Trotz frittierter Mars-Riegel und im Schlamm absaufender Camper: Warum Silverstone die besten Fans und Kurven hat
Nur in zwei Ländern gab es seit der Einführung der Formel 1 im Jahre 1950 in jeder Saison einen Grand Prix: in Italien und in Großbritannien. Passend, dass der zweite im "Home of British Motor Racing" einen Stammplatz gefunden hat. Die Rede ist vom Ex-Flugplatzkurs in Silverstone, der heute zu den letzten Mutstrecken im Kalender zählt.
Ihr Debüt feierte auch die Strecke schon 1950. Damals musste sich der Royal Automobile Club das Armee-Flugfeld von der Royal Air Force pachten, um Autos über Start- und Landebahnen fahren zu lassen - nachdem ein Jahr zuvor noch Amateure gewütet, ein Schaf zu Tode gefahren und dem Rennen den Spitznamen "Mutton Grand Prix" verpasst hatte.
Über die Jahre wurde die Strecke oft umgebaut. Längst handelt es sich um eine permanent für Motorsport genutzte Anlage, die jahrelang von ihrer charakteristischen, gebogenen Start- und Zielgeraden geprägt wurde. Sie musste bei der jüngsten Modernisierung weichen. Die Investitionen haben Silverstone finanziell in Turbulenzen gebracht.
Gelegen ist Silverstone in der Grafschaft Northamptonshire - im zuweilen trist anmutenden Mittelengland, das nur in ländlichen Gegenden Rosamunde-Pilcher-Flair versprüht. Kulinarisch muss vor dem Schmelztiegel des schlechten Geschmacks gewarnt werden, schließlich gibt es an der Strecke in Bierteig frittierte Mars-Riegel zu kaufen!
Felipe Massa (Williams) stillt die lukullischen Gelüste lieber in der rund eineinhalb Autostunden entfernten Hauptstadt: "Ich war mit meiner Familie zwei Tage lang in London - nette Restaurants!" Statt Sushi und grünen Smoothies wie in der hippen Metropole kommen in Silverstone Würstchen auf den Grill und das Bier aus der Dose.
Schließlich ist das Rennen der Caravaning-Grand-Prix schlechthin. Rund um die Strecke parken am Rennwochenende unzählige Wohnwagen, die Preise für Stellplätze sind gepfeffert. "Wir statten immer einem Campingplatz einen Besuch ab. Toll, die Fans zu treffen und mit ihnen zu schnacken", sagt Nico Hülkenberg (Force India).
Nicht nur die Fans haben ein Heim auf Rädern dabei. "Ich gehe hier campen, so wie einige andere auch", erklärt Jenson Button (McLaren) und schwärmt von der Begeisterung seiner Landsleute: "Wenn man von einem Campingplatz aus zur Strecke fährt, sieht man die Menschen mit den Union Jacks. Die Fans sind für mich das Beste!"
"Eines der Highlights jedes Jahr", stimmt Fernando Alonso (McLaren) zu. "Die Fans wissen so viel über den Motorsport und sind richtig fair." Button ergänzt: "Auch einer mit Renault-Shirt jubelt dir zu, wenn du Brite bist. Und er wünscht dir Glück, weil er die Formel 1 als Ganzes unterstützt und nicht einzelne Piloten."
Kimi Räikkönen (Ferrari) staunt beim Schreiben von Autogrammen: "Die Fans haben Fotos von dir, die du selbst nicht kennst!" Lewis Hamilton (Mercedes) genießt das David-Beckham-Feeling: "Wir gehören zu den wenigen Briten unter den 22 Jungs auf der Welt, die herkommen dürfen. Das ist wie im Fußballstadion mit den eigenen Fans im Rücken."
Ähnlich euphorisch klingen die Aktiven, wenn es um die Strecke geht. Die 5,891 Kilometer lange Bahn lässt Rennfahrer-Herzen höher schlagen. "Es ist eine der wenigen Strecken, auf denen sich der Pilot noch so richtig von der Leine gelassen fühlt. Du spürst die Aerodynamik und das Fahren wird zum Vergnügen", beschreibt Alonso.
Es findet sich kein Kollege, der nicht Ähnliches behauptet. "Es sagen doch alle Fahrer, es sei eine ihrer Lieblingsstrecken", lacht Sergio Perez (Force India). Von "legendären Kurven" schwärmt Daniil Kwjat (Toro Rosso). Maggots, Becketts und Stowe, wo noch Mut gefragt ist: "Da muss man tapfer sein und sich etwas trauen. Cooles Gefühl."
Beispiel gefällig? Durch Becketts mit 300 km/h im siebten Gang bei der Einfahrt über Maggots, in der Kurve runter in den fünften Gang, 210 km/h, dann wieder hochschalten und 250 km/h am Ausgang bei Chapel. Von der endlosen Hangar-Straight mit der Stowe-Kurve am Ende, der besten Überholmöglichkeit, ganz zu schweigen.
Für viele Teams ist Silverstone ein Heimrennen. Fabriken wie die von Mercedes in Brackley oder von Red Bull in Milton Keynes sind nur einen Steinwurf entfernt. Force India ist sogar ein Nachbar. Jolyon Palmer (Renault) reist mit dem Auto an: "Ich muss nicht fliegen. Eine Stunde über die M40 zu fahren ist schon schön."
Lewis Hamilton (Mercedes) ist gerne in seiner Heimat: "Ich liebe es, meine Familie zu sehen und durch den Landstrich zu fahren, in dem ich aufgewachsen bin. Wenn ich in Baku bin, habe ich von Straßen und Restaurants keinen blassen Schimmer." In Silverstone trifft der Weltmeister Freunde, die er vor 21 Jahren kennenlernte.
Einziges Problem in Silverstone ist der englische Sommer - so er denn diesen Namen überhaupt verdient. "Ich erinnere mich noch daran, dass 2012 sogar das Qualifying verschoben werden musste", schnauft Perez über das Jahr, in dem die Strecke und die Campingplätze absoffen. Es gab ein beispielloses Verkehrschaos.
Von wegen Privatflieger nach Monaco! Jenson Button weiß auch schon, was er am Sonntag nach dem Rennen macht: "Dann geht es zurück zum Wohnwagen und es gibt einen Burger und ein Bier mit den Kumpels", grinst er und schwelgt in Erinnerungen: "Das ist richtig alte Schule! Wie in den Karttagen!"