• 08.07.2016 22:01

  • von Dieter Rencken & Daniel Halder

Hinter den Kulissen: So arbeiten Formel-1-Logistik-Teams

Von Spielberg nach Silverstone: Bei Williams waren 28 zusätzliche Mitarbeiter und 14 Trucks nötig, um das Motorhome über 1600 Kilometer und den Ärmelkanal zu bringen

(Motorsport-Total.com) - Mit 21 Rennen ist der Formel-1-Kalender 2016 vollgestopft wie niemals zuvor. Von Mitte März bis Ende November hetzen Teams, Fahrer und Tross rund um die Welt - nur die dreiwöchige Sommerpause im August bietet etwas Zeit zum Durchschnaufen. Die große Zahl an Rennen bringt alle Beteiligten an die Belastungsgrenze - meist liegt der Fokus dabei auf den Piloten, die permanent Top-Leistungen abliefern müssen.

Titel-Bild zur News: Williams Motorhome

108 Tonnen wiegt das Williams-Motorhome, das mit dem Team rund um die Welt reist Zoom

Eine besondere Herausforderung ist der Grand-Prix-Marathon aber in erster Linie für die Mitarbeiter der Logistikabteilungen der Teams. Sie sind in diesen Wochen ständig am Limit, arbeiten nahezu Tag und Nacht. Und im Gegensatz zu den Fahrern fällt ihre Entlohnung dafür nicht gerade fürstlich aus. 'Motorsport-Total.com' hat sich exklusiv mit Andrew Taylor unterhalten. Er ist für die Logistik des Williams-Motorhomes verantwortlich und gibt einen spannenden Einblick, wie die Arbeiten im Hintergrund ablaufen.

Vier Grands Prix steigen allein in diesem Juli - dabei gibt es jeweils zwei direkt aufeinanderfolgende Rennwochenenden. Gerade diese Back-to-Back-Rennen sind für die Logistiker eine nur mit irrsinnigem Aufwand zu bewältigende Aufgabe. Ohne eine bis ins Detail ausgefeilte Planung und zusätzliche Mitarbeiter würde der Formel-1-Zirkus zum Erliegen kommen. "Back-to-Back-Rennen sind immer kompliziert", sagt Taylor - und in diesem Jahr gibt es davon ganze sechs Stück!

"Back-to-Back-Rennen": Wettlauf gegen die Zeit

In dieser Woche stand innerhalb von nur drei Tagen der Umzug vom österreichischen Spielberg nach Silverstone im Herzen Englands an. Das Williams-Team musste sein gesamtes Material mit 19 Trucks über die Distanz von rund 1600 Kilometer schaffen. 14 Trucks benötigt es allein für den Transport des Motorhomes und dessen Zubehör, fünf weitere für das Rennteam. Besondere Schwierigkeit: Auf dem Weg von Österreich nach Großbritannien ist nicht nur eine ungewöhnlich lange Distanz auf der Straße zu bewältigen, das Equipment muss auch noch über den Ärmelkanal - was noch mehr Zeit kostet.

Bei Williams musste also ein Rädchen ins andere greifen, um am Donnerstagmorgen in Silverstone (zur Strecken-Vorstellung) alles wieder rechtzeitig in Betrieb nehmen zu können. "Als erste Maßnahme haben wir die Anzahl unserer Fahrer aufgestockt", so Taylor, der den Transport des Motorhomes verantwortet. "Normalerweise besteht mein Team aus 14 Mitarbeitern. Pro Truck ein Fahrer. In dieser Woche fuhren andere Leute als gewöhnlich - und zusätzlich haben wir eine weitere Person pro Truck bereitgestellt, weil ein Fahrer die Zeit überschritten hätte, die er am Stück fahren darf." Zwei Tage lang wurde rund um die Uhr gefahren.


Fotostrecke: Formel-1-Strecken 2016: Silverstone

Zuhause in England standen nochmals 14 Mitarbeiter Gewehr bei Fuß, um die Trucks in Empfang zu nehmen und das letzte Stück bis nach Silverstone zu pilotieren. "Einen Truck mussten wir in Calais in Frankreich abholen, weil es zu Verzögerungen kam, ansonsten hat alles reibungslos funktioniert", verrät Taylor. Doch es benötigte nicht nur 28 Fahrer mehr als gewöhnlich - auch bei der Planung der Route waren besondere Maßnahmen notwendig.

Grenzkontrollen und Gefahrgut-Transport als Herausforderungen

"In der Regel fahren unsere Trucks paarweise von einem Ziel zum nächsten. Aus Sicherheitsgründen haben wir sie diese Woche gesplittet", so der Brite. Die 14 Trucks fuhren unterschiedlich los und nahmen drei verschiedene Routen von Spielberg nach Silverstone. "Manche konnten nicht durch den Eurotunnel, weil sie Benzin transportierten. Sie mussten die Fähre nehmen. Außerdem wollten wir kein Risiko eingehen, falls auf einer Strecke etwas schiefläuft", schildert Taylor.

Ein weiterer "Zeitfresser": Kontrollen und Hürden an den Grenzen! "Oft ist das kompliziert, weil wegen des Gefahrguts viel Papierkram zu erledigen ist", erzählt der Williams-Verantwortliche. Obwohl es diese Woche quer durch die Europäische Union ging, ist es für die Formel-1-Trucks nicht anders als für normale Reisende. "Manchmal wird man gestoppt und durchgecheckt. Jedes Land hat unterschiedliche Transport-Bestimmungen, das muss man einplanen."


Fotos: Williams, Großer Preis von Großbritannien


Und so kann es immer zu Verspätungen kommen, die das komplette Team in Schwierigkeiten bringen können. "Stell dir vor, dass der erste Truck, den du zum Aufbau benötigst, nicht ankommt. Dann hast du ein echtes Problem", stöhnt Taylor. Um dieses Risiko zu minimieren, griff die Williams-Logistikabteilung am Red-Bull-Ring tief in die Trickkiste. Anders als normalerweise üblich, wurde das Motorhome von hinten nach vorne abgebaut. "So konnten wir sicherstellen, dass die Teile, die wir als erstes beim Aufbau brauchen, auch zuerst in Silverstone ankommen."

Logistik-Teamwork: Hand in Hand mit Mercedes und Ferrari

Acht bis zehn Stunden benötigen die 14 Stammkräfte der Abteilung gewöhnlich für den Abbau des Motorhomes, noch etwas länger dauert der Aufbau. "Durch diesen Trick konnten wir weitere sieben bis acht Stunden einsparen", erzählt der Logistikmanager und lobt die Zusammenarbeit aller Formel-1-Teams in diesem Bereich. Die jeweiligen Hospitalitys der Teams stehen an den Strecken Seite an Seite - Absprachen sind dringend nötig.

Während Williams beim Abbau in Spielberg zunächst im hinteren Bereich des Motorhomes beschäftigt war, konnten die "Nachbarn" Ferrari und Mercedes ungestört vorne beginnen. "Wir stehen alle vor denselben Schwierigkeiten und kämpfen mit denselben Problemen. Da ist kein Raum für Konkurrenzdenken. Wenn wir zusammenarbeiten, ist es für alle einfacher. Dass das funktioniert, ist das Schöne an meinem Job", schwärmt Williams-Mann Taylor.

Mehr Trucks fürs Motorhome als fürs Rennteam

Wie schwer die Arbeit ist, lässt sich beim Blick auf die Zahlen und Fakten nur erahnen: Stolze 108 Tonnen wiegt beispielsweise das Williams-Motorhome. Sein Hauptteil besteht aus zehn Teilen - jedes Teil benötigt einen eigenen Truck. Für das Motorhome setzt die Mannschaft aus Grove damit doppelt so viele Trucks ein wie für das eigentliche Rennteam! "Das mag seltsam klingen, aber wir reden hier vom Zuhause unseres Teams und unserer Partner. Unsere Sponsoren gehen hier ein und aus - und unsere Mitarbeiter arbeiten sehr hart. Es ist sehr wichtig, dass sie sich wohlfühlen", beschreibt Taylor die Anforderungen an ein modernes Formel-1-Motorhome.

"Wir reden vom Zuhause unseres Teams und unserer Partner. Unsere Sponsoren gehen hier ein und aus - und unsere Mitarbeiter arbeiten sehr hart. Es ist wichtig, dass sie sich wohlfühlen." Williams-Logistiker Andrew Taylor

Bei der erwähnten Belastung bekommt man eine Vorstellung, wie wichtig es ist, dass auch die Logistikabteilungen auf ihre Mitarbeiter Acht geben. Normalerweise treffen die Williams-Logistiker zwei Tage vor dem eigentlichen Aufbau an der Strecke ein, haben dann einen Ruhetag und einen weiteren Tag zur Überprüfung und Wartung der Materialien, ehe am dritten Tag der eigentliche Aufbau beginnt. In einer Woche zwischen Back-to-Back-Rennen ist dies natürlich nicht möglich - zusätzliches Personal ist vonnöten.

"Unser Stammpersonal ist diesmal von Österreich nach England geflogen, damit sie ihre Arbeit hier ausgeruht angehen können", so Taylor als Begründung, weshalb diesmal ein 42-köpfiges Extrateam für den Transport des Williams-Motorhomes zuständig war. Und sollte doch mal etwas schiefgehen, sind die Logistikmanager natürlich auf alle Eventualitäten vorbereitet. "Der größte Alptraum ist, dass ein Truck verloren geht, etwa durch einen Unfall."


Fotostrecke: Die Formel-1-Motorhomes

In diesem Fall greift ein detaillierter Notfall-Plan, der immer wieder eingeübt wird. "Wir können dann auch nur ein Stockwerk aufbauen. Erdgeschoss und Obergeschoss unseres Motorhomes sind im Ausnahmefall einzeln funktionsfähig", so der Logistikchef, für den trotz aller Herausforderungen der Spaß an der Arbeit nicht zu kurz kommen darf. "Am lustigsten ist es immer, wenn wir im Dunkeln oder bei Regen aufbauen dürfen. Man kann fast die Uhr danach stellen, dass die Sonne scheint, sobald wir fertig sind. Wir haben dann immer jede Menge Spaß", verrät der Williams-Verantwortliche schmunzelnd.