Haug: "So wollen wir Weltmeister werden!"

(Motorsport-Total.com/Premiere) - Nur eine Woche nach der Pleite von Fuji feierte Lewis Hamilton heute in Shanghai einen triumphalen Sieg, mit dem er seinen Vorsprung auf Felipe Massa vor dem WM-Showdown in São Paulo auf sieben Punkte vergrößerte. Bei den Konstrukteuren fiel ebenfalls eine Vorentscheidung - zugunsten von Ferrari: Elf Punkte beträgt der Rückstand von McLaren-Mercedes nun.

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Sportchef Norbert Haug fliegt guter Dinge zum Saisonfinale nach Brasilien

Unmittelbar nach dem Rennen analysierte Mercedes-Sportchef Norbert Haug wie immer das Geschehene - und er zeigte sich wieder einmal beeindruckt von "Wunderwuzzi" Hamilton, dem er schon im gestrigen Qualifying eine "Jahrhundertrunde" attestiert hatte. Haug bedauert immer noch die umstrittene FIA-Entscheidung von Spa-Francorchamps, ohne die die Weltmeisterschaft bereits entschieden wäre, sieht aber auch so hervorragende Chancen auf den ersten Fahrertitel seit Mika Häkkinen 1999.#w1#

Großes Lob für Hamilton

Frage: "Herr Haug, wie war der heutige Rennsonntag für Sie?"
Norbert Haug: "Sehr gut, sehr überzeugend! Natürlich ist man angespannt, wenn es um so ein Rennen geht, aber ich glaube, es war eine hervorragende Demonstration von Lewis. Pole-Position, Rennsieg, schnellste Runde - mehr geht nicht an einem Wochenende! Er hat gezeigt, dass er das Feld unter Kontrolle hat, dass er der beste Fahrer war. Man hat versucht, ihn mit vereinten Kräften aus dem Konzept zu bringen. Das wird in Brasilien auch so weitergehen, aber die Zuschauer sehen, dass er ein Könner und ein sympathischer Kerl ist. Wir werden im Team das Möglichste geben und dann werden wir sehen."

Frage: "Sie sprechen die Kritik an, die im Vorfeld auf Lewis eingeprasselt ist. Gab es Sorgen, dass er dem Druck nicht standhalten könnte?"
Haug: "Bei mir nicht. Es klappt natürlich nicht jedes Mal, wie man beim letzten Mal gesehen hat. Das haben wir hinter uns. Aber wenn man eine Antwort geben kann, die so ausfällt wie heute, dann ist das am besten! Da wurden keine großen Sprüche geklopft, sondern man hat sich auf das Wesentliche konzentriert. Ich bin sehr froh darüber, dass unser Team das gekonnt hat und dass es Lewis so unterstützt hat. Deutlicher als heute kann man es nicht machen."

Frage: "Es fehlen noch vier Punkte, aber diesen fünften Platz hinzukriegen, das kann ganz schön schwierig werden, auch wenn das Paket natürlich gut genug ist, nicht wahr?"
Haug: "Das Paket ist gut genug, aber die Nicht-Freunde im Feld haben ja schon angedroht, was sie alles machen werden. Das wäre heute sicherlich auch der Fall gewesen, wenn sich Lewis die Blöße gegeben hätte - hat er aber nicht. Er ist einfach weggefahren, hat am Anfang gepusht und sich das Rennen dann eingeteilt. Das war sicher nicht am Limit, was er gemacht hat, und das zeichnet einen jungen Fahrer aus. So wollen wir auch Weltmeister werden! Wir haben sehr viele Sympathien auf unserer Seite, weil doch einiges war, was es uns alles andere als leicht gemacht hat."

Frage: "Sie sind heute auf harten Reifen gestartet, Ferrari auf weichen. Was war die bessere Entscheidung?"
Haug: "Hart und weich ist der falsche Begriff. Da ist eine kleine Stufe dazwischen. Das ist nicht wie Winter- und Sommerreifen, sondern das ist ganz marginal. Man sagt dem Reifen, der den weißen Ring hat, am Start vielleicht ein bisschen mehr Grip nach. Ich denke, dass das der Hauptgrund war. Aber Lewis ist sehr überzeugend gestartet und hat gezeigt, dass es auch so geht."

Hamilton gegen den Rest des Feldes

Frage: "Die Ferraris hatten auch mit den weichen Reifen am Start keine Chance. Wie war der Start aus Ihrer Sicht?"
Haug: "Perfekt - genau so soll er sein! Wenn Lewis ins Gemenge gekommen wäre, hätte es vielleicht ein bisschen Durcheinander gegeben, wie Alonso und Co. angekündigt hatten. Das gab es dann weiter hinten. Lewis hat sich schadlos gehalten, ist deutlich weggefahren. Es war seine fünfte Pole seit dem Hockenheim-Grand-Prix. In acht Rennen hat er fünf Poles geholt und zweimal ist er aus der ersten Startreihe gestartet. Einmal war er in Monza mit den falschen Reifen 15. Ich glaube, das ist auch über die Dauer eine sehr überzeugende Leistung."

Frage: "Heikki Kovalainen ging am Start an Fernando Alonso vorbei, wurde aber noch in der ersten Runde wieder überholt. Heikki wurde heute 27 Jahre alt. Wie bewerten Sie sein Rennen?"
Haug: "Er war am Anfang sehr stark - das hat schon gepasst nach dem Start. Aber wir müssen schauen. Das ist Rätselraten, was da los war, wenn man die Bilder nicht genau studiert hat. Es sind jetzt erst ein paar Minuten seit dem Rennen vergangen und ich muss erst mit ihm reden."

Frage: "Von Lewis haben wir einmal einen spektakulären Drift gesehen. Er war heute am Limit, nicht wahr?"
Haug: "Naja, so ein Drift ist im grünen Bereich. Das sollte nicht jede Runde sein, aber ich glaube, sein Puls ging da nicht sonderlich hoch. Das ist nicht der Idealzustand, aber ein guter Autofahrer kann das."

Frage: "Wie kam es zum Reifenschaden von Heikki? Weiß man da schon mehr?"
Haug: "Nein, da müssen wir erst gucken. Wahrscheinlich war es ein Trümmerteil, das er sich eingefahren hat."

Anspannung nach dem Reifenschaden

Frage: "Wie sehr zittert man dann in so einer Situation, dass das auch Lewis treffen könnte?"
Haug: "Das kann jeden anderen auch treffen. Da muss dann das ganze Feld zittern, wenn es ein Trümmerteil ist! Wir müssen noch genauer untersuchen, was genau der Grund war, vorher ist alles Spekulation. Natürlich ist man angespannt und man verfolgt das Rennen, aber es hilft ja nichts - man wird nicht schneller, wenn man noch angespannter ist, deshalb muss man da ein bisschen die Übersicht bewahren."

Frage: "Beansprucht Ihr Auto die Reifen härter als andere Autos?"
Haug: "Das ist auch so ein Trampelpfad, auf dem sich manche bewegen, aber was soll man auch immer berichten? Tatsache ist - das hat uns Bridgestone gesagt -, dass wir in vielen Kurven eine höhere Kurvengeschwindigkeit fahren. Dann kann man sich vorstellen, dass die Reifenschulter mehr belastet ist. Das scheint der Fall zu sein. Aber wer nicht ans Limit geht, der fährt keine Rundenzeiten, wie sie Lewis heute gefahren ist."

"Ich glaube mich an keinen anderen Grand Prix dieses Jahres zu erinnern, in dem der Spitzenreiter ständig um eine halbe Sekunde schneller fahren konnte als die Verfolger, wenn er wollte. Nach den Verfolgern war noch einmal eine große Lücke. In Q1 fahren 16 Autos innerhalb von einer Sekunde, aber über die Distanz zieht sich das ganz enorm. Der einzige Fahrer, der in diesem Viererverbund noch ein bisschen mithalten konnte, war Alonso mit dem Renault. Die haben sicher einen Schritt gemacht. Aber danach ist es deutlich abgerissen."

Frage: "Heute gab es eine umstrittene Situation mit dem Platztausch der beiden Ferrari-Piloten, als Kimi Räikkönen Felipe Massa durchgelassen hat..."
Haug: "Was soll ich dazu sagen? Ich bin bei Mercedes-Benz und nicht bei der FIA. Aber wir können ja eines noch mal sehen: Ich bin immer noch der festen Überzeugung, dass sich Kimi und Lewis in Spa ein hartes, aber faires Duell geliefert haben. Darüber wird heute nicht mehr geredet. Massa war damals als Dritter nicht mit von der Partie. Er bekam vier Punkte geschenkt und uns wurden zwei abgezogen. Das macht sechs Punkte. Ich will überhaupt nicht nachtreten, aber man sollte es im Hinterkopf behalten. So kann eine WM entschieden werden!"

Hamilton könnte schon Weltmeister sein...

"Wenn das letztlich die Entscheidung wäre, dann wäre das sicherlich traurig. Ich will auch nicht hätte, wäre, wenn sagen, aber mit den Punkten, die wir uns nach meinem Racerherz in Spa verdient hätten, wären wir hier schon so weit. Jetzt müssen wir es halt in Brasilien schaffen, was trotz des Vorsprungs nicht leicht wird. Bei sieben Punkten ist es noch offen, aber ich reise lieber mit sieben Punkten Vorsprung als mit sieben Punkten Rückstand an. Für heute müssen wir festhalten, dass Lewis absolut der Mann des Wochenendes war."

Frage: "Racerherzen zählen nichts, wenn ein Automobilverband das letzte Wort hat..."
Haug: "Ich werde angesichts eines so überzeugenden Sieges hier sicher nicht über Hypothesen rapportieren. Wir sollten die Facts abhandeln - und hier gibt es jede Menge gute Facts."

Frage: "Wird bei Lewis vor dem letzten Rennen der Motorenjoker gezogen oder wird er mit dem gebrauchten Motor fahren?"
Haug: "Er hat einen Joker, den er aber nicht verwenden darf. Bisher haben wir das auch so hinbekommen. So, wie das Kräfteverhältnis jetzt ist, ist klar, dass Felipe Massa nur zwei Gegner hat -das sind Heikki Kovalainen und Lewis Hamilton - und einen Unterstützer auf seiner Seite. Auch Lewis hat einen Unterstützer, denn Heikki kann mehr zeigen, als das heute der Fall war. Insofern dürfte es für Felipe nicht schwierig werden, zunächst mal in die Top 3 zu fahren."

"Wir müssen also damit kalkulieren, dass er auf jeden Fall sechs Punkte macht. Wenn Räikkönen vor ihm ist, hat er schon acht - und wenn er acht macht und wir null, dann gucken wir in die Röhre! Deshalb sind solche Punkte wie mit Bourdais im letzten Rennen entscheidend. Nur: Am besten ist, man macht es so wie hier, denn dann hat man es selbst im Griff. Man schafft das sicherlich nicht jedes Mal, aber wir gehen sicherlich ganz motiviert nach Brasilien."