Haug: "Wer Formel 1 sagt, sagt Hamilton"

Mercedes-Sportchef Norbert Haug im Exklusivinterview über Lewis Hamilton, die Frage nach einer Nummer eins, KERS und vieles mehr

(Motorsport-Total.com) - McLaren-Mercedes hat bisher in dieser Saison ein ständiges Auf und Ab erlebt: Erst der Auftaktsieg durch Lewis Hamilton in Melbourne, dann kein Sieg bis Monte Carlo, dort die große Triumphfahrt von Hamilton im Regen, anschließend der Boxenfauxpas von Montréal, die Nullnummer von Magny-Cours und zuletzt wieder ein grandioser Sieg in Silverstone.

Titel-Bild zur News: Norbert Haug

Norbert Haug hofft auf das Heimdouble: Erst Silverstone, dann Hockenheim...

In der Weltmeisterschaft liegt Hamilton damit Kopf an Kopf mit den beiden Ferrari-Piloten, doch vielmehr als der Punktestand interessierten in den vergangenen Wochen die gesellschaftlichen Auftritte des 23-Jährigen die Medien. Nach Silverstone ist längst alles vergeben und vergessen, aber Mercedes-Sportchef Norbert Haug geht im Interview mit 'Motorsport-Total.com' unter anderem auf die besonderen Belastungen ein, mit denen Hamilton in seinem zweiten Jahr zu tun hat.#w1#

Tolle Bilanz spricht gegen mediale Kritik

Frage: "Herr Haug, Sie haben vor dem Qualifying in Silverstone gemeint, dass jede Kritik wegen Lewis' öffentlicher Auftritte verstummen würde, wenn er auf Pole fährt, dass dann etwa das Treffen mit Nelson Mandela plötzlich als Inspiration dargestellt wird. Lewis hat das Rennen gewonnen..."
Norbert Haug: "So ist das - nicht nur bei Lewis. Dieses Auf und Ab muss man erdulden. Ich ärgere mich schon lange nicht mehr darüber. Dieses Auf und Ab gibt es einfach. Es hat auch schon andere getroffen. Das ist Part of the Game."

"Wer so eine Bilanz aufweist, kann kein Versager sein, er ist vielmehr eine Messlatte." Norbert Haug

"Dass man nach zwei Rennen, in denen man 16 oder 18 Punkte machen kann, nicht hoch gelobt wird, wenn diese ausbleiben, ist auch klar und muss akzeptiert werden. Nur: Wenn ich die Bilanz von Lewis anschaue, so hat er nach 26 Rennen 17 Podestplätze eingefahren und exakt 50 Prozent seiner Rennen auf den Plätzen eins und zwei beendet. Wer so eine Bilanz aufweist, kann kein Versager sein, er ist vielmehr eine Messlatte."

Frage: "War das, was da in den Medien stattgefunden hat, auch bei Ihnen intern ein Thema? Haben Sie mit Lewis gesprochen oder geht das an ihm und dem Team vollkommen vorbei?"
Haug: "Das wird durchaus wahrgenommen, ist aber nicht unser Hauptthema. Lewis ist ein authentischer Bursche, der alles so macht, wie er es für richtig hält, und sich dazu auch Rat einholt."

"Aber man muss auch sehen, dass oft gesagt wird, es gäbe die Typen nicht mehr. 'Ach wie toll war früher James Hunt und heute sind alle so angepasst.' Lewis geht seinen Weg - wie einige andere Rennfahrer übrigens auch. Klar ist aber auch, dass er unter ein besonders scharfes Brennglas genommen und auf Schritt und Tritt verfolgt wird."

Hamilton gilt als Synonym für die Formel 1

"Trotzdem darf man nicht vergessen, dass Lewis ein Fahrer ist, der vor vier Jahren sein erstes Formel-3-Rennen gewonnen hat. Das war am Norisring im Rahmen der DTM. Heute ist er ein Aushängeschild der Formel 1. Wer heute Formel 1 sagt, der sagt im zweiten Atemzug Hamilton. All das muss verarbeitet werden und Lewis ist dabei ein cooler und ehrlicher Mensch geblieben. Vielleicht ist es auch die totale Ehrlichkeit, die manchmal die Leute zu Kritik verführt. Er ist eben nicht der diplomatische Mensch, der Worthülsen weiterreicht, sondern einer, der das spricht, was für ihn Sache ist, und dem ist gut so."

"Wir haben zwei gleich bewertete und gleichwertige Fahrer. Damit sind wir schon immer gut gefahren." Norbert Haug

Frage: "Lewis ist 23 Jahre jung und vieles ist in sehr kurzer Zeit auf ihn hereingebrochen. Ist es da auch Aufgabe des Teams, ihn entsprechend zu unterstützen und zu führen?"
Haug: "Das wird natürlich gemacht. Wir reden hier bisher immer nur von Lewis - es gibt da auch noch Heikki, der dann im Mittelpunkt stehen wird, wenn er mehr Pole-Positions und Siege eingefahren hat. Das wird kommen. Wir haben zwei gleich bewertete und gleichwertige Fahrer. Damit sind wir schon immer gut gefahren. Klar holen sich Lewis wie Heikki auch Tipps ab, aber wir machen garantiert keinen Erziehungsprozess. Das entwickelt sich und dazu gehört nun einmal auch, dass man Erfahrungen macht. Die kann man nicht vordiktieren und das wollen wir auch gar nicht."

Frage: "Vor einem Jahr war die Situation für McLaren-Mercedes anders als heute, denn damals lagen Lewis und Fernando Alonso Kopf an Kopf. Im Moment ist das anders. Stellt sich da nicht früher oder später die Frage nach einer Nummer eins?"
Haug: "Überhaupt nicht. Die hat sich schon im vergangenen Jahr nicht gestellt und in diesem Jahr zweimal nicht - diese Frage stellt sich bei uns gar nie. Wir werden die Gleichbehandlung beibehalten. Hätte es die Blockade in Ungarn im letzten Jahr nicht gegeben, so reicht meine Fantasie aus, um mir vorzustellen, wer dann die besten Chancen auf den Titel gehabt hätte. Das ist aber mittlerweile kalter Kaffee. Uns stand jedenfalls nicht die Gleichbehandlung der Fahrer im Weg, sondern einfach die Punkte, die wir nicht gemacht haben."

Frage: "Muss man dann aber nicht trotzdem zumindest in puncto Rennstrategien über eine Nummer-eins-Stellung nachdenken?"
Haug: "Nein, das tun wir nicht."

Erfolgserlebnis wäre für Kovalainen wichtig

Frage: "Wie ist denn festgelegt, welcher Fahrer sich die Rennstrategien aussuchen darf?"
Haug: "Das entscheiden wir gemeinsam. Die Rennstrategien unterscheiden sich in aller Regel minimal. Dabei hat natürlich derjenige zunächst die besseren Möglichkeiten, der den besseren Startplatz erkämpft hat. Ob das dann im Rennen auch so umgesetzt werden kann, ist eine andere Sache. Heikki hatte zuletzt in Silverstone die Pole-Position, Lewis hat es dann im Rennen besser auf den Punkt gebracht und gewonnen."

Heikki Kovalainen vor Lewis Hamilton

In Silverstone konnte Heikki Kovalainen Lewis Hamilton nur zu Beginn abwehren Zoom

Frage: "Heikki hatte bislang noch keine wirklich glückliche Saison. Würde ihm ein Erfolgserlebnis neuen Schwung verleihen?"
Haug: "Das ist natürlich für jeden wichtig. Aber man bekommt nun einmal nicht alles auf einmal. Selten fährt ein Fahrer an einem Rennwochenende seine erste Pole-Position und danach gleich den Sieg ein."

Frage: "Muss man sich Sorgen um Heikki machen, dass er psychologisch Schaden nehmen könnte, wenn weitere Negativerlebnisse auf ihn zukommen?"
Haug: "Nein, garantiert nicht."

Frage: "In Bezug auf KERS sind in den vergangenen Wochen immer wieder neue Gerüchte aufgekommen. So soll McLaren-Mercedes für 2009 zwei verschiedene Einsatzautos planen - eines mit und eines ohne KERS. Ist da was dran?"
Haug: "Nein. Wir sind sicherlich so flexibel, dass wir alle Anforderungen erfüllen können. Wir werden dieses Thema gewiss gründlich angehen und ein gutes KERS haben. Mercedes-Benz besitzt auf diesem Gebiet überaus viele Kenntnisse und im Vergleich zur Konkurrenz sind wir sicherlich gut aufgestellt."

Frage: "Können Sie mir jetzt schon definitiv sagen, ob KERS in Melbourne 2009 im Auto sein wird?"
Haug: "Ja."

Kein neuer Kommentar zu "Mosleygate"

Frage: "Kürzlich gab es die Aussage von Burkhart Göschel (Vertreter der Interessen der in der Formel 1 vertretenen Automobilhersteller; Anm. d. Red.), dass Max Mosley nun offiziell rehabilitiert sei. Wie sieht Mercedes das?"
Haug: "Wir haben unser Statement zu dieser Sache Anfang April abgegeben, mehr gibt es von uns dazu seither nicht zu sagen."

"Ich halte das für Zeitverschwendung. Und Zeit ist das Wichtigste in der Formel 1." Norbert Haug

Frage: "Wie sieht ihr Ausblick auf Hockenheim aus? Kommt die Strecke Ihrem Auto entgegen? Lewis hat ja das positive Momentum von Silverstone im Rücken..."
Haug: "Ich denke schon, dass wir in Hockenheim gut aussehen können. Aber Vorhersagen machen keinen Sinn. Ich habe weder vor Melbourne, noch vor Monaco, noch vor Silverstone eine Vorhersage gemacht und wir haben die drei Rennen gewonnen. Ich halte das für Zeitverschwendung. Und Zeit ist das Wichtigste in der Formel 1."

"Wichtig ist, dass beim Grand Prix von Deutschland um die Mercedes-Tribüne viel los sein wird. Dort wird es einen kostenlosen Mehrwert für alle unsere Besucher geben. Wir hatten beim vergangenen Rennen dort über das Wochenende mindestens 30.000 Leute. Es gibt Fahrsicherheitstraining, Livemusik, Interviews, alle DTM-Fahrer sind da, Ralf Schumacher inklusive. Lewis Hamilton und Heikki Kovalainen werden bei Interviewrunden Fragen des Publikums beantworten. Wir werden uns mit den Leuten unterhalten und mit Experten Interviewrunden durchführen. Wir wollen bei unserem Heimrennen kostenlose Höhepunkte für unsere Besucher, die sich ein Ticket gekauft haben, schaffen."

Frage: "Stuttgart ist nicht allzu weit weg. Würde man sich bei Mercedes über einen Sieg in Hockenheim noch ein bisschen mehr freuen als sonst?"
Haug: "Wir freuen uns immer bei Siegen. Bei einem Sieg in Hockenheim wäre bei uns natürlich ganz besonders was los."