FW26 keine Weiterentwicklung des Vorgängers
"Stillstand ist tödlich", sagt Designer Gavin Fisher über den neuen Williams-Renner ? FW26 daher eher Revolution als Evolution
(Motorsport-Total.com) - 2003 war in jeder Hinsicht die stärkste Saison des BMW-Williams-Teams seit Beginn der Partnerschaft im Jahr 2000. Das Team feierte vier Siege, absolvierte mehr Rennrunden als jede andere Mannschaft und wurde nach schwachem Saisonbeginn erst im Schlussspurt der Weltmeisterschaft der Konstrukteure von Ferrari geschlagen.

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Der FW26 ist ein komplett neues Auto, die Frontpartie eine echte Innovation
Eine ganze Reihe von Faktoren war für dieses gute Abschneiden verantwortlich ? darunter die souveräne Führung durch Frank Williams, Patrick Head und Mario Theissen sowie die Siegfähigkeit von Juan-Pablo Montoya und Ralf Schumacher. Eine zentrale Grundlage für die Leistungsfähigkeit, mit der die zuvor dominante Scuderia Ferrari an ihre Grenzen getrieben wurde, war aber auch der Williams-BMW FW25.
Chefdesigner: "Man darf sich keine Minute zurücklehnen"
Während der FW25 noch Pokale auf den Rennstrecken sammelte, waren seine Architekten bereits mit dem Nachfolgemodell beschäftigt, dem FW26. Chefkonstrukteur Gavin Fisher erklärt: "Der FW26 ist keine Weiterentwicklung seines Vorgängers. Das mag überraschen, nachdem dieser ja ein relativ erfolgreiches Auto war. Aber", erklärt Fisher, "Stillstand ist tödlich in der Formel 1, man darf sich keine Minute zurücklehnen. Es gab viele Teams in der Geschichte dieses Sports, die glaubten, sie hätten endgültig die Spitze erreicht und dann erkennen mussten, wie schnell man den Anschluss verpasst."
Wenn er den Entwicklungsansatz des FW26 erklären soll, sträubt sich Fisher gegen das Wort "radikal": "Der Ausdruck hat sich durch zu häufigen Einsatz leider abgenutzt. Außerdem sind viele wirklich radikale Maßnahmen durch das strenge Reglement der Formel 1 unterbunden. Dennoch wird dem Betrachter sofort das hohe Maß innovativer Konstruktionslösungen auffallen, die beim FW26 realisiert wurden." Williams präsentiert im zweiten Jahr in Folge eine vollständig neue Ausrichtung der Chassis-Konzeption.
Optisch am auffälligsten ist die Nase des neuen Fahrzeugs, die durchaus als revolutionär bezeichnet werden kann. Ging der Trend in den letzten Jahren eher dahin, möglichst schmale Frontpartien zu bauen, so erinnert der FW26 in der Vorderansicht am ehesten an einen aggressiven Bullen. Außerdem ragt die Nase nicht über den Frontflügel hinaus ? ebenfalls eine bisher nicht in der Formel 1 erprobte Innovation.
Fisher gibt zu, dass dieser Weg nicht ohne Risiken ist: "Natürlich hätte der FW26 einfach eine Evolution des FW25 werden können und wäre sicher schnell gewesen. Aber wäre er auch schnell genug geworden, um die WM zu gewinnen? Das wäre zu stark abhängig davon gewesen, wie sich die Leistungsfähigkeit der anderen Teams im Verhältnis zu uns verändert. Wir wollten auf jeden Fall sicherstellen, dass wir unsere eigene Entwicklung so weit wie möglich getrieben haben." Fisher ergänzt: "Dieser progressive Zugang hat zu einer sehr anregenden Arbeitsatmosphäre geführt. Jeder, der in dieses Projekt involviert ist, ist gefordert und motiviert, bringt einfach eine bessere Leistung."
FW26 soll kein "Spätzünder" werden wie sein Vorgänger
Die Anforderungen an die Mitarbeiter der Konstruktionsabteilung waren enorm. Nicht nur, weil das Ausmaß der Veränderungen gegenüber dem FW25 so groß war, sondern auch, weil man diesmal einen erheblich früheren Fertigstellungstermin ins Auge gefasst hatte. Fisher: "Wir sind überzeugt davon, dass die Tatsache, dass wir 2003 erst nach einigen Grands Prix das volle Potenzial des FW25 nutzen konnten, uns letztlich den Titel gekostet hat."
"Hinter der frühen Vorstellung des neuen Chassis steht der erklärte Wille, vom ersten Rennen an siegfähig zu sein", so Fisher weiter. "Dieser Plan hat uns in der Konstruktionsphase natürlich enorm unter Druck gesetzt, aber wir sind zuversichtlich, dass wir unser Ziel mit unseren Entwicklungen und einer intensiven Testvorbereitung vor Saisonbeginn realisieren können."
Die Herausforderungen einer von Grund auf neuen Konstruktion sind vielfältig. Geht es um Verbesserungen, isoliert man einzelne, nicht optimal funktionierende Elemente eines Rennfahrzeugs und entwickelt sie weiter. Doch der FW26 hat nur noch wenig mit seinem Vorgänger gemein. Das bedeutete für die Konstrukteure, dass jedes einzelne Teil, wie unbedeutend es auch erscheinen mochte, komplett neu gestaltet werden musste.
Jedes Bauteil erfordert einen eigenen Konstruktionsprozess. Anschließend wird das Original-Design geprüft und gegebenenfalls angepasst hinsichtlich Herstellungsverfahren, Reglementkonformität, Leistungsfähigkeit und Einpassung in das Gesamtpaket des Fahrzeugs.
Regeln bieten 2004 "ein gutes Maß an Stabilität"
Das Ausschöpfen des neuen Reglements für 2004 komplettiert das Puzzle. Fisher: "Für jede Saison gibt es einige neue Regeln, 2004 bietet in dieser Hinsicht allerdings ein gutes Maß an Stabilität. Die Änderungen für das Chassis rühren in erster Linie von der Geometrie der Motorabdeckung her. Heckflügelelemente und Endplatten wurden von kommerziellen Überlegungen beeinflusst. Ob sie der Ästhetik des Fahrzeugs zuträglich waren oder nicht, bleibt dem Betrachter überlassen."
Der Entwicklungsdruck bei der Entstehung des FW26 baute sich von verschiedenen Seiten auf: Eine ganzheitliche Änderung der Basis bedeutete erhebliche Mehrarbeit für das Konstruktionsteam und erforderte gleichzeitig eine höhere Treffsicherheit bei einzelnen Modifikationen, um das Fahrzeug letztlich früher auf die Teststrecke zu bringen.#w1#
Hinter dem Williams-BMW FW26 steht ein starker Einsatz des gesamten Teams. Und die Ziele sind hoch gesteckt: Nach dem bisher besten Jahr des deutsch-englischen Teams soll der FW26 nun 2004 das Fundament für eine noch erfolgreichere Saison bilden. Chefkonstrukteur Fisher fasst die Teamphilosophie zusammen: "Wir setzen große Erwartungen in dieses Chassis. Seine Entwicklung hat uns enorm gefordert, und der Tag des ersten Tests wird für uns wichtiger sein als jede Präsentation zuvor. Jedes Teammitglied wird stolz darauf sein, alles gegeben zu haben, um unser Auto so gut wie möglich zu machen. Der Präsentationstag soll das erste Kapitel einer erfolgreichen Saison werden."

