Hamilton glaubt: "Monumentaler Fehler" kostet Siegchance in Zandvoort

Warum Mercedes-Fahrer Lewis Hamilton überzeugt ist, beim Formel-1-Rennen in Zandvoort ein Siegkandidat gewesen zu sein, und was schiefgelaufen ist

(Motorsport-Total.com) - "Ich hatte heute die Pace. Im Rennen war ich so schnell wie Max [Verstappen]. Und meine Pace hätte ausgereicht, um unter die Top 2 zu fahren." So fasst Mercedes-Fahrer Lewis Hamilton nach dem Niederlande-Grand-Prix 2023 in Zandvoort sein Abschneiden zusammen. Aber stimmt das wirklich? Hätte Hamilton beim ersten Rennen nach der Formel-1-Sommerpause eine Siegchance gehabt?

Titel-Bild zur News: Lewis Hamilton im Mercedes W14 beim Formel-1-Rennen in Zandvoort 2023

Lewis Hamilton im Mercedes W14 beim Formel-1-Rennen in Zandvoort 2023 Zoom

Davon zeigt sich Mercedes-Teamchef Toto Wolff im Gespräch mit Sky überzeugt. Er meint: "Wir hätten ein Auto gehabt, das ganz vorne hätte mitfahren können."

Die Daten zum Rennen scheinen das aber nicht zu bestätigen: Laut F1Tempo bewegte sich Hamilton zwar wirklich auf dem Niveau von Red-Bull-Fahrer Verstappen, aber nur punktuell. In der Mehrheit der Runden fuhr Verstappen schneller, teilweise sogar deutlich, was jedoch durch Hamiltons Position mitten im Feld verzerrt wird. Trotzdem wirkte der Mercedes-Speed bei Hamilton nicht gut genug für ganz vorne.

Warum Mercedes wirklich das Podest verpasst hat

Auch der Vergleich zum zweitplatzierten Fernando Alonso im Aston Martin fällt nicht zugunsten von Hamilton aus, wenngleich die Abstände in diesem Fall geringer sind als zu Verstappen. Im direkten Duell wäre aber wohl Alonso ebenfalls vor Hamilton gelandet, vermutlich selbst Pierre Gasly im Alpine, wenngleich Hamilton hier häufiger schnellere Phasen hatte als bei den Erstgenannten.

Dass es nichts wurde mit einem Podestplatz für die Sternmarke in Zandvoort, das hatte ganz andere Ursachen, angefangen beim Qualifying am Samstag, in dem Hamilton nicht über P13 hinausgekommen war. Viel entscheidender war aber der Moment, als im Grand Prix kurz nach Rennbeginn Regen einsetzte. Denn Mercedes ließ seine Fahrer in dieser Phase zu lange mit Trockenreifen im Nassen fahren.

Hamilton wird deutlich, wenn er sagt: "Als der Regen kam, haben wir als Team die falsche Entscheidung getroffen." Danach habe man "den Preis dafür bezahlt" und sei bis ans Ende des Feldes zurückgefallen.

Wolffs Fazit zur Mercedes-Strategie im Regen

Tatsächlich wurde Hamilton im Rennen durchgereicht: Während einige Fahrer bereits in der ersten Runde zum Reifenwechsel abbogen, blieb Hamilton bis zur dritten Runde auf der Strecke und war danach Letzter. Sein Mercedes-Teamkollege George Russell legte seinen Stopp gar erst in Runde vier ein. Eine Runde später fanden sich die Mercedes-Fahrer auf den Positionen 13 (Hamilton) und 16 (Russell) wieder.

Wolff spricht hier von einem "monumentalen Fehler" seines Teams. Es habe "überhaupt nicht funktioniert zwischen dem Wetterfrosch, [den] Fahrern, [der] Strategie" und er nehme sich selbst aus der Kritik gar nicht aus. Denn seine komplette Mannschaft habe "nicht gesehen, dass Perez in der ersten Runde 25 Sekunden schneller fährt" auf Intermediates.

Und das ist noch untertrieben: In Runde drei fuhr Perez mit Intermediates 1:27.522 Minuten, Hamilton auf Medium-Trockenreifen 1:59.015 Minuten. Der Mercedes war in dieser Phase also sogar rund 32 Sekunden langsamer als der Red Bull, wobei Hamilton in der genannten Runde die Box ansteuerte und keine komplette fliegende Runde absolvierte.

Mercedes räumt strategische Fehler ein

Aber so oder so: Diese Situation habe Mercedes "das gesamte Rennen ruiniert", meint Wolff. Nachsatz: "Da gibt es überhaupt nichts zu beschönigen."

Das sehen auch die Fahrer so. Rückblickend hätte Mercedes "eher an die Box kommen sollen", sagt Hamilton und Russell verweist auf eine "falsche Einschätzung der Wetterlage".

Doch Wolff wirbt auch um Verständnis für sein Team: "Das Wetter kam so schnell, schneller als erwartet und viel stärker als erwartet. Das hatten wir auf unserer Prognose so nicht gesehen."

Russell: Aus zwei Minuten wurden zehn Minuten

Außerdem habe sich Russell im Rennauto sowohl in der zweiten als auch in der dritten Rennrunde dafür ausgesprochen, weiter mit Trockenreifen zu fahren. "Der Fahrer hat natürlich die beste Sicht, und der Fahrer hat gesagt, lasst uns draußen bleiben", sagt Wolff, will die Verantwortung damit aber nicht Russell zuschieben, sondern sagt weiter: "Es ist eine gemeinsame Entscheidung."

"Bisher hat er das immer gut hingekriegt, aber in dem Fall waren wir einfach alle daneben. Es war einfach viel zu viel Wasser", so Wolff.


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Russell wiederum verweist bei Sky auf die Ansagen am Boxenfunk: "Wir gingen davon aus, der Regen hält nur ein paar Minuten an. Mir wurde gesagt: zwei Minuten. Und zwei Minuten hätte ich bei diesen Bedingungen ausgehalten, wenn es zwei Minuten so weitergeregnet hätte, aber es kam anders. Der Regen wurde stärker und dauerte zehn Minuten."

Hamilton glaubt: Podest wäre drin gewesen

Diese Diskrepanz gelte es im Nachgang zum Rennen aufzuarbeiten, sagt Russell weiter: "Wir müssen uns anschauen, was passiert ist und warum die anderen entschieden haben, an die Box zu fahren. Hatten die anderen vielleicht Informationen, die wir nicht hatten? Und dann müssen wir sicherstellen, nicht erneut den gleichen Fehler zu machen."

Denn ohne diesen Fehler, behauptet Hamilton bei Sky, "hätte meine Pace ausgereicht" für ein Podestergebnis. "Um ganz ehrlich zu sein: Ich glaube, wir hätten es mit Max aufnehmen können. Vor allem, als es dann ins Trockene ging. Ich glaube, da waren wir nicht allzu weit weg mit der Pace." Was die Daten aber, wie beschrieben, so nicht hergeben.

Ohnehin nimmt Hamilton Abstand davon, über einen möglichen Mercedes-Sieg zu sprechen: "Ich sage nicht, dass wir Max hätten schlagen können, aber hätte, wäre. Es ist alles schön, wenn man es so sieht." Und Russell meint: "Mir sind ein schnelles Auto und ein schlechter Tag lieber als das Gegenteil."

Russell führt das Rennen an, dann ...

Dabei hatte es für Russell zunächst sehr gut ausgesehen: Er führte kurzzeitig das Rennen an, nachdem die Fahrer vor ihm bei einsetzendem Regen an die Box gefahren waren. "Da dachte ich, es könnte ein grandioses Ergebnis geben", sagt Russell.

"Basierend auf meinen Informationen dachte ich, die anderen hätten die falsche Entscheidung getroffen. Das war unterhaltsam, solange es dauerte. Es dauerte aber nicht so lange. Und dann war das Rennen gelaufen, noch bevor es [richtig] losging. Das war wirklich schade." Denn auch Russell vermutet, Mercedes hat durch das Abwarten zu Beginn "ein Podestergebnis verpasst".

Tatsächlich habe er sich nach der Anfangsphase "gut berappelt", sagt Russell und Hamilton verweist auf seine "Aufholjagd" und das "gute Beispiel", das er damit abgegeben habe: "Wenn man mal stolpert oder hinfällt, dann steht man wieder auf und macht weiter. Immer, wenn ich an der Box war, fiel ich wieder zurück und musste von Neuem aufholen."

Ein später Reifenschaden bei Russell verhindert Punkte

Das führte die Mercedes-Fahrer im letzten Renndrittel beide in die Top 10. Runde 65 etwa sah Hamilton und Russell auf den Positionen sechs und acht. Doch dabei blieb es nicht, weil Russell in Runde 67 eine Berührung mit McLaren-Fahrer Lando Norris hatte und mit Reifenschaden hinten links die Box ansteuern musste. Ein zusätzlicher Reifenwechsel wurde notwendig, die Punkte waren futsch.

George Russell mit Reifenschaden hinten links an seinem Mercedes W14 in Zandvoort

George Russell mit Reifenschaden hinten links an seinem Mercedes W14 in Zandvoort Zoom

Einen Vorwurf macht Russell Norris ausdrücklich nicht: "Das war ein unglücklicher Rennzwischenfall. Enttäuschend. Aber immerhin hatten wir ein schnelles Rennauto", sagt Russell. "Den Nachmittag versaut" habe Mercedes die falsche Entscheidung zuvor.

Und beinahe wäre Russell sogar noch abgeflogen: Als er direkt vor Hamilton lag, unterlief ihm in Runde 58 ein Fehler im Mittelsektor. "Etwa fünf Runden davor hatte ich eine Berührung mit Tsunoda gehabt", erklärt er. "Danach kamen bei hoher Geschwindigkeit gewaltige Vibrationen auf. Ich hatte Probleme mit der Sicht."

Er sei dann links leicht von der Strecke abgekommen, weil er "kurz in den Spiegel geblickt" hatte, so Russell weiter. "Dann befand ich mich kurz neben der Bahn." Er zog den W14-Mercedes aber umgehend zurück in die Spur, nur um rechts ebenfalls für einen Moment ins Gras zu geraten. Danach hatte er sein Auto wieder unter Kontrolle.

"Ich bin froh, nicht abgeflogen zu sein", sagt Russell. "Denn auf dieser Strecke gibt es keinen Platz für Fehler." Doch auch dieser Fehler erwies sich als kostspielig für Russell: Die Vibrationen und der Ausrutscher hätten ihn "wahrscheinlich drei, vier Sekunden" gekostet. Ohne hätte er "wahrscheinlich vor Lewis und Lando bleiben können", meint er. "Mein Rennen hätte anders ausgehen können."

Doch weder Russell noch Teamchef Wolff geben viel auf den Konjunktiv: "Dafür gibt es nichts im Sport", sagt Wolff. Für Russell steht aber nach P17 im Ziel fest, dass sein Team "klarerweise eine große Chance verpasst" habe.

Hamilton indes ist "ziemlich zufrieden" mit P6. Denn er sei von P13 losgefahren und zwischendurch Letzter gewesen. Mit den Punkten für Platz sechs könne er gut leben. Doch auch Hamilton betont: "Es hätte besser sein können, wenn wir heute die richtigen Entscheidungen getroffen hätten."