Posten zu setzen. Natürlich nur dann, wenn sie die entsprechende Qualifikation vorweisen."

"Wir wollen trotz aller schwierigen Umstände als Gruppe weiter wachsen. Wir wollen profitabler werden und den Teilhabern mehr Profit bringen. Das ist ein nachvollziehbares Ziel, aber in schwierigen Zeiten musst du alle Dinge ganz genau betrachten. Es gibt eine hohe Arbeitslosigkeit in vielen, vielen Ländern dieser Erde."

"Es ist eine Herausforderung, der wir uns aber stellen möchten. Unser Ansatz ist es, die Leute wann immer möglich innerhalb der Firmengruppe anderswo einzusetzen. Wir müssen allerdings in unsere Überlegungen mit einbeziehen, dass wenn wir kein Testteam mehr haben, wir die Leute irgendwo unterbringen müssen, oder wir müssen uns andere Lösungen suchen."

Simulation als neue Teststrecke?

"Die Simulation besteht nicht nur aus einem Simulator." Ron Dennis

Frage: "Man wird das Auto in diesem Jahr während der Saison nicht auf der Teststrecke weiterentwickeln können. Wie wird der neue Prozess also ablaufen? Wird der Fortschritt dadurch langsamer oder schneller?"
Dennis: "Um ihnen mal einen klaren Einblick zu geben: Wahrscheinlich 95 Prozent und mehr aller Entwicklungsstufen des Autos sind im vergangenen Jahr das Ergebnis der Forschung, Simulation und Entwicklung in diesen vier Wänden gewesen. Streckentestes dienen nur zum Abgleich der Ergebnisse und zur Verbesserung der Fahrzeugbalance. Wir hoffen wie alle anderen Teams auch, dass wir dafür an Freitagen genügend Zeit haben werden."

"Die Simulation besteht nicht nur aus einem Simulator. Die Simulation ist vielmehr das Ergebnis von Computeranalyse und anderen Software-Tools, die das Verhalten des Fahrzeugs verständlich machen. Man kann damit die verschiedenen Werte, die im Fahrzeug aufgezeichnet wurden, wie zum Beispiel Aerodynamikdaten und Kräfte darstellen, um letztlich eine Erhöhung der Kurvengeschwindigkeiten anzuvisieren."

"Es geht darum, diese Daten zu verstehen und das Gesamtwerk schließlich mit Computerprogrammen zu simulieren. Jeder hat schon einmal von CFD gehört, was man zur Analyse der Aerodynamik verwendet. Aber es gibt noch viele weitere Tools und Programme, die uns bei der Entwicklung unseres Autos helfen können. Der Simulator spielt vielleicht eine große Rolle, aber er ist nicht das einzige Tool."

"Wenn man einen Computer mit schlechten Daten füttert, dann wird er schlechte Ergebnisse ausspucken. Das ist auf jeden Fall eine korrekte Aussage. Wichtiger ist aber, dass die menschlichen Fähigkeiten entsprechend eingesetzt werden. Es geht so viel mehr um das Hirn und die Komptenez der Leute, die solche Tools benutzen. In diesem Bereich ist McLaren besonders gut aufgestellt."

"Ich würde uns nicht als Pioniere in diesem Bereich bezeichnen wollen, weil diese Techniken auch in Luftfahrt um Raumfahrt zum Einsatz kommen. Die Simulation ist nicht neu. Aber wir haben dies in der Formel 1 aggressiver eingesetzt als irgendjemand zuvor. Hoffentlich wird uns das einen Vorteil in der kommenden Saison bescheren."

"Viele Teams waren regelrecht geschockt, als sie entdeckt haben, wie viel sie mit dem Testverbot einsparen können. Wir befinden uns in der glücklichen Lage, dass wir im Bereich Simulation schon sehr gut aufgestellt sind, wenn diese Technik eine ganz wichtige Rolle einnimmt."