• 05.01.2004 13:06

BMW-P84-Motor: Konstantes Kraftpaket

Das neue Kraftpaket von BMW, der P84, soll trotz der erhöhten Laufleistung wieder das Maß der Dinge in der Formel 1 darstellen

(Motorsport-Total.com) - Die Zeiten ändern sich. Sorgten einst so genannte "Kurzbrenner" mit extra viel Leistung für eine einzige Qualifying-Runde in der Formel 1 für Furore, sind jetzt langlebige Kraftpakete gefordert. Ab der Saison 2004 schreibt das Formel-1-Reglement der FIA vor, dass pro Fahrzeug am gesamten Grand-Prix-Wochenende nur noch ein einziger Motor verwendet werden darf. Damit addiert sich die zu bewältigende Laufleistung auf bis zu 800 Kilometer. Das ist gegenüber 2003, wo bereits mit ein und demselben Triebwerk Qualifying und Rennen bestritten werden musste, die doppelte Distanz. Eine gewaltige Herausforderung für die BMW Ingenieure.

Titel-Bild zur News: Die BMW-Williams-Truppe und der FW26

Das BMW-Williams-Team hofft, dass der neue BMW-Motor wieder ein Erfolg wird

"Wenn ein Motor länger halten soll", bringt BMW-Motorsport Direktor Mario Theissen die neue Anforderung auf eine schlichte Formel, "muss prinzipiell jedes einzelne Teil robuster ausgelegt werden. Das bedeutet: Der Motor wird größer und schwerer. Das wiederum kostet Drehzahl und somit Leistung. Diese Verluste zu minimieren und dabei die Standfestigkeit zu garantieren ? das ist die Aufgabe, der wir uns stellen müssen."#w1#

Früher Entwicklungsbeginn und früher Test

Der BMW P84 wurde von den Ingenieuren um Heinz Paschen, dem Leiter der BMW F1-Entwicklung, in enger Zusammenarbeit mit den Spezialisten aus dem BMW Forschungs- und Innovationszentrum (FIZ) maßgeschneidert für das Anforderungsprofil der Saison 2004.

Die Arbeit am neuen BMW Motor begann in München noch früher als in den Vorjahren. Bereits im November 2002 begann ein Ingenieursteam damit, den Motor für 2004 zu spezifizieren. Die erste Ausführung des P84 lief im Mai 2003 auf dem Prüfstand in München. In den kommenden Wochen wurden weitere verschiedene Varianten des BMW P84 dargestellt. Paschen: "Dabei ging es vor allem um eines: fit zu werden für die erhöhte Laufzeit."

Die schließlich für den FW26 vorgesehene Motorvariante kam erstmals im Juli 2003 auf den Prüfstand und wurde am 4. September in Monza in einem Interimsauto getestet. Ab Oktober stand die endgültige Anpassung an das neue Chassis im Vordergrund, im November wurde die Erprobung im Fahrbetrieb fortgesetzt.

Lastenheft und Prioritäten für 2004

Der BMW P84 Motor basiert konzeptionell auf seinem Vorgänger, dennoch blieb kein Teil von den neuen Vorgaben unberührt. Die Maßgabe für den Motor der Saison 2004 lautete: Die gleiche Zuverlässigkeit auch bei entscheidend höheren Laufzeiten zu gewährleisten und dafür möglichst wenig Leistung herzuschenken. Dass die Auswirkungen auf Maße und Gewichte gering blieben, ist auch den Materialspezialisten des FIZ zu verdanken, die neue Wärmebehandlungsverfahren für höhere Standfestigkeit erarbeiteten.

"In der Qualitätskontrolle", ergänzt Paschen, "waren wir mit den 2003 gefahrenen Prozessen bereits derart stark aufgestellt, dass die Fehlerquote in Test und Rennen drastisch gesunken ist." Die Generalprobe, der Dauerlauf auf dem dynamischen Prüfstand, erfolgt weiterhin mit dem Streckenprofil von Monza, weil dieser Kurs mit 73 Prozent den höchsten Volllastanteil aufweist. Allerdings wurde die Qualifikation für den Einsatz auf 800 Kilometer erhöht.

Drehzahlen gestern und morgen

Der BMW P82, der Motor des BMW-Williams-Teams der Saison 2002, hatte in seiner letzten Ausbaustufe den Spitzenwert von 19.050 Umdrehungen pro Minute erreicht. 2003 herrschten neue Bedingungen: Kein Motorwechsel mehr zwischen Qualifying und Rennen. Durch das Einzelzeitfahren am Samstag wuchs die Laufzeit-Anforderung inklusive der Renndistanz auf rund 400 Kilometer. "Das war nach der Papierform zwar keine allzu große Steigerung", erklärt Theissen, "bedeutete aber ein komplexes Belastungsprofil für die Motoren. In etwa so, als würde man einen Marathonläufer kurz vor
dem Start noch in einen Sprintwettbewerb schicken."

Trotz dieser neuen Vorgaben an die Standfestigkeit realisierte BMW erneut Steigerungen in Drehzahl und Leistung. Der BMW P83 schaffte beim Saisonfinale in Japan beeindruckende 19.200 U/min und setzte klar über 900 PS frei. Dabei war er ein Muster an Zuverlässigkeit. Der einzige Motorschaden der Saison 2003 war beim Großen Preis von Österreich zu beklagen und hatte seine Ursache in einem Wasserleck im Kühlkreislauf. "Ohne Kühlwasser", rekapituliert Theissen, "läuft eben auch der beste Motor nicht." Bei den Drehzahlen erwartet Theissen allgemein einen Rückgang: "Anfang 2003 hätte ich für 2004 auf eine Reduzierung von zehn Prozent getippt. Inzwischen rechnen wir mit weniger."

Ab 2004 BMW Technik nicht mehr ausschließlich im Motor

Im Zuge der erweiterten Kooperation zwischen BMW und Williams unterstützen die Münchner die Partner in Grove nun auch in den Bereichen Getriebe, Elektrik und Elektronik sowie Aerodynamik. Die gegenseitige Befruchtung von F1- und Serienentwicklung im FIZ geht damit weit über den Motor hinaus. So werden das Getriebegehäuse und weitere Teile bei BMW hergestellt. Bei der Aerodynamik-Entwicklung übernimmt das FIZ Aufgaben in Simulation und Berechnung.

Synergien zwischen F1- und Serienentwicklung

"Das Formel-1-Projekt ist für BMW ein gewaltiges Technologielabor", sagt Theissen, "Synergieeffekte zwischen F1- und Serienentwicklung herzustellen, war für unser Unternehmen die Grundvoraussetzung für den Wiedereinstieg." So stand von Anfang an fest: Die BMW Triebwerke für die Königsklasse werden in München entwickelt und gefertigt ? im Schoße der Mutter.

Dabei spielt das FIZ eine Schlüsselrolle. Die F1-Fabrik wurde in weniger als einem Kilometer Entfernung von dieser Denkwerkstatt errichtet und mit ihr verwoben. "Das FIZ repräsentiert die Zukunft von BMW", erklärt Theissen, "dort arbeiten die fähigsten Ingenieure in modernsten Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen. Das FIZ verfügt über enorme Ressourcen, von denen wir unmittelbar profitieren. Umgekehrt stellt das F1-Engagement durch die extremen technischen Anforderungen und das geforderte Entwicklungstempo ein einzigartiges Versuchsfeld für unsere Techniker dar."

BMW hat die Vision einer lückenlosen Prozesskette im eigenen Haus realisiert ? von der Konzeption über die Konstruktion, den Guss, die Teilefertigung, Aufbau und Versuchsphase bis hin zum eigenen elektronischen Motormanagement. Dadurch entfallen Transportwege, und das im Unternehmen erworbene Know-how kann auf direktem Weg in die Serienentwicklung einfließen.

Gusstechnik und Fertigung

Die Gussqualität von Motorblock, Zylinderkopf und Getriebe entscheidet maßgeblich über Leistungsfähigkeit und Standfestigkeit der Aggregate. Fortschrittliche Gusstechnologien mit höchst genauer Prozessführung ermöglichen leichte Bauteile von hoher Steifigkeit. Um dies für Serienfahrzeuge zu gewährleisten, unterhält BMW eine Gießerei in Landshut. 2001 wurde ihr eine eigene F1-Gießerei angegliedert. "Beide Abteilungen", führt Theissen aus, "arbeiten unter einer gemeinsamen Führung. Das garantiert den permanenten Austausch."

Mit dem gleichen Sandgussverfahren, mit dem der Formel-1-V10 entsteht, werden Ölwannen für die Modelle M3, M5 und Z8 sowie die Sauganlage für den Achtzylinder-Dieselmotor gegossen. Fast zeitgleich mit der Inbetriebnahme der F1-Gießerei wurde nach demselben Modell eine F1-Teilefertigung an jene für Serienkomponenten angeschlossen. Dort fertigt das F1-Team unter anderem die Nockenwellen und die Kurbelwellen für den BMW P84.

Von beiden Abteilungen profitiert mittlerweile auch WilliamsF1: Das Aluminium-Getriebegehäuse für den FW26 entsteht im Sandgussverfahren in Landshut, weitere Getriebeteile kommen aus der BMW F1-Fertigung. Getriebezahnräder werden im BMW Werk Dingolfing hergestellt, parallel zur Serienfertigung.

Elektronik beim Grand Prix und auf der Straße

Die Anforderungen an das Motormanagement eines Triebwerks, das 19.000 U/min absolviert, aber auch bei niedrigen Drehzahlen problemlos fahrbar sein muss, sind immens. In jeder Millisekunde müssen Zündzeitpunkt und Treibstoffzufuhr perfekt aufeinander abgestimmt sein, um optimale Effizienz zu erreichen ? maximale Leistung bei minimalem Kraftstoffverbrauch. Ein niedriger Verbrauch bedeutet sowohl bessere Rundenzeiten als auch mehr Flexibilität in der Rennstrategie. Neben der Steuerung ist die Bordelektronik auch verantwortlich für die Überwachung sämtlicher Funktionen.

Mit der Rückendeckung der Elektronik-Experten des FIZ wagte BMW von Anfang an, auch die F1-Motorsteuerung selbst zu entwickeln, anstatt auf Rennsportspezialisten zurückzugreifen. Ingenieure, die sich sonst mit der Bordelektronik für die Modelle BMW M3 und M5 befassen, schufen auch das Motor-Management für die F1-Triebwerke. Ihr dabei erworbenes Wissen fließt zurück in die Serie.

Längst verfügen Spitzenmodelle von BMW wie der 7er und die sportlichen M-Serien über zwei neue Mikroprozessor-Typen, die BMW erstmals in der Formel 1 eingesetzt und erprobt hat. Für den Internetzugang und das Navigationssystem der BMW 7er Reihe wurde zudem Speichertechnologie verwendet, die sich zuvor in der Formel 1 bewährt hatte. "Und auch bezüglich der Überwachung von Funktionen", ergänzt Theissen, "lernen wir für Straßenfahrzeuge. Rechtzeitige Warnungen und automatisierte elektronische Eingriffe sind auch dort sicherheitsrelevant und schützen vor Schäden."

Materialentwicklung und Modellbau

So leicht wie möglich und so widerstandsfähig wie nötig ? das Credo des Motorenbaus erreicht in der Formel 1 sein höchstes Niveau. Wer zu sehr auf Sicherheit baut, hat zu viel Ballast an Bord. Die Materialforschung des FIZ liefert wichtige Impulse für die BMW-Formel-1-Motorenentwicklung. So werden beispielsweise kontinuierlich neue Leichtmetall-Legierungen entwickelt und erprobt.

Häufig dient die Luft- und Raumfahrttechnik hier als Ausgangsbasis. Einige viel versprechende Entdeckungen, die wegen des hohen Stückzahlbedarfs für die Serienfahrzeuge zumindest vorerst nicht in Betracht kommen, haben im BMW F1-Motor bereits Verwendung gefunden. "Dort werden sie weiter erprobt", erklärt Theissen, "und die Einsatzmöglichkeit dieser neuen Materialien hilft den Ingenieuren wiederum, sie zur Serienreife weiterzuentwickeln."

Kurze Reaktionszeiten sind gerade im erbarmungslosen Rhythmus einer laufenden Saison das A und O. Das gilt für die kontinuierliche Weiterentwicklung der Motoren ebenso wie für Problembewältigungen. Neue Lösungen erfordern neue Konstruktionen und neue Werkzeuge ? einen zeitintensiven Herstellungsprozess ohne Garantie auf Erfolg.

Um diesen abzukürzen, kann die BMW F1-Mannschaft auf die FIZ-Abteilung Rapid Prototyping/Tooling Technology zugreifen. Sobald die benötigten Teile auf einem CAD-CAM-System gezeichnet wurden, produzieren ebenfalls von Computern gesteuerte Maschinen mittels Laserstrahlen oder dreidimensionaler Drucktechnik maßgetreue Modelle aus Harz, Kunststoffpulver, Stärke oder Wachs. Damit können kurzfristig Einbausituationen und Wechselwirkungen simuliert werden, um gegebenenfalls vor der endgültigen Herstellungsprozess noch Modifikationen vornehmen zu können.