• 06.04.2011 22:33

  • von Christian Nimmervoll & Dieter Rencken

Front-Auspuff, Flexi-Flügel: Pro und Contra

Von akustischen Effekten, die bis zu 20 PS kosten können, und Honigwaben, die den Red Bull angeblich um eine halbe Sekunde schneller machen

(Motorsport-Total.com) - Am Saisonbeginn 2011 scheinen sich vor allem zwei Innovationen als bestimmende Technikthemen der Stunde herauszukristallisieren. Dabei handelt es sich einerseits um die auspuffangeströmten Unterböden, besser bekannt als Front-Auspuff, und andererseits um die flexiblen Flügel, die durch Red Bull wieder ins Gespräch gekommen sind.

Titel-Bild zur News: Auspuffsystem des Renault R31

Der Renault-Front-Auspuff gilt als eine der Innovationen des Jahres 2011

Während die Flexi-Flügel (damit ist nicht der verstellbare Heckflügel gemeint) schon seit Jahren ein immer wiederkehrendes Thema sind, hat Renault den ersten Front-Auspuff erst diese Saison eingeführt. Pro: Zusätzlich zum Fahrtwind strömen die Auspuffgase fast über den gesamten Unterboden hinweg, blasen im Gegensatz zu 2010 nicht nur das hintere Ende (den Diffusor) an - und generieren damit in der Theorie noch mehr Anpressdruck.

Äußerst komplexes System

In der Theorie deshalb, weil das System extrem komplex ist und unter anderem von der Gaspedalstellung abhängt. Denn: Je mehr Gas der Fahrer gibt, desto schneller werden die Auspuffgase aus dem Auspuffrohr befördert. Geht der Fahrer vom Gas, nimmt deren Geschwindigkeit ab, was zu einem für den Fahrer unberechenbaren Verlust von Anpressdruck führen kann. Dieses Phänomen bekam McLaren bei einem Vorreiter des Konzepts in Silverstone 2010 nicht in den Griff.

Ebenfalls auf der Contra-Seite ist zu verbuchen, dass die brandheißen Auspuffgase unweit des Fahrersitzes auf Höhe der seitlichen Barge-Boards ins Freie münden. Damit werden sie ganz in der Nähe der ohnehin hitzeempfindlichen KERS-Batterien vorbeigeleitet. Aber ganz abgesehen von diesen offensichtlichen Kritikpunkten gibt es auch einen Nachteil, der bisher wohl nur wenigen bewusst war: die Länge der Auspuffrohre.

"Die Kolben müssen mehr Arbeit leisten, um das Auspuffgas rauszubewegen, was bedeutet, dass weniger Energie vorhanden ist, um die Räder anzutreiben", erklärt Renault-Motorenchef Rob White, warum die längeren Auspuffrohre Leistung kosten. Dieser Leistungsverlust bewegt sich im Bereich von "zwei bis drei Prozent", rechnet er vor. Das sind bei einem aktuellen V8-Motor immerhin geschätzte 15 bis 20 PS.

¿pbvin|512|3574||0|1pb¿"Je länger der Auspuff, desto größer muss der aerodynamische Vorteil sein", schlussfolgert White. Denn klar ist, dass ein Front-Auspuff nur dann Sinn macht, wenn der gewonnene Anpressdruck die Nachteile der verlorenen Leistung übersteigt. Übrigens bedeutet ein längerer Auspuff nicht automatisch einen direkt proportionalen Leistungsverlust, sondern: "Es gibt auch noch einen akustischen Effekt", weiß der Renault-Fachmann.

Jeder Motor erzeugt eine bestimmte Geräusch-Wellenlänge, auf deren Länge die Auspuffrohre abgestimmt sein sollte. So ist es zum Beispiel möglich, dass ein Auspuffrohr idealerweise x Zentimeter lang sein sollte, zweimal x, dreimal x und so weiter. Abweichungen von x-Vielfachen führen zu einem starken Leistungsverlust, wohingegen der Leistungsverlust bei immer höheren x-Vielfachen zwar vorhanden, aber weniger signifikant ist.

Konkretes Beispiel für den Akustik-Effekt

Sprich: Errechnet sich aus der Geräusch-Wellenlänge eine ideale Auspufflänge von einem halben Meter, dann wäre auch eine Auspufflänge von einem Meter oder eineinhalb Metern für die Entfaltung der Motorleistung optimal, wobei die Leistung bei eineinhalb Metern marginal geringer wäre als bei einem Meter. Doch bei 70 Zentimetern Länge würde der Motor seine Leistung wegen des von White erwähnten akustischen Effekts erheblich schlechter entfalten können.

Wichtig ist in Sachen Front-Auspuff die optimale Integration ins Gesamtpaket. Whites Renault-Kollege Remi Taffin führt aus: "Was die neuen Auspuff-Lösungen angeht, so wirken die sich auf den Motor nur unwesentlich aus, solange die Teams unsere technischen Vorgaben beachten. Interessant ist allerdings, dass der Motor heutzutage eine zentrale Rolle für die Balance des Autos spielt und die aerodynamische Effizienz beeinflusst."

Der größte Vorteil der Flexi-Flügel ist genau wie beim Front-Auspuff aerodynamischer Natur. Denn je tiefer die Flügel liegen, desto höher ihr Wirkungsgrad, und wenn sich im Fahrtwind auch noch ihr Luftwiderstand reduziert, dann ist der Effekt sogar doppelt spürbar. Bei Red Bull kann die Bewegung der Flügel in Videoanalysen immer wieder beobachtet werden, dennoch halten sie allen von der FIA vorgeschriebenen Belastungstests stand.

Red-Bull-Frontflügel

Red Bulls Frontflügel senkt sich während der Fahrt immer wieder ab Zoom

Experten schätzen, dass flexible Flügel drei bis fünf Zehntelsekunden pro Runde bringen. Tatsache ist aber: Red Bull konnte bisher kein Vergehen nachgewiesen werden. Tatsache ist auch: Praktisch alle Teams versuchen inzwischen, den Trick zu kopieren, doch so gut wie Red Bull bekommt die Konkurrenz die Flexi-Flügel anscheinend nicht auf die Reihe. Das ist eines von vielen Erfolgsgeheimnissen des aktuellen RB7.

"Wir wissen, was Red Bull macht, aber wir wissen nicht wie", gibt ein Ingenieur gegenüber 'auto motor und sport' zu. Anderswo kursieren verschiedene Theorien, wie die Flügel abgesenkt werden. Die Rede ist etwa von in der Frontpartie versteckten Federn, ebenso wie von speziellen Kniffen beim Erstellen und Backen der Honigwaben-Verbundstoff-Struktur. Ganz genau weiß das zum jetzigen Zeitpunkt aber wohl nur einer: Stardesigner Adrian Newey.