• 20.07.2008 18:23

  • von Dieter Rencken

Haug: "Lewis war überirdisch schnell"

Mercedes-Sportchef Norbert Haug zieht nach Lewis Hamiltons Galavorstellung in Hockenheim Bilanz - Sieg trotz Fehler während der Safety-Car-Phase

(Motorsport-Total.com/Premiere) - Dass der taktische Fehler während der Safety-Car-Phase, als Lewis Hamilton nicht an die Box geholt wurde, geplant war, um das Rennen spannender zu machen, nehmen wir Mercedes-Sportchef Norbert Haug zwar nicht ab, aber das soll die Freude am heutigen Tag nicht trüben. Hamilton gewann in Hockenheim zum ersten Mal seit Mika Häkkinen 1998 für die Silberpfeile. Dementsprechend zufrieden zeigte sich Haug in seiner Rennanalyse für die Medien - auch wenn Heikki Kovalainen das anvisierte Podium verpasste.

Titel-Bild zur News: Norbert Haug und Lewis Hamilton

Norbert Haug wurde von Lewis Hamilton ordentlich nass gemacht

Frage: "Herr Haug, nach dem Supersieg von Silverstone jetzt ein Supersieg in Hockenheim. Sie waren gemeinsam mit Lewis Hamilton auf dem Podium. Das waren sicher die nettesten Champagnerspritzer seit zehn Jahren in Hockenheim, nicht wahr?"
Norbert Haug: "Flüchten wäre wahrscheinlich sinnlos gewesen, denn Lewis ist schneller als ich! Also habe ich mich einfach der Sache gestellt - es ging nicht anders, aber es hat auch Spaß gemacht."#w1#

Deutlich besserer Speed als Ferrari

"Die ganze Truppe hat einen guten Job gemacht, nicht nur Lewis im Rennauto, sondern auch die Mechaniker, alle drumherum. Was wir rund um die Mercedes-Tribüne aufgebaut haben, dafür muss ich wirklich ganz großen Dank sagen an alle - das ist einmalig und das hat sich gelohnt. Dort war die beste Stimmung. Es gab Überholmanöver vor der Tribüne, es war wirklich toll. Lewis hat natürlich absolut ein Zeichen gesetzt. Und ich muss sagen: Der Speed im Vergleich zu Ferrari war besser, als ich nach den Freien Trainings je erträumt hätte! So deutlich war es im Qualifying und in den Trainings nirgendwo, aber heute war es sehr deutlich."

"Ron hat gesagt, ich soll den Pokal holen - sicherlich als Geste der Partnerschaft." Norbert Haug

Frage: "War es etwas Besonderes für Sie, auf dem Podium zu stehen?"
Haug: "Ja, absolut. Ich dränge normalerweise nicht darauf, sondern mache schon ein Interview oder trinke eine Tasse Tee, aber beim Deutschland-Grand-Prix hat Ron (Dennis; Anm. d. Red.) zu mir gesagt, ich soll den Pokal holen - sicherlich als Geste der Partnerschaft. Ich habe es schon das eine oder andere Mal gemacht - nicht so häufig, weil ich das gar nicht will. Aber heute hat es Ron ziemlich leicht gehabt, mich zu überreden."

Frage: "Warum haben Sie Lewis während der Safety-Car-Phase nicht an die Box geholt?"
Haug: "Das war ein Fehler im Nachhinein. Wir haben gedacht, das Safety-Car kommt ein bisschen eher rein. Wir hätten auch das Rennen von Heikki in Mitleidenschaft gezogen, weil er sich hätte anstellen müssen. Klar hat der, der vorne ist das Recht, aber wir wussten auch nicht, wie lange Massa draußen bleibt, wie lange der getankt hat. Bei Ferrari hat Räikkönen warten müssen und darunter gelitten. Wir sind einfach so fair, das war mit ein Grund der Überlegung. Da übertreibe ich nicht, sondern das ist die Grundeinstellung in diesem Team."

"Es war im Nachhinein nicht richtig, aber ich denke, die Zuschauer sind sehr glücklich darüber, denn sonst hätten wir einen vorne wegfahrenden Lewis gesehen, aber so haben wir zwei der spektakulärsten Überholmanöver überhaupt gesehen. Ich könnte behaupten, das war geplant, aber das glaubt mir niemand. Ich mag ja unseren SL (das Mercedes-Safety-Car; Anm. d. Red.), aber wenn wir in Führung bleiben, soll er bitte künftig in der Garage bleiben!"

Perfekte Choreografie für die Mercedes-Fans

Frage: "Ron Dennis hat sich dann am Boxenfunk bei Lewis entschuldigt, und Lewis hat nur gesagt: 'No problem, Ron!'"
Haug: "Absolut. Er hat auch im Interview gesagt, dass das eine Show für die Mercedes-Tribüne war! Er hat gejubelt und gewartet. Natürlich hätten wir alt ausgesehen, wenn es nicht geklappt hätte mit dem überlegenen Speed - man vergeigt nie gerne ein Rennen. Aber es hat geklappt und es war im Nachhinein sicher okay so."

"Sonst hätte er ihn halt später überholt." Norbert Haug

Frage: "Hätte Felipe Massa seine Linie gegen Lewis nicht härter verteidigen können beim Überholmanöver?"
Haug: "Ich bin mir nicht sicher. Lewis war überirdisch schnell. Er hätte auf der Außenlinie auch etwas erreichen können. Sonst hätte er ihn halt später überholt."

Frage: "Warum war Lewis heute so viel schneller als sein Teamkollege?"
Haug: "Ich weiß es gar nicht. Ich habe damit gerechnet, dass es mit Ferrari knapper wird. Massa ist zwei Runden länger gefahren - den Gewichtsunterschied kann man im Prinzip vergessen. Es war eine andere Liga, es ging sekundenweise voran. Ich habe ihn am Dienstag nach dem Test hier getroffen - und da hat Lewis gesagt: 'Hier geht was, ich fühle mich wohl im Auto.' Er hatte immer noch das Silverstone-Grinsen drauf. Es war viel deutlicher heute als in allen Sitzungen davor, er war einfach eine Klasse für sich - auch im Vergleich zu seinem Teamkollegen. Man kann es nicht anders sagen. Das war wie von einem anderen Stern - ähnlich dominant wie im Regen in Silverstone."

Frage: "Sind Sie ein bisschen enttäuscht, dass Heikki am Start Massa nicht schnappen konnte?"
Haug: "Er war knapp dran, aber in der zweiten Ecke hat es nicht mehr ganz gereicht. Er war daneben. Mit einem Harakirimanöver wäre es vielleicht gegangen, aber das hätte bestimmt auf dem Kerb geendet."

Frage: "Sie haben die Führung in der Fahrer-WM ausgebaut..."
Haug: "Das hat schon ein Stück gegeben heute. Dass Piquet heute Massa zwei Punkte abnimmt, hätte sicherlich auch keiner geglaubt. Auch Nick (Heidfeld; Anm. d. Red.) ist rangekommen. Er ist zehn Punkte hinter Räikkönen - das sah auch schon mal anders aus."

Überraschendes Resultat

"Nick ist ein sehr starkes Rennen gefahren, herzlichen Glückwunsch! Irgendwann zu Rennmitte ging er plötzlich ab, er fuhr dann auch die schnellste Rennrunde. Das hat mir sehr gefallen, weil er gestern nach dem zwölften Platz sicherlich ein bisschen down war. Auf dieses Resultat hätte keiner getippt - auf Lewis als Sieger schon, aber Piquet und Heidfeld nicht. Sie wären ohne Safety-Car-Phase nicht so weit gekommen, aber die Gelegenheit muss man auch nutzen, daher haben sie diese Plätze auch verdient."

"Da sieht man erst einmal, was Speed ist." Norbert Haug

Frage: "Was ging ihnen durch den Kopf, als Timo Glock in die Boxenmauer einschlug?"
Haug: "Ich hatte nicht die Angst, dass er sich sehr weh getan haben könnte, denn man kennt die Autos. Es war aber ein sehr heftiger Aufprall. Es sah so aus, als sei hinten rechts was gebrochen. Ich denke nicht, dass es seine Schuld war - so sah es nicht aus. Ich denke, das war mit ordentlich Schmackes, wie er da hinten reingefahren ist. Da sieht man erst einmal, was Speed ist und wie schnell die Autos doch unterwegs sind."

Frage: "Lewis führt nach zwei Siegen hintereinander in der Fahrer-WM. Er hat als erster Fahrer zwei Rennen hintereinander gewonnen. Ist das eine deutliche Tendenz?"
Haug: "Ich hoffe mal! Wir hatten mehr Potenzial, als wir Punkte haben, wenn wir an Kanada denken und an Magny-Cours, um nur zwei zu nennen. Dann gab es Sachen wie Rückversetzungen oder den Auffahrunfall am Start in Bahrain. Trotzdem noch vier von zehn Rennen zu gewinnen, spricht auch eine deutliche Sprache. Und der Sieg in Kanada war auch greifbar ohne den Fehler, ohne dass ich BMW etwas wegnehmen möchte. Unser Potenzial war größer, besser."

"Jetzt kommt Ungarn. Dort hat Lewis im Vorjahr gewonnen, dort sollten wir ganz gut aufgestellt sein. Aber ich halte es nach wie vor nicht mit Siegesprognosen. Ich würde Ferrari oder BMW oder wen auch immer aber nicht unterschätzen. Auch ein Safety-Car kann immer für Überraschungen sorgen, wie man heute gesehen hat."