• 13.09.2003 12:28

Head: "Die Angelegenheit ist abgeschlossen"

Der Technische Direktor des Williams-Teams über seine Seite der Reifendiskussion und über die Möglichkeit einer Stallorder

(Motorsport-Total.com) - Frage: "Patrick, der provisorische Kalender wurde veröffentlicht. Was sagst du dazu?"
Patrick Head: "Ich bin froh darüber, Spa wieder drin zu haben, auch wenn es vorerst mit einem Fragezeichen ist. Meine persönlichen Arrangements muss ich ein wenig anpassen, denn Brasilien wurde ans Saisonende versetzt, findet nicht mehr im März statt, und ich reise normalerweise immer ein wenig früher dorthin. Das ist eine große Veränderung, was Brasilien betrifft. Hinsichtlich des Rennens macht es wohl keinen großen Unterschied, denn die Temperaturen sind ähnlich, glaube ich, und es regnet dann weniger. Wie Flavio Briatore schon gesagt hat, entscheiden wir Teams nicht über den Kalender. Bernie und andere Leute kümmern sich um diese Dinge und wir müssen nur die Rennen bestreiten."

Titel-Bild zur News: Patrick Head

Patrick Head sieht im Reifenstreit kein Vergehen von Michelin

Frage: "Ihr befindet euch im WM-Kampf. Geht ihr die Rennen jetzt anders an als sonst, beobachtet ihr die Rivalen genauer oder ähnliches?"
Head: "Bernies Plan ist wahrscheinlich, dass Kimi hier gewinnt, Montoya Zweiter wird und Michael Dritter ? dann würde es bis zum Ende so knapp bleiben. Ferrari wünscht sich das sicher nicht, aber die Ausgangslage ist jedenfalls sehr umkämpft. Wir sind überrascht, hier zu stehen, andererseits aber auch erfreut. Wir haben ein Team mit vielen Angestellten, die schon zuvor um Weltmeisterschaften gekämpft haben, also denke ich nicht, dass es da Probleme geben wird. Wir freuen uns auf einen guten Fight."

Fahrer entscheiden selbst ? Hintertür in Sachen Teamorder?

Frage: "Gibt es unter Umständen eine Grauzone für Stallregie oder Teamtaktik? Wie interpretiert ihr das Reglement? Siehst du es als Grauzone oder gibt es klare Spielregeln?"
Head: "Ganz klar steht fest, dass es uns nicht erlaubt ist, eine Stallregie anzuwenden, die den Ausgang des Rennens beeinflusst, aber eine Teamorder? Ich schätze, das müsste von Frank ausgehen, aber wir haben keine derartigen Klauseln in unseren Fahrerverträgen. Es liegt im allgemeinen Verständnis, wenn ein Fahrer die Weltmeisterschaft gewinnen kann und der andere nicht, dass er ihm helfen wird, aber wenn die Fahrer selbst diese Entscheidung treffen, liegt das an ihnen und es würde nicht vom Team ausgehen, denn das ist ja ganz klar nicht erlaubt."

Frage: "Viel wurde in den letzten Wochen über die Reifen gesprochen. Wie stehst du zu dem Thema?"
Head: "Michelin hat die Reifen in den letzten zwei Jahren ganz offen der FIA gezeigt, daher wären Worte wie Betrug oder Schummelei völlig unangebracht. Nach Ungarn hat uns die FIA ein Fax geschickt, in dem sie bekannt gegeben haben, dass die ihre Meinung bezüglich der Regenreifen geändert haben und dass die Breite der Laufflächen ab sofort auch nach dem Rennen gemessen wird, was für Michelin eine neue Situation darstellte. Sie haben sich an die Nase gefasst. Es gibt eine sehr kleine Veränderung bezüglich der Form der Reifen wegen der Veränderung der Interpretation der Regeln, aber die Reifen, die beim Monza-Test von der FIA inspiziert wurden, sind für sie okay, wurde uns mitgeteilt. Die Angelegenheit ist abgeschlossen, wie es ja auch in einem Statement hieß."

Frage: "Die Reifen sammeln nach einem Rennen immer unterschiedlich viel Gummiabrieb auf und sehen sehr unterschiedlich aus. Habt ihr euch eigentlich darum gekümmert, dass die Reifen mit dem Reglement einhergehen?"
Head: "Ich kann sagen, dass wir nie irgendwelche Zweifel wegen den Reifen hatten und Michelin präsentierte die Reifen selbst und die Konstruktionspläne laufend der FIA. Meines Wissens hieß es, dass die Reifen erlaubt sind, weshalb das alles sehr überraschend für Michelin gekommen ist. Ich meine, man kann sich nicht vorstellen, dass eine Firma wie Michelin absichtlich einen illegalen Reifen bauen würde, ohne alles sehr, sehr sorgfältig überprüfen zu lassen. Wir haben hier nur eine veränderte Interpretation. Ich glaube nicht, dass es je ganz klare ? schwarz oder weiß ? Regeln geben wird. Es gibt immer Raum für Interpretationen, das ist die Natur der Formel 1 und der schlauen Köpfe, die darin arbeiten. Sie werden immer eine Grauzone oder Interpretationsspielraum finden. Die FIA ist der Regelgeber und innerhalb des Reglements steht es ihnen frei, die Regeln anders auszulegen ? manchmal auch mit einem eigenen Statement. Das wurde gemacht. Die Schwierigkeit in dieser Situation war, die Reifen in so kurzer Zeit an die neue Interpretation anzupassen. Zum Glück war nur eine geringfügige Änderung der Backform notwendig. Eine veränderte Konstruktion war nicht nötig. Es ist also keine Angelegenheit, die ernsthafte Sicherheitsbedenken berechtigen würde, denn wie man sich vorstellen kann, wäre Michelin in so kurzer Zeit nicht in der Position, einen komplett neuen Reifen für eine Strecke wie Monza herzustellen."

"FIA hat die Reifen nie als illegal bezeichnet"

Frage: "Ross Brawn hat eure Reifen als illegal bezeichnet. Kannst du das so stehen lassen?"
Head: "Er sagt nicht, ob er sich wirklich so ausgedrückt hat oder nicht, aber die FIA hat die Reifen nie als illegal bezeichnet. Sie haben uns nur wissen lassen, dass ab Monza nach dem Gebrauch gemessen wird und nicht mehr davor. Dieser Artikel, 77c, deckt viele Bereiche hinsichtlich der Dimensionen ab, auch die vier Rillen. Natürlich kann man einen gebrauchten Reifen kontrollieren, aber mir fehlt etwas, denn nach ein paar Worten heißt es in diesem Artikel 'in neuem Zustand' und nicht gebraucht. Weiter heißt es, die Lauffläche 'darüber hinaus nicht mehr als 270 Millimeter' betragen darf und man kann sich jetzt auf eine endlose Argumentation einlassen, ob sich das 'im neuen Zustand' auch auf die Passagen danach bezieht. Die Rillen müssen 14 Millimeter breit sein am höchsten Punkt, zehn Millimeter breit am tiefsten und 2,5 Millimeter tief. Ich meine, wie soll man das an einem gebrauchten Reifen messen? Das kann man nicht. Daher gibt es viele Dimensionen bei den Reifen, die man einfach nur in neuem Zustand abnehmen kann. Die FIA hat nicht gesagt, dass irgendetwas illegal war, sondern es wurde nur klargestellt, wann die Messungen ab sofort durchgeführt werden."

Frage: "Ist in all den Jahren, in denen du jetzt in der Formel 1 bist, eigentlich auch einmal eine Regeländerung eingeführt worden, die Ferrari geschadet hat?"
Head: "Ich habe jetzt schon eine ganze Weile in diesem Geschäft überlebt, aber ich habe keinen Katalog mit all den Dingen, die passiert sind. Ich betrachte nur diesen aktuellen Fall."

Frage: "Es geht das Gerücht um, dass Michelin-Teams im Sommer ihre Autos in Clermont-Ferrand getestet haben. Stimmt das oder nicht?"
Head: "Ich habe davon bei einem Treffen der Teammanager gestern oder vorgestern gehört. Wir haben in Ladoux, auf einer Teststrecke von Michelin, getestet. Das ist eine von der FIA genehmigte Teststrecke. Wir haben dort nur Regenreifen getestet und nur innerhalb der erlaubten Limits des so genannten Suzuka-Agreements. Mir ist nicht bewusst, dass zu einem anderen Zeitpunkt noch einmal in Ladoux getestet wurde. Wir haben das Thema natürlich mit Michelin zur Sprache gebracht, aber uns wurde versichert, dass niemand außerhalb des Suzuka-Agreements getestet hat."

Vorbereitungen durch Streit nur unwesentlich beeinflusst

Frage: "Inwiefern hat der Reifenstreit eure Weiterentwicklung in den letzten Wochen beeinflusst?"
Head: "Wir haben versucht, uns auf Sonntag zu konzentrieren und auf den Sonntag zwei Wochen danach und den Sonntag noch einmal zwei Wochen danach. Ich könnte mir vorstellen, dass bei Michelin dadurch ein bisschen Unruhe entstanden ist, weil sie am Mittwoch nach Ungarn neue Formen produzieren mussten und innerhalb einer Woche einen neuen Reifen zu bringen hatten. Sicherlich ist unsere Konzentration auf den Monza-Test dadurch ein bisschen beeinflusst worden, aber nicht wesentlich."

Frage: "Es gibt wegen der Angelegenheit Vorwürfe gegen Ferrari, wegen des späten Timings. Aber würdet ihr es umgekehrt nicht ganz genauso machen?"
Head: "Es wurde dadurch Schaden angerichtet. Ich will daraus keinen Elefanten machen, aber klarerweise ist dadurch eine gewisse Unterbrechung entstanden. Allerdings sind wir daran gewöhnt, um Weltmeisterschaften bis zum Schluss zu kämpfen, wenn auch nicht so sehr in den letzten Jahren, und historisch gesehen wird es da zum Ende hin immer ein bisschen strittig und ruppig. Es stimmt, dass die Punkte von Melbourne genauso viel zählen wie jene, die wir jetzt noch holen, aber jetzt bleiben eben nur noch drei Rennen übrig. Die Sache mit den Reifen hat zu einer Auseinandersetzung geführt, aber das gehört zum Geschäft in der Schlussphase einer Meisterschaft."

Frage: "Bist du besorgt, dass die FIA die bisherigen Resultate revidieren könnte? Ist es realistisch, dass dadurch die Formel 1 kaputt gemacht wird?"
Head: "Artikel 77c ist nicht klar und Ferrari und Bridgestone haben eine Interpretation angewandt und Michelin hat das auch getan. Seit Ungarn hat die FIA ausgegeben, wie sie gedenkt, das Reglement auszulegen. Ich denke, es wäre sehr traurig für die Formel 1, wenn wegen dieser Regelauslegung seit Ungarn nachträglich Resultate verändert werden, obwohl die Reifen seit 38 Rennen voll abgenommen, für alle transparent und genehmigt waren. In der nationalen Presse steht nur noch wenig über die Formel 1 abgesehen von den Berichten vom Rennwochenende, aber dazwischen gibt es nicht mehr viele Geschichten. Am Sonntag zwischen zwei Rennen fehlen wir auf den Sportseiten komplett. Ich denke, dass die Öffentlichkeit es überhaupt nicht verstehen würde, wenn plötzlich im Nachhinein etwas verändert werden würde. Das wäre traurig, aber es liegt nicht an mir, eine Entscheidung zu treffen. Wir müssen die Öffentlichkeit wieder für die Formel 1 begeistern, aber nicht indem wir uns als Scharade oder Spielcasino darstellen. Man muss das Interesse wecken, weil es eine großartige Veranstaltung ist, wo nicht nur Fahrer gegeneinander antreten, sondern auch Teams, Reifen-Designer, Teammanager."