Hembery: "Reifen für die Show gebaut"

Pirelli-Motorsportchef Paul Hembery erklärt die Gründe für den hohen Reifenverschleiß - Die Formel 1 hat sich dieses Produkt so gewünscht

(Motorsport-Total.com) - Die Teams haben über den Winter fleißig an ihren neuen Modellen gearbeitet. Mit dem Energierückgewinnungs-System KERS und dem verstellbarem Heckflügel sind zwei neue Elemente hinzugekommen. Trotzdem werden die neuen Pirelli-Reifen das Gesicht der Rennen prägen. Bei den Testfahrten hat sich herausgestellt, dass die Pneus sehr stark verschleißen, an Leistung verlieren und es so zu vielen Boxenstopps kommen wird.

Titel-Bild zur News: Paul Hembery

Pirelli-Motorsportchef Paul Hembery freut sich auf die gesteigerte Show

Speziell die Fahrer haben sich in den vergangenen Wochen darüber beklagt, doch die italienische Firma hat bewusst diesen Weg eingeschlagen. Im Vorfeld der Verhandlungen über das Comeback wünschten sich die Formel-1-Verantwortlichen diese Charakteristik. Motorsportchef Paul Hembery erinnert sich: "Ross Brawn war der Vorsitzende der FOTA-Arbeitsgruppe Reifen."

"Ich habe ihn gefragt, was er haben will. Er antwortete: 'Kanada, aber ohne Graining.' Ich war damit einverstanden. Ross fragte mich noch, wie wir das erreichen wollen. Es ist sehr komplex, aber wir hatten einige Ideen. Wir haben mit allen Teams und Bernie Ecclestone gesprochen und sie nach ihren Wünschen gefragt."

"Sie wollten mehr Show. Um das zu erreichen, haben wir ihnen gesagt, dass wir genau diese Reifen herstellen müssen, die wir jetzt haben", wird Hembery von 'Autosport' zitiert. "Es ist eine große Veränderung, aber was wäre die Alternative? Man könnte eine extrem konservative Route einschlagen und das Rennen ohne Boxenstopp absolvieren."

"Es gibt keine Boxenstopps mehr, also hätte man das Qualifying und anschließend würde die Reihenfolge bis Rennende gleich bleiben. Im Rennen würde es um die Zuverlässigkeit und kaum um Strategie gehen. Das schnellste Auto würde ständig an der Spitze sein. Das wäre nicht sehr aufregend."

Hembery kontert Kritik der Fahrer

Speziell die Fahrer haben bei den Wintertests nicht mit Kritik gespart und die Reifen als fehlerhaft bezeichnet, obwohl dieses Verhalten ausdrücklich gewünscht wurde. "Ihre Beschreibungen waren etwas hart, denn sie haben von Defekten gesprochen, aber genau das wollten wir erreichen."

"Vielleicht liegen wir bei der Rundenanzahl richtig oder falsch, wir wissen es noch nicht, denn wir müssen uns auf 20 verschiedene Streckenbeläge einstellen. Vielleicht müssen wir etwas nachbessern, wenn wir nicht ganz richtig liegen. Wir sagen nicht, dass wir alles richtig machen, aber wir haben die Reifen für die Show produziert. Wir glauben, dass das wichtig ist und mehr Interesse schaffen wird."


Fotos: Testfahrten in Barcelona


"Die Fahrer äußerten sich am kritischsten, aber vielleicht wurde ihnen nicht erklärt, was wir versuchen zu erreichen", findet Hembery. "Es ist frustrierend, denn sie sind oft die Stimme des Teams. Man hört von ihnen auch manchmal Kommentare über ihre eigenen Teams, mit denen die Bosse auch nicht zu glücklich sind."

"Unter dem Strich ist die Formel 1, die viele Leute reich gemacht hat, ein Unterhaltungssport. Je größer die Unterhaltung ist, desto mehr Sponsoren werden an Board kommen und alle werden länger ihren Job behalten. Die Fahrer werden auch besser bezahlt."

Strategie elementar

"Man muss mit den Kommentaren immer vorsichtig sein. Es gibt einen Unterschied zwischen der Beschreibung einer Situation und einem falschen Alarm. Wir sind Partner dieses Sports und nicht hier, um gegen die Formel 1 anzukämpfen. Wir machen genau das, was von uns verlangt wird. Wenn die Rennen losgehen, dann werden einige Fahrer stark sein, weil sie gute Taktiker sind. Das trifft auf alle Formen des Motorsports zu, aber speziell auf die Formel 1."

"Viele Leute haben vergessen, dass in den vergangnen zehn bis 15 Jahren die Boxenstopps zum Nachtanken ein integraler Bestandteil dieses Sports war. Die Taktik war sehr dominant. Wir versuchen etwas zurück in die Vergangenheit zu gehen." Im vergangenen Jahr wurde bei den Rennen zumeist ein Boxenstopp gemacht, der vorgeschrieben war.

¿pbvin|512|3302|pirelli|0|1pb¿Bei den Wintertests konnte man gut beobachten, wie sich die Reifen auf einem Longrun abnützen. Die Pirellis hatten für eine bis zwei Runden ihre maximale Leistung. Dann verloren sie etwas an Haftung, bevor sie später kontinuierlich abbauten. Nach einer bestimmten Zeit fielen sie dann komplett ab. Zwischen drei und vier Sekunden war das Auto dann langsamer.

Hoher Verschleiß gewollt

Hembery erklärt, dass dieser starke Leistungsverlust absichtlich in die Konstruktion eingebaut wurde. "Der große Leistungsabfall ist der Zeitpunkt, wenn ein Fahrer seine Reifen wechseln muss. Das ist absichtlich so, denn es ist ein Warnsignal. Wenn sich der Reifen abnutzt, aber nicht stark verschleißt, dann besteht das Risiko, dass man nicht weiß wann man wechseln soll."

"Wenn dieser große Leistungsverlust eintritt, dann fährt man auf einer anderen Mischung. Es ist die Nachricht, dass der Boxenstopp fällig ist. Man will nicht, dass Fahrer über diesen Punkt hinausfahren, denn dann hätte man ein Problem mit der Integrität. Es ist eine Materialsache. Wir haben uns also intelligente Dinge überlegt."

Wenn der gute Gummi also abgefahren ist, kommt eine härtere Mischung zum Vorschein, die deutlich weniger Haftung produziert. Das ist für die Fahrer der Zeitpunkt zum Wechseln. Der Reifen ist zu diesem Zeitpunkt abgefahren, aber nicht kaputt. Ein Sicherheitsrisiko soll also nicht bestehen.

Pirelli-Reifen

Die Pirelli-Reifen verschleißen bereits nach wenigen Runden stark Zoom

Es stellt sich die Frage, ob das für die breite Öffentlichkeit auch ersichtlich und verständlich ist. Im Straßensport wird an immer haltbareren, leiseren und benzinsparenderen Reifen gearbeitet. Zumindest lauten die Werbebotschaften der verschiedenen Hersteller so. Mit der Formel 1 erreicht Pirelli ein weltweites Publikum und stellt die Produkte und die Technologie in die Auslage. Ob stark verschleißende Reifen, selbst wenn sie so gewollt sind, die Verkäufe ankurbeln, sei dahingestellt.

Viele Überholmanöver

Somit setzt Pirelli auf den Unterhaltungswert. "Wir haben beim ersten Barcelonatest eine Simulation angestellt, die sehr faszinierend war", sagt Hembery. "Wir haben 54 bis 56 mögliche Überholmanöver gezählt. Einige Autos sind stark abgefallen, aber am Ende lagen sie wieder dicht beisammen."

"Es waren aber nur acht bis neuen Autos auf der Strecke. Wenn das komplette Feld fährt, dann können wir viel Spaß haben. Okay, sie sind nicht gegeneinander gefahren, aber es hat die Möglichkeit aufgezeigt, dass sich Autos auf verschieden alten Reifen überholen können. Das ist unsere Hoffnung."

Bei den Tests hat man ebenfalls erkennen können, dass selbst Teamkollegen unterschiedlich lange mit der gleichen Mischung fahren können. Hembery hofft, dass dadurch der Zeitpunkt für den Reifenwechsel nicht so genau planbar ist. Je nach Rennsituation und Fahrstil beanspruchen die Piloten die Pneus anders.

"Wir haben gesehen, dass es große Unterschiede beim Verschleiß gibt. Der Fahrer hat großen Einfluss darauf. Es sind keine massiven Unterschiede, aber groß genug, dass die Strategie bei allen Teams anders sein wird. Es werden nicht alle in Runde 20 hereinkommen, vielleicht teilt es sich zwischen den Runden 18 und 23 auf. Wir gehen von einem Fenster über fünf Runden aus."

"Es wäre ein Traum, wenn am Ende des Rennens alle dicht beisammen liegen würden. In der Realität wird das wahrscheinlich nicht so sein. Ich glaube, wenn die Zuschauer in den Rennen viele Überholmanöver sehen, dann werden es die Fans lieben. Die Fahrer aber weniger, denn sie können die Situation nicht kontrollieren."